Gesinnungsstarke Lehrer

Von Klaus Schroeder |
In einigen geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern ist es für Studenten heute noch ratsam, mit besonderer Vorsicht Themen und Aussagerichtung ihrer Hausarbeit zu wählen, um nicht durch schlechte Noten von ihren Dozenten abgestraft zu werden.
Wer zum Beispiel bei einer Lehrkraft, der die Umwelt am wissenschaftlichen Herzen liegt, Kritisches zum Dosenpfand vorbringt, kann sich einer schlechten Bewertung ebenso sicher sein wie derjenige, der bei einem gewerkschaftsnahen Wissenschaftler kritische Töne über gewerkschaftliche Politik anschlägt.

Jüngst erdreistete sich ein inzwischen pensionierter Professor sogar, einer Studentin für eine Arbeit über die DDR eine schlechte Note zu geben, weil diese seine eigenen, nebenbei gesagt eher dürftigen Arbeiten nicht berücksichtigt hatte und Wissenschaftler zitierte, die er für Antikommunisten hält. Diese Beispiele ließen sich leider beliebig fortsetzen.

Viele Studenten haben sich in der Sorge um eine gute Note darauf eingestellt, besuchen Seminare von Dozenten, deren Auffassung sie teilen, oder wählen ihre Themen mit opportunistischem Bedacht. Dieses Verhalten lernten viele bereits in der Schule auch und gerade von linken Lehrern, die sich zum Teil immer noch ihrer 68er Untaten auf dem Gebiete der Kindererziehung rühmen.

Wehe den vermeintlich "lernunfähigen" Nicht-Opportunisten! Ein Beispiel aus heutigen Tagen: Ein Schüler einer Gesamtschule im Berliner Südwesten befasste sich in seiner Facharbeit, die als besondere Lernleistung in die Abiturnote eingeht, am Beispiel des Karikaturenstreits mit dem Konflikt zwischen Christen und Moslems. Er legte eine schlüssig aufgebaute dreißigseitige Arbeit vor, in der er nachvollziehbar und plausibel argumentiert. Abgesehen von einigen sprachlichen Holprigkeiten handelte es sich um eine gute bis sehr gute Arbeit. Der Schüler erhielt dennoch von seinen Gutachtern nur eine Vier, im Gegensatz zu vielen seiner Mitschüler, die zumeist Einsen und Zweien für Themen bekamen, die den Lehrern ob ihrer als fortschrittlich geltenden Argumentation mehr am Herzen lagen.

Der Schüler hatte es gewagt, nicht nur die Reaktionen von Islamisten und Teilen der muslimischen Welt auf die Karikaturen zu beschreiben, sondern auch noch auf die subalterne Rolle der Frau, die Rechtfertigung von Mordanschlägen und den Jubel nach dem Mord an dem islamkritischen Filmemacher van Gogh hinzuweisen. Mit drastischen Worten kritisiert er den Ehrbegriff vieler Muslime, der zur Rechtfertigung krimineller Taten, aber auch der Gewalt im familiären Bereich dient. Er bemängelt die fehlende Trennung zwischen Politik und Religion in islamischen Ländern. Verständnislos äußert er sich darüber, dass im Iran und anderen Ländern bereits jede Kritik an den führenden Imamen und Ayatollahs mit dem Verdacht auf Gotteslästerung belegt wird.

Darüber hinaus fragt er sich, warum immer nur von verletzten Gefühlen von Muslimen öffentlich die Rede ist und nicht auch davon, dass manche ihrer Verhaltensweisen die Gefühle vieler Westeuropäer verletzen, sei es durch ihr diskriminierendes Verhalten gegenüber Frauen oder durch ihre schnell in Gewalttätigkeit umschlagende Erregbarkeit.

Der Schüler differenziert sehr wohl zwischen politischen Islamisten, religiösen Scharfmachern und der breiten Masse gemäßigter Muslime, macht aber verschiedenen Vertretern dieser Religionsgruppe den Vorwurf, sich nicht von Verbrechen, die im Namen des Islam verübt werden, ausdrücklich distanziert oder zu Demonstrationen dagegen aufgerufen zu haben.

Nachdrücklich plädiert er dafür, dass der Westen in den Auseinandersetzungen mit radikalen und gemäßigten Vertretern des Islam hinsichtlich der Pressefreiheit, der Gleichstellung der Frau, der Ablehnung von Gewalt und der Trennung von Politik und Religion nicht zurückweicht, sondern an seinen eigenen Prinzipien festhält. Von den hier lebenden Moslems fordert er ein zweifelsfreies Bekenntnis zu den Werten der westlichen Gesellschaft, da nur so die Integration und das Zusammenleben gelingen können. Die tradierte Kultur des Islam dürfe nicht auf die westlichen Gesellschaften übertragen werden, da dies deren Zusammenhalt zerstören könne. Seiner Meinung nach ist der islamische Glaube, wie er vielerorts praktiziert wird, mit den westlichen Werten nicht vereinbar. Abschließend plädiert er für die wechselseitige Achtung vor der Religion des anderen, so lange sie nicht den Menschenrechten widerspricht. In die westliche Welt könne sich nur integrieren, wer die Menschenrechte anerkenne und sie im alltäglichen Leben berücksichtige. Nur so könne der von Huntington prophezeite Zusammenprall der Kulturen verhindert werden.

Man muss der Schlussfolgerung des Schülers nicht zustimmen, vielleicht ist es sogar sinnvoller, die angesprochenen Konfliktpotenziale nicht nur als religiöse zu betrachten, aber er hat seine These ausführlich begründet und gewiss nicht polemisiert. Vielmehr argumentiert er von einem klaren freiheitlich-demokratischen Standpunkt aus. Er zeigt sich als der kritische Geist, zu dem die Schulen landauf, landab unsere Kinder doch angeblich erziehen wollen. Dass er hierfür von anscheinend gesinnungsstarken Lehrern mit einer schlechten Note abgestraft wurde, ist ein Skandal. Die Gründe dafür hat er in seinem Text selbst angedeutet. Kritiker des Islam werden von weltfremden Ideologen wie dem Soziologen Heitmeyer und Lehrern, die anscheinend dessen Thesen teilen, vorschnell und pauschal als Rassisten oder islamphobisch verurteilt. Wie dem Schüler erging es vor kurzem auch Ralph Giordano und immer wieder mal Henryk Broder. Das mag den Schüler trösten. Seiner Abiturnote und seiner Enttäuschung durch die Schule aber hilft das nicht.

Der 1949 in Lübeck geborene Klaus Schroeder leitet an der Freien Universität Berlin den Forschungsverbund SED-Staat und die Arbeitsstelle Politik und Technik und ist Professor am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Letzte Veröffentlichungen: "Der SED-Staat. Partei, Staat und Gesellschaft 1949-1990", Hanser-Verlag, München 1998; "Der Preis der Einheit. Eine Bilanz", Hanser-Verlag, München 2000; "Rechtsextremismus und Jugendgewalt in Deutschland. Ein Ost-West-Vergleich", Schöningh-Verlag, Paderborn 2004. Gerade ist erschienen: "Die veränderte Republik. Deutschland nach der Wiedervereinigung", Verlag Ernst Vögel, Stamsried 2006.
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