Gespräch und Musik

Begegnungen mit Helmut Lachenmann

Der Komponist Helmut Lachenmann (l.) und der Musikredakteur Rainer Pöllmann.
Der Komponist Helmut Lachenmann (l.) mit dem Musikredakteur Rainer Pöllmann © privat
06.08.2014
Helmut Lachenmann, geboren 1935 in Stuttgart, ist einer der berühmtesten und wirkungsmächtigsten Komponisten der Gegenwart, der unsere Hörgewohnheiten und unser Denken über Musik grundlegend verändert hat. In sieben Folgen spricht Lachenmann über seine künstlerische Entwicklung, seine Ästhetik und seine Erlebnisse mit Musikern und Institutionen.
Ein Komponist, der seit fast 50 Jahren mit seiner differenzierten Klangwelt und seinem konsequent die Gesellschaft herausfordernden Kunstbegriff Vorbild und Herausforderung für Generationen von Komponisten und Kunstschaffenden ist.
Sein Werk steht im Kontext abendländischer Musiktradition, die aber einer kritischen Reflexion unterworfen wird. Mit seiner Musik und seinen theoretischen Texten hat Helmut Lachenmann unsere Art des Hörens verändert, mehr noch: unser ganzes Denken über Musik. Und nicht zuletzt ist er auch ein scharfer und hellsichtiger Beobachter der politischen Verhältnisse, ein unerbittlicher Kämpfer für die Freiheit der Kunst von inneren und äußeren Zwängen, gegen ihre Vereinnahmung und Funktionalisierung.
In den 1970er-Jahren noch heftig angefeindet, ist Lachenmann seit vielen Jahren schon ein weithin verehrter Künstler, zu dessen 80. Geburtstag im nächsten Jahr zahlreiche Veranstaltungen geplant werden. In sieben Folgen der Gesprächsreihe "Begegnungen" spricht Helmut Lachenmann mit Rainer Pöllmann über seine künstlerische Entwicklung, seine Ästhetik und seine Erlebnisse mit Musikern und Institutionen.
"Möbelstück" oder "unerschöpfliches Potenzial"?
Das Orchester: "ein abgenutztes Gerät, Möbelstück in der guten Stube einer abgestumpften Gesellschaft"? Oder doch eher „ein unerschöpfliches Potenzial von Klang und Strukturverwirklichung im Zusammenwirken von 50, 80, 100 Individualisten"?
Die beiden Zitate beschreiben das Spannungsfeld, in dem ein wesentlicher Teil von Helmut Lachenmanns Oeuvre angesiedelt ist. Etwa die Hälfte seiner Werke sind Orchesterwerke. Keine andere Besetzung hat ihn so beschäftigt, und aus keiner anderen Institution hat er so massiven Widerstand erfahren wie aus dem Orchester. Die Anfeindungen, die er in den 1970er- und 1980er-Jahren erlebte, sind legendär. Und sie sind, im doppelten Sinn, Geschichte. Denn mittlerweile hegen die meisten Orchester höchste Wertschätzung für die Musik Helmut Lachenmanns.
1968 wird "Air" uraufgeführt, das erste Orchesterwerk Lachenmanns. Danach entstehen in regelmäßigem Abstand weitere Werke, in denen Lachenmann seine Ästhetik der „Musique concrète instrumental" (vgl. dazu die Folge 3 der "Begegnungen mit Helmut Lachenmann") entwickelt. Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die 1970/71 entstandenen „Kontrakadenz" für großes Orchester, aber auch Werke wie "Klangschatten – mein Saitenspiel" (1972),"„Fassade" (1973) und "Schwankungen am Rand" (1975) gehen in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre radikal neue Wege.
Mit "Accanto" (1975-1976) bezieht sich Lachenmann erstmals wiedererkennbar auf die Tradition, in diesem Fall auf das Klarinettenkonzert Mozarts, freilich auf eine auch in diesem Fall die Hörgewohnheiten irritierende Weise. Die „Tanzsuite mit Deutschlandlied" (1980) setzt diesen Weg ebenso fort wie "Staub", das im Jahr 1986 noch einmal für einen Eclat sorgte.
In der vierten Folge der „Begegnungen" erzählt Helmut Lachenmann von seinen Erfahrungen mit der traditionsreichen Institution „Orchester".
Begegnungen mit dem Komponisten Helmut Lachenmann
Eine Sendung in 7 Teilen von Rainer Pöllmann.
Teil 4: Der „ästhetische Apparat": Orchesterwerke und der Widerstand im Betrieb
Mit Ausschnitten aus folgenden Werken Helmut Lachenmanns:
"Kontrakadenz" für großes Orchester (1970/71)
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart
Leitung: Michael Gielen
(Aufnahme von 1971)
"Fassade" Zweite Musik für Orchester (1973, rev. 1987)
Sinfonieorchester des Südwestfunks
Leitung: Michael Gielen
(Aufnahme von 1991)
"Klangschatten – mein Saitenspiel" für 48 Streicher und 3 Konzertflügel (1972)
Peter Roggenkamp, Zsigmond Szathmaáry, Gerhard Gregor (Klavier)
NDR-Sinfonieorchester
Leitung: Michael Gielen
(Aufnahme von 1972)
"Schwankungen am Rand" Musik für Blech und Saiten (1974-1975)
Ensemble Modern Orchestra
Leitung: Peter Eötvös
(Aufnahme von 1998)
"Tanzsuite mit Deutschlandlied" Musik für Orchester mit Streichquartett (1980)
Sinfonieorchester des Südwestfunks
Leitung: Sylvain Cambreling
(Aufnahme von 1980)
"Staub" für Orchester (1985-1987)
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Leitung: Peter Rundel
(Aufnahme vom Festival Ultraschall Berlin 2011)

Die fünfte Folge der Begegnungen mit Helmut Lachenmann senden wir am 13. August 2014 um 20:03 Uhr. Im Zentrum stehen zwei Themen: die neuartige Einbeziehung der Tradition in Werken wie "Allegro sostenuto" oder "Mouvement (-vor der Erstarrung)" sowie Lachenmanns Erfahrungen als Kompositionslehrer.