Gesprochenes Erbe

Von Michael Schornstheimer |
Der Filmschauspieler Klaus Kinski rezitierte Gedichte von Francois Villon, Arthur Rimbaud, Goethe, Schiller und Brecht. Insgesamt nahm er Anfang der 60er Jahre mehr als 30 Sprechplatten auf. Doch seine eigenen Gedichte, die vermutlich Anfang der 50er Jahre entstanden, blieben zeit seines Lebens unveröffentlicht. Erstmals gedruckt erschienen sind sie zehn Jahre nach seinem Tod, 2001. Jetzt hat sie sein Sohn, Nikolai Kinski auf CD gesprochen. Ab heute geht er damit auf eine große Herbsttournee.
Nikolai Kinski ist 1976 in Paris geboren und in Kalifornien aufgewachsen. Der heute Anfang dreißigjährige Schauspieler konnte kaum deutsch, als er die Texte seines Vaters zum ersten Mal las. Doch dann packte ihn die Leidenschaft, erzählt er. Immer häufiger reiste er nach Deutschland und nahm hier schließlich eine Wohnung. Er fühle sich wohl in Berlin, auch wenn er häufiger nur wahrgenommen werde als der Sohn des egozentrischen Klaus Kinski.

"Es geht um die Texte meines Vaters, bevor er überhaupt mein Vater war. Und auch jünger als ich heute. Ich kann sehr viele Sachen vor dem Hintergrund seiner Zeit und seiner Besessenheit und seiner Sorgen ihn sehr gut verstehen."

Für Nikolai Kinski repräsentiert sein Vater noch immer den stolzen Freigeist, der lebenslang gegen das Spießbürgertum rebellierte. Seinen Gedichtzyklus "Fieber - Tagebuch eines Aussätzigen" fasst er als biographischen Bogen, der mit einer Selbstbefragung anfängt, Sexualität und Lust beschreibt und schließlich mit dem wenig verschlüsselten Todeswunsch aufhört. Vieles, fast alles, ist in Ich-Form. "Ich weiß nicht wer ich bin, und wer ich war", heißt es gleich zu Anfang in einem Ton, der an Klaus Kinskis spätere Villon-Rezitationen erinnert.

"Ich fliehe vor mir und meinem Leben
Und ich hasse mich, der mich vernichten will.
Aber ich bitte Gott um Schmerz und schweres Leben
Und um Gedanken nach dem Fieber"


Zum ersten Mal vorgetragen hat Nikolai Kinski die Texte seines Vaters anlässlich einer Präsentation auf der Frankfurter Buchmesse vor einem Jahr. Doch mit dem Resultat war er nicht zufrieden. Und so habe er sich eine Weile damit eingeschlossen und intensiv beschäftigt.

"Im Sande waren Spuren ohne Blut
Mir fehlte selbst zum Sterben jener feige Mut
Als sich ein Vers auf junge Bäuche reimte"


Vier der insgesamt 15 Gedichte von Klaus Kinski kokettieren im Titel mit dem Tod beziehungsweise mit dem Selbstmord. Als Nikolai das deutlich geworden ist, habe ihn das besonders berührt, denn wenn sein Vater sich damals umgebracht hätte, hätte es ihn, Nikolai, niemals gegeben...

"Und mir gefällt die Idee, dass diese Art literarischer Selbstmord vielleicht seinen echten verhindert hat, was auch für mich ein schöner Gedanke war, weil, wenn es so wäre, dann wär' es auch mein Geburtstag, sozusagen."

Der 31-Jährige ist ganz in Künstlerschwarz gekleidet und sieht seinem Vater sehr ähnlich. Er hat dieselben Augen und denselben Mund. Selbst die seitlich gescheitelten Haare fallen ihm auf diese spezielle Weise in die Stirn. Den Rezitator Klaus Kinski wollte er auf keinen Fall kopieren oder imitieren, sagt er, dennoch klingen Stimme und Tonfall passagenweise zum Verwechseln ähnlich.

"Die Grenzen sind da sowieso gemischt, aber wenn man sagt, dass Sie Klaus Kinski im Gedichtvortrag wiedererkennen, dann ist das ein Lob. Und so soll es sein, auch."