Gesund werden oder gesund sein

Von Rolf Schneider |
„Wellness“-Einrichtungen betonen in Deutschland den Genuss und schließen die Anstrengung eher aus. Die Angebote richten sich an immer speziellere Zielgruppen. So gibt es zum Beispiel auch christliche Wellness, die sich für zahlende Laien in Klöstern betreiben lässt. Dort wird auch ein Tanzkurs unter dem Titel „Gott liebt Tango“ angeboten.
Für den Ursprung des Wortes Wellness gibt es zweierlei Erklärung. Die eine führt zurück auf die Mitte des 17. Jahrhunderts, als in England erstmals wealnesse gebraucht wurde, was gute Gesundheit bedeutet. Die andere sieht es als moderne amerikanische Erfindung, komponiert aus dem Adverbium well, für gut, und happiness, für Glück. Es handle sich, weiß das Wörterbuch, um eine neuartige Gesundheitsbewegung, die zu körperlichem, geistigem und seelischem Wohlbefinden führen will.

Der erste Praktiker der Wellness-Bewegung war der amerikanische Sportmediziner Kenneth H. Cooper. Er lässt sich auch gerne Vater der Aerobic-Bewegung nennen. Aerobic ist eine Gymnastik, die man in Gruppen und zu Popmusik absolviert. Cooper eröffnete ein eigenes Aerobic-Zentrum im Bundesstaat Texas, selber ist er Marathonläufer und trainierte zum Beispiel die brasilianische Fußballmannschaft. Unübersehbar, dass bei Cooper Wellness mit viel Aktivität und körperlicher Anstrengung zu tun hat.

Das aber ist es nicht, was man hierzulande unter Wellness versteht. In Deutschland existiert ein eigener Wellness-Verband, der als sein Ziel „gesund leben mit Genuss“ verkündet. Anstrengung und Genuss schließen einander aus. Angeboten werden daher, in den entsprechenden Einrichtungen, zum Beispiel Darmspülungen mit Rosenblätteressenzen und Hot-chocolate-Massagen einschließlich White-chocolate-Peeling oder Kleopatra-Bäder in Ziegenmilch.

Man hält es auch weniger mit Kenneth H. Cooper als mit dem französischen Arzt René Leriche, der „Gesundheit als Leben im Schweigen der Organe“ definiert. Deutsche Wellness ist nicht das schweißtreibende Training in Fitness-Centern und Muckibuden; wenn schon Schweiß, dann allenfalls in finnischen Biosaunen, wo das sanfte Auspeitschen mit frischen Birkenzweigen und der anschließende Sprung in kaltes Wasser schon das Optimum an Aktivität bieten.

Das Auspeitschen wird zudem meist von dienstbaren Geistern besorgt. Gesund werden oder gesund sein ohne jegliche Anstrengung ist das Prinzip deutscher Wellness. Das Echo, will sagen: der Erfolg ist außerordentlich. Der schon erwähnte Verband behauptet, die führende Organisation ihrer Art in Europa zu sein. Die Zahl entsprechender Einrichtungen ist groß. Es gibt Hotels und Spa-Betriebe in größerer Zahl. Es gibt Bücher, Broschüren, Videos, Tonträger, Kurse und Wellness-fördernde Mahlzeiten die Menge. Wellness ist eine Industrie.

Deren Umsätze wachsen ständig. Auch die Diversifikation ist bedeutend. Esoterisch gestimmte Personen verzehren gern indischen Lassi, das ist eine spezieller Joghurt, den man mit Safran oder Mango würzt, und natürlich bevorzugen sie Ayurveda-Massagen. Esoterik ist weit verbreitet. Noch verbreiteter, jedenfalls hierzulande, ist das Christentum. Derart gibt es dann auch christliche Wellness.

Die Protestanten, eher auf Leistung und Tüchtigkeit gestimmt, gehören nicht oder noch nicht zu den Anbietern. Der Katholizismus ist da weiter, schon weil er älter ist und sich in Genussdingen auskennt. Auch das Fasten ist dort eine besonders gut eingeführte Übung, und mit Fasten, unter theologischem Zuspruch, lassen sich überflüssige Pfunde verlieren. Dies kann man in Klöstern betreiben, als zahlender Laie. Dass katholische Monasterien Wirtschaftseinrichtungen sind, unter anderem, gilt seit ihrer Gründung durch den heiligen Benedikt. In der Gegenwart braucht es, um am Markt zu bestehen, ein entsprechendes Management. Einige Brüder haben es zu viel bewunderten Spezialisten in modernen Betriebsführung gebracht.

Auf den Umsatz durch Wellness mochte man da nicht verzichten. Es gibt einschlägige Klöster, so jenes in Arenberg bei Konstanz, das von Dominikanerinnen unterhalten wird. Für die Wellness brachte es insofern gute Voraussetzungen mit, als es früher schon ein Sebastian-Kneipp-Sanatorium unterhielt. Heute nennt man sich Deutschlands erstes Wellness-Kloster und offeriert: Schwimmbad, Sauna, gymnastische Übungen, Tautreten und Aquafitness. Auch die Teilnahme an Gebetsstunden ist möglich, zudem existiert ein weitläufiger Park samt Kräutergarten, Schwestern, die erklären Pflanzen und bieten Tee an. Für die von blühenden Blumen angelockten Insekten gibt es ein Insektenhotel.

Eine andere klösterliche Einrichtung, Kostenz im Bayerischen Wald, offeriert Wellness wörtlich so: „Gönnen Sie sich in einer geborgenen Atmosphäre Zeit für sich selbst... Genießen Sie bei sanften Körper-, Entspannungs- und Sensibilisierungsübungen, Meditation, Tanz, Musik, Gesprächen, Saunen und Schwimmen sich selbst die wunderbare gemeinsame Zeit.“

War da eben von Tanzen die Rede? Das erwähnte Arensberg hat nicht bloß klostereigenen Honig, sondern auch einen Tanzkursus, unter dem Titel „Gott liebt Tango“.

Von islamischen Wellness-Einrichtungen ist noch nichts zu vernehmen. Sicher werden sie eröffnen, und dies schon bald.

Rolf Schneider: Schriftsteller, Essayist, Publizist. Er stammt aus Chemnitz. und war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift „Aufbau“ in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller. Wegen „groben Verstoßes gegen das Statut“ wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem zuvor mit elf Schriftstellerkollegen in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte. Veröffentlichungen u.a. „November“, „Volk ohne Trauer“ und „Die Sprache des Geldes“. Rolf Schneider schreibt gegenwärtig für eine Reihe angesehener Zeitungen und äußert sich insbesondere zu kultur- und gesellschaftspolitischen Themen.
Rolf Schneider, Schriftsteller und Publizist
Rolf Schneider, Schriftsteller und Publizist© Therese Schneider