Gespenstische Beziehung

Die 44-jährige Elspeth ist Roberts große Liebe. Nach ihrem frühen Tod kann er sich nicht von ihr trennen - denn nur Elspeths Körper befindet sich in ihrem Grab auf dem Friedhof Highgate, als Geist lebt sie weiter in ihrem Haus.
Auch Audrey Niffeneggers zweiter Roman ist die Geschichte einer Liebe, die sich gegen Unmöglichkeiten und Abwesenheiten behaupten muss. Die 44-jährige Elspeth ist Roberts große Liebe. Robert schreibt die Geschichte des viktorianischen Londoner Friedhofs Highgate und gibt dort Führungen für Touristen. Nach Elspeths frühem Tod kann er sich nicht von ihr trennen – und sie sich nicht von ihm. Denn nur Elspeths Körper befindet sich in ihrem Grab auf dem Friedhof Highgate; als Geist lebt sie weiter in ihrem Haus. Robert spürt ihre Anwesenheit, aber er kann nicht mit ihr kommunizieren. Das gelingt erst ihren beiden 20-jährigen Nichten aus den USA, den Zwillingen Julia und Valentina, die für ein Jahr nach London kommen.

Parallel dazu wird die Geschichte Martins entwickelt. Ein Zwangsneurotiker, der seine Wohnung nicht mehr verlässt, das Tageslicht aussperrt und die geringste Handlung mit gefahrenabweisenden Ritualen begleiten muss. Seine Frau hat ihn nach 20-jähriger Ehe verlassen, weil sie dieses Leben nicht mehr aushält, obgleich sie ihn noch immer liebt.

Die komplexen (Ver-)Bindungen zwischen diesen Menschen sind Thema des Romans, anders gesagt, die unterschiedlichen Formen von Liebe: erwachende Liebe, dauerhafte Liebe, fürsorgliche Liebe, nicht lebbare Liebe, Hassliebe, und vor allem - Liebe, die nicht loslassen kann, die eifersüchtig ist und besitzen will. Elspeths Liebe verwandelt sich nach ihrem Tod in diese Richtung: Sie kontrolliert, was zwischen den Lebenden geschieht, und versucht, Einfluss darauf zu nehmen. Außerdem wünscht sie sich, wieder zu Fleisch und Blut werden zu können...

Und Julia dominiert im Namen der Liebe ihre Schwester Valentina so sehr, dass diese ihr nur entkommen zu können glaubt, indem sie eine fatale Übereinkunft mit Elspeth trifft.

Teile des Romans sind aus Elspeths Perspektive geschildert. Das nimmt dem Text das Unheimliche, das gewöhnlichen Geistergeschichten anhaftet, und bringt zuweilen sogar eine gewisse Komik ins Spiel, wenn sie sich selbst erst an den neuen Zustand gewöhnen muss. Andere Abschnitte werden aus der Sicht Roberts, Martins oder der Zwillinge erzählt. So ergibt sich ein umfassendes Bild der Figuren und ihrer Beziehungen, ohne dass alle Geheimnisse (und deren gibt es einige) gleich aufgedeckt würden.

Audrey Niffenegger erzählt etwas holzschnittartig: Die Personen, ihre Gefühle, ihr Verhalten werden in kurzen Sätzen sehr direkt beschrieben. So entstehen deutliche Umrisse, aber es wird weder fein schattiert noch subtil evoziert. Die Komplexität der Konstellationen und Gefühle wird klar benannt. Das erzeugt eine gewisse Distanz zu den Figuren und Ereignissen und schafft ein angemessenes Gegengewicht zum Irreal-Phantastischen der Ereignisse, das so fast "normal" scheint.

Der Eindruck einer gewissen Lust am Morbiden und Surrealen wird durch einen Blick auf Niffeneggers Website bestätigt. Auch auf vielen ihrer Zeichnungen und Gemälde finden sich Skelette, Geister und surreale Szenen. Trotzdem ist der Roman nicht todessüchtig, sondern er befasst sich im Gegenteil sehr konkret und nachvollziehbar mit dem Leben und mit den Gefühlen und Abgründen der Menschen - auch wenn er einiges vom Arsenal der zur Zeit angesagten klassischen Gespenster- und Untotengeschichten übernimmt (das Widerstreben, endgültig zu sterben, die Kontrolle und Beeinflussung der Lebenden, der Versuch, Lebenskraft von den Lebenden zu erhalten). Keine unheimliche, übersinnliche Geistergeschichte also, sondern eher eine spektakuläre Metapher für die Kraft der Liebe und auch des Egoismus.

Besprochen von Gertrud Lehnert

Audrey Niffenegger: Die Zwillinge von Highgate
Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit
Frankfurt am Main, Fischer 2009
463 Seiten, 19,95 Euro