Gestrandet in Rheinsberg

Klangforschung in Quarantäne

55:24 Minuten
Junge Musiker des OEIN-Orchesters mit ihren Flöten im Innenhof der Musikakademie Rheinsberg
Musiker des OEIN-Orchesters mit ihren Sicu-Flöten vor der Musikakademie Rheinsberg © OEIN / Ariel Amador
Von Julia Kaiser · 12.06.2020
Das "Orquesta Experimental de Instrumentos Nativos" war nach Deutschland gekommen, um mit dem Berliner Solistenensemble PHØNIX16 das Festival MaerzMusik zu eröffnen. Gut zwei Monate lang saßen die 25 Musiker und Musikerinnen in Rheinsberg fest.
Gedacht war alles anders: Das bolivianische "Orquesta Experimental de Instrumentos Nativos" (OEIN) reiste am 10. März 2020 in Deutschland ein, um zusammen mit dem Berliner Solistenensemble PHØNIX16 das Eröffnungskonzert des Festivals "MaerzMusik" zu spielen.
Geplant waren Auftritte im Haus der Berliner Festspiele, im Kraftwerk Berlin sowie am Europäischen Zentrum der Künste in Dresden-Hellerau. Aufgrund der Corona-Pandemie mussten kurz darauf sämtliche Konzerte abgesagt werden. Auf die Absage der Veranstaltungen folgten internationale Reisebeschränkungen, die Stornierung von Flügen und die Schließung der bolivianischen Grenzen. Es gab für die Orchestermitglieder nun keine Möglichkeit mehr, in ihre Heimat zurückzukehren.

Gestrandet in der Idylle

Seit Mitte März saßen die 25 musikalischen Gäste also an ihrem Probenort in der Musikakademie Rheinsberg in Brandenburg fest. Ein Team von drei Personen des Solistenensemble PHØNIX16 befand sich mit ihnen vor Ort in Quarantäne und verantwortete die Betreuung der vorwiegend sehr jungen Musiker im Alter von 17 bis 34 Jahren. Sie koordinierten auch die Rückreise-Anstrengungen.
Musiker des OEIN Orchesters spielen ihre Panflöten vor der Musikakademie Rheinsberg
Musiker des OEIN Orchesters spielen ihre Panflöten vor der Musikakademie Rheinsberg© OEIN / Ariel Amador
Das 1980 gegründete OEIN Orchester ist eine einzigartige Formation mit Sitz in La Paz. Die Musiker sind zwischen 17 und 25 Jahre alt. Ihre musikalische Praxis wurzelt in der präkolumbianischen Musikkultur der Aymara, während ihre künstlerischen Ausdrucksmittel der experimentellen Musik verpflichtet sind.

Das Projekt "Environment"

Gemeinsam mit dem Ensembles PHØNIX16, das für Projekte von hoher musikalischer Intensität bekannt ist, starteten die insgesamt über 30 Musikerinnen und Sänger einen experimentellen Prozess. Im Dezember 2019 waren die Sängerinnen und Sänger aus Berlin in Südamerika zu Gast gewesen, im März 2020 kam das bolivianische Orchester nach Berlin.
OEIN-Musikerinnen während einer Probenpause, Blick von oben
OEIN-Musikerinnen während einer Probenpause, Blick von oben© OEIN / Ariel Amador
Zusammen entwickelten sie ein Projekt, das die präkolumbianische Musikkultur der Aymara mit experimentellem Stimmeinsatz verbindet. Sie begaben sich auf die Suche nach einer gemeinsamen künstlerischen Basis, in Anerkennung kultureller Unterschiede sowie des komplexen Erbes des Kolonialismus. Der gemeinsame künstlerische Prozess wurde "Environment" betitelt, im Sinne von Umwelt, Umgebung und Milieu.
Probenarbeit im Konzertsaal der Musikakademie Rheinsberg
Probenarbeit im Konzertsaal der Musikakademie Rheinsberg© OEIN / Ariel Amador
In ihrer Zeit in Rheinberg haben die Musikerinnen unterschiedliche Projekte erarbeitet.

Künstlerische Arbeit als Rettung

Eines davon war eine lange, festliche "Sicureada": traditionelle bolivianische Musik für großes Ensemble, die auf den Prinzipien der Kollektivität und Inklusion beruht. Es gehörten aber auch Tonaufnahmen des in Berlin und Hellerau geplanten Programms dazu, außerdem die Produktion zweier 360°-Filme und Video-Porträts der Musiker und Instrumente sowie die Einstudierung von Werken von Karlheinz Stockhausen oder John Cage.
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