Gespür für die Bildsprache des Gebäudes

Blick auf die Kuppeln des Berliner Doms.
Blick auf die Kuppeln des Berliner Doms. © picture alliance / Hans Joachim Rech
Von Bettina Ritter · 01.04.2013
Der Duden sieht für ihren Beruf gar keine weibliche Form vor: Charlotte Hopf ist Dombaumeisterin am Berliner Dom. Sie ist eine der wenigen Frauen in diesem Beruf. Jeden Tag guckt sie nach neuen Schäden und überwacht laufende Reparaturen.
Eine riesige, schwere Holztür – das Portal 8 neben dem Haupteingang des Berliner Doms. Charlotte Hopf muss jeden Tag durch diese Tür. Sie ist der Eingang zu ihrem Büro. Beinahe, denn erst muss die junge, schlanke Architektin eine scheinbar unendlich lange, schmale Wendeltreppe hochsteigen. 137 Stufen sind es bis in die oberste Etage des süd-westlichen Turmes.

"Geschafft! Das hier ist das Dombaubüro. Es geht noch ein kleines Stück höher…"

Ein hoher, achteckiger Raum eröffnet sich. In der Mitte: ein großer Besprechungstisch. Auf einer zweiten Ebene - einer Galerie - stehen in Nischen, die in die vier Himmelsrichtungen weisen, Arbeitsplätze mit Computern. Durch die großen, runden Fenster fällt viel helles Licht. Überall hängen Bilder, Fotografien und Zeichnungen des Berliner Doms.

Bevor sie die Stelle der Dombaumeisterin antrat, hatte sich Charlotte Hopf nicht mit dem 1905 eingeweihten Bau beschäftigt.

"Ne, gar nicht. Und das ist ein großer Fehler gewesen. Das weiß ich heute auch. Denn der Architekt, der den Dom gebaut hat, Julius Raschdorff, ist ein ganz interessanter Architekt, der aber bis heute kaum oder gar nicht erforscht ist, was schade ist, weil er jemand ist, der ganz am Ende einer Epoche stand und hier eigentlich ne Sprache benutzt hat aus einer Zeit, die es gar nicht mehr gab."

Barock nämlich, prunkvoll, verziert – als "historische Pralinenschachtel" schmähen den Dom manche sogar. Bei der Eröffnung der Kirche wurde der dekorative Stil kritisiert, Charlotte Hopf gefällt er.

Seit anderthalb Jahren ist Charlotte Hopf leitende Architektin am Berliner Dom. Jeden Tag guckt sie nach neuen Schäden, überwacht laufende Reparaturen, konzipiert langfristige Ausbesserungsarbeiten und treibt das Geld dafür ein. Dass sie die erste Dombaumeisterin ist - die erste Frau in diesem Job - ist für sie kein großes Thema. Zwar sieht sie mit ihrer schlanken Figur und den zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren mädchenhaft aus und wirkt durch ihre zurückgenommene Art fast ein wenig schüchtern. Doch wenn es nötig ist, kann sich die 35-Jährige durchsetzen.

"Gerade auf der Baustelle geht es darum, dass man rechtzeitig deutlich sagt, was man will, und das dann auch entsprechend vergütet, und alles andere ist nachrangig. Das lernt man. Schmerzhaft."

Die Braunschweigerin hat sich ganz regulär beworben. Dass die Stelle am Berliner Dom konfessionsgebunden war, war für die gläubige Christin kein Problem. Im vergangenen November wurde Charlotte Hopf im Rahmen eines Gottesdienstes der Titel Dombaumeisterin verliehen. Eine Auszeichnung für besondere Verdienste. Mit ihren Vorschlägen für Neuerungen habe sie immer ein besonderes Gespür für die architektonische Schönheit und die Bildsprache des Domes bewiesen, heißt es in der Begründung.

Davor hatte Charlotte Hopf an der Uni Dortmund und in Architektur-Büros gearbeitet, unter anderem bei Daniel Libeskind in New York und Warschau. Dabei war nicht immer klar, dass die Tochter einer Juristin und eines Chemikers Architektin werden würde.

"Wahrscheinlich gibt es zwei Sorten von Leuten. Es gibt die, die sagen mit drei Jahren, ich werde Lokomotivführer, und dann ziehen die das durch. Und dann gibt’s den ganz großen Rest, und da werden diese Entscheidungen vielleicht auch emotional oder auf welcher Grundlage auch immer getroffen."

Es war also eher eine Bauchentscheidung, dass Charlotte Hopf nach zwei Jahren Humanmedizin zur Architektur wechselte. Vor sieben Jahren zog sie wegen eines Jobs nach Berlin und blieb. Hier lebt sie allein im Stadtteil Wedding, einem noch unaufgeregten Teil der Hauptstadt.

Nur zurückhaltend spricht die 35-Jährige von sich selbst. Sie sei kein so privater Typ, sagt sie. Lieber zeigt Charlotte Hopf ihren Arbeitsplatz. Kein Wunder, der ist ja auch besonders eindrucksvoll. Also, auf in den Innenraum der Kirche.

Touristen unterhalten sich gedämpft und staunen über die barocke Pracht. Engelfiguren und Gold, wohin man blickt. In der 70 Meter hohen runden Kuppel glänzen kunstvolle Mosaike. Jedes Jahr kommen mehr als 700.000 Besucher hierher. Doch trotz aller Schönheit: Charlotte Hopf sieht berufsbedingt überall Probleme.

"Die ganze Bauphysik in diesem Raum ist extrem kompliziert, weil es ein riesengroßer Luftraum ist, und die Besucher unten unter dem Zug leiden und frieren und man kann natürlich immer mehr heizen und immer mehr befeuchten, und die Probleme werden damit aber immer größer."

Aber auch wenn der Bau in den Gedanken von Charlotte Hopf eine gigantische Großbaustelle ist – ab und zu gönnt sie es sich, den ganz besonderen Ort, an dem sie arbeitet, auch zu genießen. Dann findet sie eine stille Ecke im großen Dom und betet.

"Besonders schön ist natürlich, wenn an der Orgel geübt wird, und wenn man dann allein hier in diesem Raum sitzt, das ist schon was Besonderes."