Gesundheit

Wenn die Grenzen verschwimmen

Von Anja Arp · 16.01.2014
Vergesslich und traurig sein, aggressiv und müde, sich antriebslos fühlen. Das sind Symptome, die sowohl bei einer Depression als auch bei einer Demenz auftreten können. Und gerade bei älteren Menschen sind sie in ihren Erscheinungsformen so ähnlich, dass selbst Fachärzten eine genaue Diagnose zunächst schwer fällt.
Und gerade bei älteren Menschen sind sie in ihren Erscheinungsformen so ähnlich, dass selbst Fachärzten eine genaue Diagnose zunächst schwer fällt. Dabei können im Fall einer Depression, Medikamente gut helfen und selbst die Demenz kann zumindest zeitweise zurückgedrängt werden.
Auszüge aus dem Manuskript:
Vergesslich, traurig, aggressiv, müde, antriebslos, appetitlos, ängstlich, hilflos, orientierungslos, verzweifelt, wütend, aufbrausend, niedergeschlagen, wortlos.
"Wenn jemand die Welt nicht mehr versteht, weil er sich nicht mehr richtig orientieren kann. Und immer das Gefühl hat, ich müsste es doch eigentlich wissen, weil ich etwas tun muss. Und ich weiß aber nicht mehr genau, was ich tun muss. Unter diesem ständigen Druck versagen dann auch die Gefühle. Man gerät in Angst, wird erschöpft und depressiv. Und diese affektive Belastung, diese aufgewühlten Gefühle, die überfordern das Gehirn natürlich zusätzlich noch mehr. Und diese geistigen Leistungsstörungen nehmen noch weiter zu, bis sich die Sache wieder beruhigt hat."
Symptome, die auch Marliese Müller plötzlich an den Tag legte. Die 81-jährige Frau lebt seit ein paar Jahren im Haus Wetterstein in Brühl. Dort gibt es eine Beschäftigungsgruppe für demente Menschen:
"Marliese hilft immer beim Abendessen. Sie schmiert die Brote. Also wir haben da Teamarbeit. Die Marliese schmiert die Butter drauf und ich die Wurst. Das ist überhaupt ein ganz wichtiger Aspekt, dass die Teilnehmer mit in den Alltag einbezogen werden. Also das ist eigentlich das oberste Ziel bei uns hier in der Wohnküche oder in unserem Beschäftigungsprogramm, dass wir versuchen, ganz normalen Alltag zu leben, soweit das überhaupt noch möglich ist. Und dann kommen manchmal auch schon noch Restfähigkeiten wieder hervor, die durch Motivation und Motivieren einfach wieder getraut werden. Das ist ganz wichtig. Dass da Vertrauen geschaffen wird, dass man sich auch wieder alte Sachen traut, die man verlernt hat. Und die Marliese ist jemand, der immer fleißig ist und uns immer beiseite steht, wo sie nur kann, stimmt doch, ne?"

Auf dem Bild ist ein an Demenz erkrankter Mann in einem Seniorenheim zu sehen. In der rechten Hand hält er eine Hantel. Der Rentner nimmt an der Morgengymnastik teil.
Ein an Demenz erkrankter Mann in einem Seniorenheim bei der Morgengymnastik © picture alliance / dpa / Foto: Felix Kästle
Zwei Krankheiten - ähnliche Symptome
"Als ich das erste Mal ins Krankenhaus kam, kam sie aus dem OP. Und wirkte eigentlich schon wieder ganz vernünftig. Aber das war ein großer Irrtum. Es folgte dann, wenige Tage später, die zweite Operation, weil es wirklich ein komplizierter Bruch war. Und in der Woche habe ich schon gemerkt, dass meine Mutter sich überhaupt nichts mehr merken kann. Ich habe ihr jeden Tag x-mal erzählt, warum sie eine Schiene an dem Arm hat, dass sie nicht wegen ihres Knies da ist. Sie hat alles durcheinander gebracht. Und das hat mich schon sehr verwundert."
Zwei Frauen, zwei Krankheiten – und doch ähnliche Symptome: Vergesslich, traurig, aggressiv, müde, antriebslos, appetitlos, ängstlich, hilflos, orientierungslos. All das kann sowohl bei einer Demenz als auch bei einer Depression auftauchen. Beide Erkrankungen sind gerade bei älteren Menschen in ihren Erscheinungsformen so ähnlich, dass selbst Fachärzten eine genaue Diagnose schwer fällt.
"Das ist eben das Problem im hohen Alter."
Professor Hans Förstl. Er ist Direktor der psychiatrischen Klinik der Technischen Universität München und hat täglich mit solchen Patienten zu tun.
"Denn man tut sich sehr schwer, bestimmte Grunderkrankungen voneinander abzugrenzen. Weil auch die Symptome dieser Erkrankungen vollkommen ineinander verschwimmen können. Und oft erst der Verlauf zeigt, was wirklich in erster Linie dahinter steckt. Irregeleitet ist die Öffentlichkeit im gewissen Sinne auch durch die Wissenschaft. Man spricht immer gerne von Alzheimer, dann im Gegensatz die Durchblutungsstörungen und dann die Depression. So, als würde sich das nicht überlagern und nebeneinander stehen. Das ist eine Pseudoschärfe, die man in der Wirklichkeit, im Krankenhaus, in der Praxis kaum antrifft."
Dabei unterscheiden sich die beiden Krankheiten im Kern deutlich voneinander: Eine Demenz entsteht als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Erkrankung des Gehirns. Das auffälligste Symptom ist dabei die Gedächtnisstörung, die vor allem das Kurzzeitgedächtnis betrifft. Hinzu kommen Sprachstörungen und die Motorik kann beeinträchtig sein.
"Die typischen Merkmale bei einen Demenzsyndrom also Syndrom bedeutet , da gehören immer mehrere Symptome dazu, sind Vergesslichkeit. Aber es bleibt da nicht allein bei dieser Gedächtnisstörung, sondern vor allem auch Wortfindungsstörungen, auch Orientierungsstörungen. Und das alles führt dazu, dass der Mensch nicht mehr wie gewohnt seinen Alltag bewältigen kann. Das ist ein Demenzsyndrom."

Alte Menschen in einem Seniorenheim der Arbeiterwohlfahrt
Alte Menschen in einem Seniorenheim der Arbeiterwohlfahrt© dpa / picture alliance / Klaus Rose
Eine Depression hingegen ist eine psychische Erkrankung, bei der eine niedergeschlagene Grundstimmung im Vordergrund steht. In der Praxis ist die exakte Abgrenzung von Demenz und Depression gerade bei älteren Menschen jedoch oft schwierig:
"Jeder, der sich ein bisschen auskennt mit alten Menschen und jeder, der auch ein bisschen Gelegenheit hatte, Gehirne alter Menschen anzuschauen, mit neuen Bildgebenden Verfahren und klassischen neuropathologischen Hirnuntersuchungstechniken, der weiß, dass es ganz schwer ist, zu trennen und zu unterscheiden, was bei dem jeweiligen Patienten das wirklich Wesentliche ist, das im Vordergrund steht."
In beiden Fällen kann das Gedächtnis, das Denken, die Orientierung und die Auffassungsgabe nachhaltig beeinträchtig sein. Genau das beobachtete Barbara Cepielik aus Köln bei ihrer 85-jährigen Mutter. Juliane Cepielik lebte bis vor kurzem noch allein in Bremerhaven und war vollkommen fit und selbstständig - bis sie nach einem Armbruch aus der Narkose erwachte und völlig verwirrt war.
Das vollständige Manuskript zur Sendung als PDF-Dokument oder im barrierefreien Textformat zum Download