Gesundheitswesen

Kein Heilmittel gegen Abrechnungsbetrug

Von Vlad Georgescu · 17.01.2014
700 Millionen Euro hat die Umstellung auf die neue Gesundheitskarte gekostet. - Rausgeschmissenes Geld, meint der Journalist Vlad Georgescu. Denn auch mit der neuen Karten wird betrogen - und zwar durch die Ärzte selbst.
Angeblich ist sie betrugssicher, die neue Gesundheitskarte. Doch den übelsten Betrug im deutschen Gesundheitswesen kann sie nicht verhindern: den grassierenden Abrechnungsbetrug durch die Ärzte selbst. Daran ändert auch das neue Foto nichts. Denn die Ärzte kontrollieren sich selbst - unter dem Etikett: "Selbstverwaltung".
Und die funktioniert in etwa so: Oma Müller lässt sich beim Hausarzt eine Spritze geben, wofür sie ihre neue Gesundheitskarte vorlegt. Der Doktor erkennt anhand des Passbilds, dass es sich bei der Patientin um Oma Müller handelt - er selbst aber kann trotzdem ungeniert betrügen. Neben der Spritze rechnet er auch ein intensives Beratungsgespräch ab, das Abhorchen, die Messung des Blutdrucks. Alles Leistungen, die er bei Oma Müller gar nicht erbrachte. Zudem übertragen Computerprogramme alle verbleibenden Punkte, die Oma Müller im Quartal für den Arztbesuch zustehen, auf andere Patienten. "Verdünnen" nennen Korruptionsbekämpfer dieses Prozedere, das im Alltag kaum auffliegen kann.
Wie auch: Das Geld treibt bei der Krankenkasse die Kassenärztliche Vereinigung ein - also eine Einrichtung der Ärzteschaft. Die zahlt den einzelnen Arzt für tatsächlich und vermeintlich erbrachte Leistungen aus - mit Geld, das die gesetzlichen Kassen überwiesen haben. Das sind rund 30 Milliarden Euro im Jahr, blanko, vorab.
Nun ist es durchaus im Sinne der Versicherten, dass die Krankenkassen nicht erfahren können, welcher ihrer Beitragszahler welche Wehwehchen hat. Wer will schon, dass die Kasse weiß, dass er derjenige mit der teuren chronischen Erkrankung ist. Warum aber müssen die Ärzte ihre Originalabrechnungen ausgerechnet den eigenen Vereinigungen zur Kontrolle vorlegen? Das öffnet Abrechnungsbetrug Tür und Tor.
Vorbild Großbritannien?
Großbritannien hat bereits vor Jahren gezeigt, dass sich der Kampf gegen den Abrechnungsbetrug auch finanziell lohnt. Die staatliche Gesundheitsbehörde NHS verfügt über eine eigene Einrichtung, die gegen betrügende Patienten, Ärzte und Pharmaunternehmen vorgeht. Wer erwischt wird, zahlt Strafen, verliert seine Zulassung oder wandert hinter Schloss und Riegel. Mehr als eine halbe Milliarde Pfund an veruntreuten Geldern konnte die NHS auf diese Weise zurückholen. Unverblümt machen die Briten das, was hierzulande viele Politiker nur versprechen: Sie bekämpfen die Korruption im Gesundheitswesen sehr effektiv - übrigens ganz ohne teure Gesundheitskarte.
Auch in Berlin sollte der neue Gesundheitsminister die oft selbstherrliche Selbstverwaltung der Ärzteschaft stoppen. Die undurchsichtige Selbstabrechnung muss enden. Und damit die Krankenkassen auch in Zukunft nicht erfahren, ob Oma Müller mit ihren ständigen Wehwehchen nicht langsam zu teuer wird, muss die Abrechnung durch eine neue, unabhängige Stelle erfolgen.
Diese bekäme dann die Rechnungen und zahlte die Ärzte erst aus, wenn alles stimmt. Ähnlich dem britischen Modell würde dieses Büro jede Schnittstelle zwischen Patient und Gesundheitswesen prüfen, also auch Pharmaunternehmen und Apotheker. Neue Kontrollen also weder im Auftrag der Ärzte noch der Kassen, sondern im Namen und im Sinne der Patienten.
Nur: Wer soll das bezahlen? Keine Sorge, die neuen Kontrollen würden sogar Geld einbringen, denn der Abrechnungsbetrug vernichtet bislang zwischen einer und drei Milliarden Euro, wenn man die Daten des GKV-Spitzenverbandes zu Grunde legt. Und auch die teure, neue Gesundheitskarte wäre überflüssig. Denn die alte, billige Chipkarte war sicher genug: Zusammen mit einem Personalausweis reicht sie beim Arztbesuch zur Identifizierung des Patienten völlig aus.
Vlad Georgescu, 1966 geboren, studierte Chemie an der TU Hannover und Journalistik an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Er ist freier Wissenschafts- und Wirtschaftsjournalist und leitete zusammen mit Marita Vollborn seit 2001 das internationale Biotech-Webzine LifeGen.de. Er ist Mitglied der Wissenschaftspressekonferenz (WPK). Gemeinsam mit Marita Vollborn schrieb er "Die Joghurt-Lüge. Die unappetitlichen Geschäfte der Lebensmittelindustrie" und "Kein Winter, nirgends. Wie der Klimawandel Deutschland verändert".
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