Gesundheit

Algen sind notorische Giftsammler

Algenpulver und Algentabletten: Wie gesund sind derlei Präparate?
Algenpulver und Algentabletten: Wie gesund sind derlei Präparate? © imago/Niehoff
Von Udo Pollmer · 05.08.2016
Algenpräparate gelten als Wunderheiler bei der Entgiftung des Körpers - dabei stecken sie selbst voller Gifte. Besonders fatal: Für die gefährlichen Stoffe in Algen fehlen in Deutschland geeignete Grenzwerte, warnt unser Kolumnist Udo Pollmer.
Die Anbetung der Algen nimmt immer skurrilere Züge an. Gegenüber den Wunderheilungen, die Algen angeblich vollbringen, verblasst sogar das Wirken der Madonna in Lourdes. Algenpräparate werden als Königinnen der Entgiftung beworben, als Detox-Kur de luxe für einen verseuchten Körper.
Unter Biologen sind Algen jedoch als notorische Giftsammler bekannt. Wer das Zeug schluckt, entgiftet seinen Body wohl kaum – im Gegenteil, er muss vielmehr damit rechnen, dass er sich eine Extraportion Schadstoffe zuführt.
Überstrahlt wird das Detox-Wunder vom sagenhaften Gehalt an Vitamin B12. Aber in Algen steckt leider kein B12. Wenn es tatsächlich drin sein sollte, dürfen wir auf fäkale Verunreinigungen tippen – denn Fäkalien enthalten reichlich Vitamin B12.
Stattdessen liefern die Algen sogenannte Pseudovitamine, die bei der Analytik leicht mit B12 verwechselt werden. Die Pseudovitamine blockieren das echte Vitamin B12. Diese Einsichten sind sogar in der englischsprachigen Wikipedia angekommen.

Keine Untersuchung auf Cyanotoxine in Deutschland

Besonders problematisch können "Algenpräparate" aus sogenannten Blau-Algen sein. Viele von ihnen produzieren Cyanotoxine. Spirulina beispielsweise vermag zwar selbst keines dieser Gifte zu erzeugen, ist aber häufig mit den Giftproduzenten vergesellschaftet. Daher die Rückstände.
Cyanotoxine zerstören die Leber, einige sind krebserregend, manche schädigen Nerven und Gehirn. In Kanada beispielsweise korrelierten bei der Bevölkerung Muskelschmerzen, Bauchweh und Hautprobleme mit dem Gehalt an Cyanotoxinen im Trinkwasser.
In Deutschland sind Badeseen und Trinkwasserspeicher betroffen. Die Wasserwerke in Solingen bekamen das vor wenigen Jahren zu spüren, als in Talsperren des Bergischen Landes dunkelrote Algenblüten auftraten, die hochgiftige Cyanotoxine produzieren. Der Wasserversorger musste Millionen investieren, um die Gifte wieder zu herauszufiltern.
Auch die Bewässerung von Gemüse wirft Fragen auf. Kein Landwirt analysiert vorher sein Beregnungswasser, das er aus nahegelegenen Bächen oder Teichen auf die Felder pumpt. In England musste wegen giftigen Beregnungswassers eine Kopfsalaternte vernichtet werden. In Deutschland wird erst gar nicht auf Cyanotoxine untersucht.

Nährstoffmangel als Ursache

Ursache für die giftigen Algenblüten in Talsperren ist nicht Überdüngung, sondern oft ein Mangel an bestimmten Nährstoffen. Vor allem Nitratmangel begünstigt das Wachstum der anpassungsfähigen Giftproduzenten. Im Dümmer, einem See in der Nähe von Hannover gelang es, die Algenblüten durch eine Nitratdüngung erfolgreich zu bekämpfen.
Vor der erfolgreichen Bekämpfung: Stinkende Blaualgen am Dümmer See.
Vor der erfolgreichen Bekämpfung: Stinkende Blaualgen am Dümmer See.© picture alliance / dpa / Ingo Wagner
Auch kristallklare Gewässer können betroffen sein. So vergiftete sich in den Alpen eine Rinderherde, als sie aus einem Bergsee soff.
Inzwischen wird die Landwirtschaft von einer bisher unbeachteten Gefahr bedroht: Wie die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft mitteilt, leidet unser Milchvieh zunehmend unter Algen. Diesmal geht es nicht um Gifte, sondern um eine Infektion. Die farblose Grünalge Prototheca ist die einzige Pflanze, die Mensch wie Tier infizieren kann.
Beim Menschen treten meist Ekzeme auf, bei Rindern kommt es zu einer Euterentzündung. Die Kühe fangen sich die Prototheken auf feuchten Wiesen oder auf nassen Liegeflächen ein. So gelangen sie in die Zitzen, infizieren das Euter und werden in die Milch sekretiert. Da es bis heute keine Therapie gibt, müssen kranke Tiere geschlachtet werden. Da könnten bittere Zeiten auf unsere gebeutelten Milchviehalter zukommen.

Algen machen Freude

Nachgewiesen wurden Prototheca-Algen bereits auf vielen Lebensmitteln, egal ob tierisch oder pflanzlich. In aller Regel sind die Gehalte nicht infektiös. Schließlich erkranken an der Protothecose so gut wie nie Endverbraucher, sondern nach bisheriger Kenntnis hin und wieder Fischer, Fischhändler und Reisbauern. Schließlich lieben diese Algen das nasse Milieu.
Ungeachtet der Risiken machen Algen auch Freude. Manche von ihnen liefern Verdickungsmittel wie Agar-Agar. Doch erst, wenn die Reinheitsanforderungen erfüllt sind, werden sie zu Gummibärchen oder Desserts verarbeitet. Mahlzeit!
Literatur
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