Gestrandet unter Palmen

Von Heiner Kiesel · 23.03.2013
Mallorca ist die Lieblingsinsel der Deutschen. Über drei Millionen fahren jedes Jahr dorthin. Aber auch auf der Insel wächst die Zahl prekärer deutscher Biografien: Gut 100 obdachlose Bundesbürger gibt es dort.
"Ah ja, ach Scheiß Wetter, schon wieder Wind. Scheiße! Arschkalt. Ochja, Jessesmariaundjosef."

Harald Fock schält sich aus seinem Lager aus Decken und Planen, in einem kleinen Park unterhalb der Altstadt von Palma de Mallorca. Er zieht gleich die Kapuze über seine weißen Haare. Der 61-Jährige lebt obdachlos auf der Ferieninsel. Neben ihm auf einer Bank liegt noch einer aus Deutschland, unter vielen Decken eingemummt wegen der feuchten Kälte. Fock setzt seine Brille auf, macht sich fertig. Er hat so eine Art Job.

"Ich mache Parking in der Bonaire, da bin ich seit 13 Monaten, betteln tu ich nicht, das kann ich nicht, das habe ich noch nie gekonnt."

Er braucht zehn Minuten zu seinem Einsatzort. Parking machen, das bedeutet ungebeten Leute in einen freien Parkplatz zu lotsen und dann die Hand aufzuhalten. Über ein Jahr macht er das schon. Vor einem Supermarkt mit 18 Parkplätzen. Die Polizei lässt ihn, obwohl es verboten ist.

"Ja es fährt einer raus. Der fünfte Wagen, mal kucken was jetzt passiert."

Er winkt einen roten Kleinwagen heran. Weist den Fahrer in die Lücke.


"Einen Euro es gab, einen Euro!"

Fock ist seit acht Jahren auf Mallorca. Anfangs als Anlageberater in einem Callcenter. Als er Stress mit einem Vorgesetzten bekommt, verliert er erst den Job, schließlich die Wohnung. Der Börsenmakler stürzt ab, wird Bettler. Seine Papiere sind längst abgelaufen. Aber er müht sich. Die Anwohner mögen den Deutschen, stecken ihm oft was zu. Wie der Gemüsehändler von gegenüber.

"Oh, oh, oh, heute will er. Señor, Señor, por favor uno momento, Gemüseh... ¡Señor! Gracias, si wunderbar. ¡Gracias señor!"

Ein wunderbarer Ort in Frankreich lockt

Zwei Euro! Fock sprüht vor Freundlichkeit beim Betteln, aber eigentlich hat er Mallorca satt. Ein dürftiges Sozialsystem, keine Jobs, Wirtschaftskrise. Er will wieder aufs Festland. Er hat von einem wunderbaren Ort in Frankreich gehört. Seine Gesichtszüge werden weich, als er davon erzählt.

"Ich möchte erreichen, Ende April nach Südfrankreich runterzugehen. Du, das ist traumhaft da, du kommst da runter und da gibt es eine Fürsorgestelle. Dann geben sie dir als Handgeld erst mal 70 Euro oder sie fragen dich, ob du irgendwo ins Hotel möchtest, das bezahlen die und ob du Arbeit haben möchtest."

Zweifel an all dem hat Fock nicht. Aber:

"Dafür brauche ich den Ausweis und dafür brauche ich Geld für die Fähre, denn ich muss erst mal von der Insel runter. Der Stefan besorgt mir ja eventuell den Ausweis, der muss ja zur Botschaft hin und dann kann er das vielleicht auch gleich regeln."

Ein Friseurgeschäft nur ein paar Blocks weiter. Stylisch, duftend, sauber. Ganz anders als draußen die Penner. Stefan, der Mann auf den sich die Hoffnung Harald Focks richtet, ist hier. Stefan Werner, Friseurmeister: Mitte 40, sportlich. Gerade verpasst er einer Kundin einen neuen Look.

"Ich habe das Problem, bei den Jungs, die ich da hab, bei der Hälfte da fehlen die Zähne. Der älteste, den ich habe der ist 61 und die anderen sind so 25."

Mission: Helfen

Seine Jungs, das sagt er oft, wenn er seinen Kunden erzählt, wie er den Obdachlosen in Palma zweimal die Woche Kleidung und Zahnbürsten bringt. Es ist seine Mission, und seine Kunden spenden Kleider und Geld. Heute erzählt er der Kundin von Fock. Dass er ihn am liebsten von der Insel runter bringen würde. Wenn Fock unbedingt will, nach Frankreich, besser aber zurück ins soziale Netz, nach Deutschland. Deswegen hat er vorhin mit dem Konsulat telefoniert.

"Ich habe versucht, jetzt ausfindig zu machen, wie wir den Pass organisieren können, wie viel das kostet, was wir dafür brauchen und jetzt wollen wir mal schauen, was er dazu sagen wird."

Beim nächsten Termin wird seine Kundin dann erfahren, wie es weitergegangen ist mit Werners Schützling. Für heute ist sie erst mal zufrieden. Mit ihrem Haarschnitt und den Nachrichten von ganz unten.

Später Nachmittag: Harald Fock kehrt wieder zu seinem Lager in dem kleinen Park zurück. Früher als sonst, weil er Stefan Werner nicht verpassen will. Sein obdachloser Landsmann hockt mit struppigem Bart auf seinen Decken.

Zurück nach Deutschland?

"Guten Abend, junger Mann."

Die beiden haben sich nicht viel zu erzählen. Fock hat heute magere sieben Euro als Einparkhelfer eingenommen. Der andere 75 Cent beim Schnorren in der Innenstadt. Dann: Kurz nach Einbruch der Dunkelheit, endlich.

"Hallo." - "Hallo Grüß dich, geht es dir gut?" - "Naja."

Harald Fock setzt sich auf das Mäuerchen, Stefan Werner, jetzt mit Wollmütze, geht vor ihm in die Hocke. Er hat schlechte Nachrichten. Beim Konsulat gibt es nur Papiere für eine Rückreise nach Deutschland.

"Ich helfe dir nach Deutschland." - "Nach Deutschland will ich ja nicht, ich habe keine Lampe in Deutschland, gar nichts, ich habe keinen Bezug mehr nach Deutschland."

Der Friseurmeister lässt nicht locker. Er hat schon mal einen zurück vermittelt, nach Berlin. Dem geht es dort ganz gut! Mit Wohnung und Job. Werner sagt, er treibt das Geld für das Ticket auf. Da kann auch Harald Fock nicht mehr Nein sagen.

"Sobald er alles erledigt hat, sobald das Ticket da ist, freue ich mich auf einen Flug nach Berlin."

"Komm, okay? Das ist ein Wort. Okay!"

Werners Augen leuchten, als er geht. Wieder einer gerettet. Fock sieht eher erschöpft aus. Es wird nichts aus Frankreich, seinem Traum. Stattdessen eine Reise ins Ungewisse. Er schüttelt den Kopf, dann schlüpft er wieder unter seine Decken, die Plane. Wie immer. Vielleicht ja nicht mehr lange.

Programmhinweis: Eine lange Version der Reportage "Gestrandet unter Palmen" von Heiner Kiesel können Sie am Sonntag um 13.05 Uhr in der Sendung "Die Reportage".