Gesine Schwan, zum Zweiten

Von Corinna Emundts |
Die Kandidatur von Gesine Schwan für das Amt der Bundespräsidentin wirkt einerseits wie ein Deja-vu-Erlebnis. Schwan gegen Köhler - kennt man aus dem Jahr 2004. Und doch ist dieses Mal alles anders.
Horst Köhler, der breiten Öffentlichkeit vor vier Jahren eher unbekannt, hat sich als Bundespräsident etabliert. Er tritt zunehmend als Kritiker der Wirtschaftseliten und auch der Politik auf. Er hat viel dafür getan, nicht als Marionette der CDU zu gelten, eigene Schwerpunkte Richtung Afrika gesetzt und mimt gerne das Sprachrohr der Bürger. Er betont wo er kann, dass bei ihnen der Aufschwung nicht ankomme.

Die SPD-Kandidatin Gesine Schwan schwimmt deswegen heute viel mehr mainstream, viel mehr mitten im linken Zeitgeist als 2004, als sich Schröder und Merkel noch gegenseitig versuchten, sich im Anmahnen harter Einschnitte für Bürger zu übertrumpfen – und damit die Angst vor dem sozialen Abstieg bis weit in die Mittelschicht hinein streuten. Das Ergebnis ist bekannt: verlustreicher Gleichstand beider Volksparteien, die Große Koalition und das Entstehen der Linkspartei im Jahr 2005.

Deswegen stand manches Urteil über die Nominierung von Gesine Schwan schnell fest. Weil Köhler nun ebenfalls im elitenkritischen Zeitgeist schwimme, sei der einzige Unterschied zwischen beiden Kandidaten eigentlich nur das Geschlecht. Wobei Schwan als Frau damit eher ein Exoten-Status zukommt, da es in der Geschichte der Bundesrepublik zwar einige Kandidatinnen, jedoch noch keine Bundespräsidentin gab. Köhler wird in dieser Sicht als männlicher Kandidat zum Normalfall, Schwan als KandidatIN zur Besonderheit, die vor allem durch ihr Frau-Sein auffällt.

Weitere interessante Argumente wurden ins Felde geführt: Die scheidende Präsidentin der Europa-Universität Viadrina diene vor allem der Selbstheilung der maroden SPD. Die politisch unverbrauchte, frisch und heiter wirkende Schwan repräsentiere eloquenter als Köhler die Diskursverliebtheit der Republik wie auch die Fähigkeit der Linken, sich die kulturelle Hegemonie keinesfalls aus der Hand nehmen zu lassen: Links sei schlau und immer gut. Andererseits verstehe es Schwan als Kritikerin der menschenrechtsvergessenen Ostpolitik der SPD in den achtziger Jahren und als eingefleischte West-Berliner Sozialismus-Gegnerin die Sozialromantik der Linkspartei zu zerstören.

Es mag an allem etwas dran sein. Tatsächlich hat die SPD in der ersten Reihe wenig weibliche Ausstrahlung aufzubieten, die sie der CDU mit einer inzwischen anerkannten und beliebten weiblichen Regierungschefin Merkel entgegensetzen könnte. Die SPD-Politprominenz wirkt durch die häufigen Austauschaktionen an der Spitze und ihren glücklosen amtierenden Parteichef Beck irgendwie verbraucht.

Natürlich dient sie als Kandidatin den strategischen Interessen der Partei. Und zwar im Kampf um die gesellschaftliche Mitte sowohl gegen die Union als auch gegen die Linkspartei. Denn in beide Richtungen ist die SPD gefährdet, Wähler zu verlieren. Richtung Union diejenigen, denen der gesellschaftliche Modernisierungskurs von Merkel und von der Leyen gefällt. Richtung Linkspartei diejenigen Modernisierungsverlierer, die Vertrauen verloren haben in Staat, Regierung und SPD.

Aber viel interessanter an Schwan sind eigentlich ihre Inhalte, die sie durchaus von Köhler unterscheiden – und zwar signifikanter als die Tatsache, dass sie eine Frau und SPD-Geschöpf ist. Es wird die Frage sein, ob in einer derart politisch krisenhaften Situation, einer bereits jetzt wahltaktisch erhitzten Atmosphäre noch Raum ist für die Gesine Schwan, die immer auch kritische Distanz zu ihrer Partei gehalten hat. Raum zu zeigen, dass sie eine bessere Präsidentin sein könnte. Ob sie noch glaubhaft die Botschaft vermitteln kann, dass sie überparteilich etwas für die Gesellschaft leisten kann, was Horst Köhler nicht vermag. Und zwar gerade nicht im Namen eines Interessenkartells einer vor Existenzangst schlotternden SPD. Dass sie das könnte, hat sie im ersten Kandidatenlauf um das Schloss Bellevue gezeigt.

Seit Jahren müht sich Schwan in Reden, kleinen und großen Runden darum, eine Antwort auf den massiven Vertrauensverlust der Menschen in die Demokratie zu finden. Sie will Brücken bauen zwischen den Akteuren, zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beispielsweise – und nach einer Art Grundkonsens und für alle gültige Gemeinwohlorientierung suchen. Horst Köhler wiederum belässt es dabei, das Problem zu benennen. Gleichzeitig ist seine Grundhaltung der Verachtung gegenüber der handelnden Politik schon fast legendär. Damit gewinnt man leicht Verständnis beim Bürger. Der Demokratie wird es langfristig nicht dienen, immer diejenigen pauschal zu beschimpfen, die gerade regieren.

Das schwindende Vertrauen der Bürger in Demokratie und soziale Marktwirtschaft ist alarmierend. Gleichzeitig sind die Deutschen berühmt dafür, sich bis weit in die Mittelschicht viel mehr um ihre Zukunft zu ängstigen – viel mehr als es die realen Risiken hergeben. Gesine Schwan benennt diese Widersprüche und könnte möglicherweise so etwas wie eine vertrauensbildende Maßnahme werden.

Corinna Emundts ist politische Journalistin in Berlin, geboren 1970, schreibt unter anderem für die Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" und "Zeit online" aus Berlin. Die Politikjournalistin (Theodor-Wolff-Preisträgerin 1995) hat auch für die "Süddeutsche Zeitung", die "Frankfurter Rundschau", "Die Woche" und andere Blätter gearbeitet.
Corinna Emundts
Corinna Emundts© Katharina Langer für ZEIT online