Gesunde Ernährung

Das Geschäft mit der Lebensmittel-Intoleranz

Lactose- wie auch glutenfreies Essen findet sich heutzutage häufiger in den Regalen von Geschäften. Allerdings bezweifeln Ernährungsberater die Wirksamkeit einer glutenfreier Diät.
Glutenfrei geht gut - finden nicht nur Bäckermeister, sondern auch die Industrie. © picture alliance / dpa / Peter Endig
Von Ernst Ludwig von Aster · 03.11.2015
Glutenfreie Lebensmittel verkaufen sich gut. Das hat die Industrie bemerkt - und wirbt für ihre Spezialprodukte auch bei Kunden, die gar keine Glutenunverträglichkeit haben. Einige Tricks haben Verbraucherschützer auf den Plan gebracht.
Neugierig steht eine Kundin vor dem Bäckerei-Tresen, mustert das Angebot: "Michi", das Weißbrot, "Felix", das Bauernbrot, "Jürgen", das Körnerbrot
"Einen 'Günther' hätte ich gerne!"
"Günther" – natürlich, laktose- und glutenfrei, wie alles hier.
"Ich wollte es einfach mal probieren, also weil ich gerne ohne Weizen mich ernähre. Und dadurch wollte ich diesen Laden sowieso mal probieren."
Berlins erste glutenfreie Bäckerei. Wo mit Mais-, Reis- und Kastanienmehl gebacken wird. Ohne Milch. Gesundheitliche Probleme mit Laktose oder Gluten hat die Kundin aber nicht.
"Ich glaube, das ist so ein bisschen Mode, und dann merkt man einfach, dass man den Weizen durch andere Sachen einfach ersetzt, dann hat man gleich das Gefühl, man lebt ein bisschen gesünder."
Friedrich von Gilsa hört es. Und lächelt zufrieden. Zusammen mit seiner Frau betreibt er seit gut einem Jahr die Bäckerei. Handwerkliche Brotherstellung, ohne Weizenmehl. Mittlerweile eine feste Adresse für alle, die an Zöliakie leiden, einer schweren Glutenunverträglichkeit. Und die das sogenannte Klebe-Eiweiß aus gesundheitlichen Gründen meiden müssen. In Deutschland ist das rund ein Prozent der Bevölkerung.
"Viele Kunden von uns ernähren sich auch glutenfrei, obwohl sie überhaupt keine Intoleranzen haben. Das ist natürlich auch ein Grund, warum unser Geschäft überhaupt existieren kann."
Zu Besuch in Berlins erster glutenfreien Bäckerei.
Zu Besuch in Berlins erster glutenfreien Bäckerei.© Deutschlandradio / Ernst Ludwig von Aster
Ein Geschäft mit der Intoleranz, auch wenn diese gar nicht vorliegt. Da lohnt sich sogar das arbeits- und zeitintensive Bäckerhandwerk wieder. Die Wertschöpfung durch Weglassen hat die Nahrungsmittelindustrie schon lange für sich entdeckt.
"So, also da gehen wir gerade mal durch, so das ist mein Reich."
Ein großes Büro, zwei Schreibtische, ein schöner Blick über die engen Straßen des Hamburger Stadtteils St. Georg – das ist Armin Valets Reich. Bei der Verbraucherzentrale Hamburg. Dutzende Aktenordner stehen in den Regalen. Jeder dokumentiert eine Fehlentwicklung. Mal Analogkäse, mal Mogelpackungen.
"Der 'Frei von'-Markt, natürlich - es ist immer ein Thema."
Der "Frei von"-Markt boomt seit Jahren. Ob zuckerfrei, glutenfrei oder laktosefrei – das, was nicht im Produkt ist, wird immer mehr zum Verkaufsargument.
Vom Nischenartikel zum Industrieprodukt
"Vorher waren es Nischenprodukte. Und dann hat es die Industrie entdeckt. Wir haben ja jedes Supermarktregal voll, es gibt sogar extra Regale mit diesen 'Frei von' Laktose oder ohne Gluten. Und das ist das Interessante, weil in dem Bereich wirklich noch Geld zu verdienen ist, große Konzerne wie Nestle wollen wirklich in diesen Gesundheitsmarkt."
Valet greift zu einer Anzeige aus der "Lebensmittelzeitung", dem Leib- und Magenblatt der Nahrungsmittelbranche. Ganzseitig wirbt der Schweizer Konzern für sein neuestes Produkt: "Glutenfrei. Trendbewusst. Designstark". Es geht um Cornflakes. "Neuer Konsumenten-Trend", frohlocken die Werber. Weiter heißt es: "Viele Konsumenten, die glutenfreie Produkte kaufen, haben keine Glutenunverträglichkeit, verzichten aber auf Gluten, da sie sich damit besser fühlen."
"Große Konzerne wollen auch ganz offensiv im Marketing nicht nur die Erkrankten oder die Verbraucher ansprechen die da eine Unverträglichkeit haben. Nein, es ist ein Trendprodukt, ein Modeprodukt und da will man aufspringen, will möglichst alle Verbraucher ansprechen."
Die Profitmargen im "Frei von"-Markt sind riesig. Bis zu dreimal mehr kassieren die Hersteller für Produkte, wo sie mal auf Gluten, mal auf Laktose verzichten, haben die Verbraucherschützer bei ihren Untersuchungen herausgefunden.
"Zum Teil sind ja Produkte wie zum Beispiel Hartkäse frei von Laktose weil während der Reifung bauen die Milchsäurebakterien, bauen die Laktose ab. Es ist eigentlich ja eine Werbung mit Selbstverständlichkeiten im Lebensmittelrecht verboten."
Und darum zogen die Verbraucherschützer vor Gericht. Und argumentierten: Wenn von Natur aus keine Laktose im Produkt ist, darf es auch nicht mit "laktosefrei" beworben werben.
"Da haben wir leider Schiffbruch erlitten. Die meisten Richter sahen das anders, sahen das als eine Information für den Verbraucher. Deswegen müssen wir jetzt weiter aufklären und den Verbrauchern sagen: Also das ist oft ein Marketingtrick."
Die Vermarktung des Nichts. Zum Vielfachen des Preises. Ein wahres Wunder der Wertschöpfung. Im rechtsfreien Raum.
"Wir aber meinen, dass das nicht der richtige Weg ist, Verbraucher anzusprechen, die überhaupt nicht erkrankt sind, die dann aber dann oft das Doppelte oder Dreifache bezahlen sollen. Es ist natürlich auch unsere Arbeit, die Verbraucher aufzuklären, ihnen klar und deutlich zu machen Ihr müsst dieses Produkt nicht kaufen, es bringt euch kein bisschen mehr Gesundheit. Das ist aber schwierig. Weil es gerade ein Trendprodukt ist, ein Lifestyleprodukt, wo man gerne zugreift und gern auch mehr bezahlt."
Mehr Ausgaben, aber nicht mehr Gesundheit. Gratis dazu gibt es oft reichlich Zusatzstoffe. Die dafür sorgen, dass die Produkte fast so schmecken wie früher. Als noch alles drin war.
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