Gesundheits-Apps im Test

Eine einzige Studie beweist gar nichts

03:55 Minuten
Detailaufnahme: Ein Mann misst seinen Herzschlag mit dem Sensor auf der Rückseite seines Smartphones.
Den Herzschlag mittels Telefon messen: Immer mehr Hersteller bieten Gesundheits-Apps an. © picture alliance / dpa / Andrea Warnecke
Ein Kommentar von Alexander Mäder · 15.07.2019
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Gesundheits-Apps könnten bald von der Krankenkasse bezahlt werden. Vorausgesetzt, der Hersteller weist die positive Wirkung der App nach. Eine einzige Studie hat aber grundsätzlich kaum Aussagekraft, findet der Wissenschaftsphilosoph Alexander Mäder.
Eine Studie habe das bewiesen – wie ich diesen Satz hasse. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind wichtig, und wir sollten sie bei politischen Entscheidungen berücksichtigen. Doch wenn jemand behauptet, eine Studie habe dieses oder jenes bewiesen, dann ist das aus zwei Gründen problematisch.
Erstens, weil eine einzige Studie gar nichts beweisen kann. Sie ist immer nur ein Steinchen im wissenschaftlichen Mosaik. Sie kann umfassend und durchdacht sein, überraschend und lehrreich. Aber erst im Zusammenspiel mit weiteren Studien gewinnt ein wissenschaftliches Ergebnis an Wert, wird es zu verlässlichem Wissen.

Nicht jeder Forscher ist vertrauenswürdig

Und zweitens, weil man dabei nichts über die Autoren der neuen Studie erfährt. Nicht jeder Forscher arbeitet gründlich und nicht jeder ist gleichermaßen vertrauenswürdig. Als Zuhörer wüsste man gern, mit wem und womit man es zu tun hat. Doch es werden einem alle Informationen vorenthalten, um das vermeintliche Wissen zu beurteilen.
Wer also behauptet, eine Studie habe etwas bewiesen, tut weder der Wissenschaft, noch der Gesellschaft einen Gefallen. Er erklärt ein einzelnes Studienergebnis zum unumstößlichen Fakt und unterbindet zugleich jedes Hinterfragen. Wie kamen die Forscher darauf? Was waren ihre Motive? Egal – die Studie hat's bewiesen.
Aber Wissenschaftler fälschen manchmal ihre Studien, um mit einem aufregenden Ergebnis in ein renommiertes Fachjournal aufgenommen zu werden. Oder sie zahlen einem skrupellosen Verleger Geld dafür, dass er ihre schlampige Recherche ohne Prüfung veröffentlicht. Solche falschen Nachrichten untergraben das Vertrauen in die Wissenschaft. Doch ich finde den Hype mit einzelnen Studien genauso schlimm.

Soziale Netzwerke befördern fragwürdige Ergebnisse

Der Kampf dagegen erscheint zunächst aussichtslos. Wissenschaftsjournalisten und Sprecher von Forschungseinrichtungen haben Angst, ihr Publikum mit den Details einer Studie zu langweilen. Also stellen sie die Kernaussage in den Vordergrund und unterstreichen deren Relevanz, indem sie behaupten, das sei nun so bewiesen. Solche Vereinfachungen werden durch die sozialen Netzwerke angeheizt. Dort haben ohnehin nur kurze Botschaften eine Chance, für Differenzierungen ist kein Platz. In Japan haben zum Beispiel Berichte von Impfkritikern und das schlecht gemachte Experiment eines Mediziners die Eltern aufgeschreckt. Sie lassen ihre Töchter nun nicht mehr gegen HP-Viren impfen, obwohl die Impfung sicher ist und nachweislich vor Gebärmutterhalskrebs schützt.

Genaue Quellenangaben können Fake News verhindern

Trotzdem können wir alle etwas tun. Wir können darauf achten, dass die verkürzte Botschaft mit ihrer Quelle verbunden bleibt – durch einen direkten Link darauf oder durch den Verweis auf einen wissenschaftsjournalistischen Beitrag, der die Studie einordnet.
Die Behauptung, dass eine Studie dieses oder jenes beweise, ist nicht für sich genommen schlimm. Ich hasse diesen Satz vielmehr, weil er so oft verwendet wird, um mangelnde Recherche zu verdecken. Wer eine Studie nicht nennt, hat in der Regel auch nicht hineingeschaut. Das ist der gefährliche Moment, denn jetzt wird die Verbindung zur Wissenschaft gekappt und die Botschaft beginnt ihr eigenes Leben.
Eine Meldung ohne Link zu ihrer Quelle kann jahrelang als Zombie durch die Medien geistern, selbst wenn die Studie längst als Fälschung enttarnt oder bei einer Überprüfung widerlegt worden ist. Die Meldung lässt sich auch für neue Zwecke einspannen, weil kein Widerstand zu befürchten ist. Kein Forscher wird sich beschweren, er habe eigentlich etwas anderes sagen wollen – er wird ja nicht genannt. Die namenlose Studie ist daher das ideale Werkzeug für die Produzenten von Fake News. Dieses Werkzeug sollten wir ihnen wegnehmen.

Alexander Mäder, Jahrgang 1972, lehrt digitalen Journalismus an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Zuvor hat er 15 Jahre als Wissenschaftsjournalist gearbeitet: Erst bei der "Berliner Zeitung", dann als Ressortleiter bei der "Stuttgarter Zeitung" und schließlich als Chefredakteur des Magazins "Bild der Wissenschaft". Der studierte Philosoph schreibt über medienethische Themen auf Spektrum.de sowie über die Klimakrise und über Zukunftsfragen auf der Plattform RiffReporter.de.

Porträtaufnahme: Wissenschaftsphilosoph Alexander Mäder
© Kai R. Joachim
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