Gesicht zeigen

Von Barbara Wiegand |
Er gilt als einer der erfolgreichsten Maler der arabischen Diaspora in Deutschland: Marwan Kasab-Bachi, bekannt unter dem Künstlernamen Marwan. Bis heute malt der 75-jährige Syrer vor allem Köpfe, Körper und Gesichter. Das Berliner Haus am Waldsee widmet ihm jetzt eine Retrospektive.
Eine Frau, vielleicht im mittleren Alter, liegt mit fahlem Gesicht und streng frisiertem, pechschwarzem Haar unter einer grauen Bettdecke. Die zarte kleine Hand, die sie darunter hervorstreckt, um ein graziles Paar Schuhe zu berühren, will nicht so recht zu ihrem großen Kopf passen. Marwans 1969 entstandenes Portrait einer Liegenden ist mehr als ein kunstvolles Abbild. Vielmehr gibt es dem Betrachter in seiner kalten Farbigkeit und den zarten Andeutungen Rätsel auf.

"Diese Frau, warum die Schuhe sind so klein. Das hat natürlich eine bestimmte Aussage. Das ist ein poetischer Augenblick. Es ist nicht maskulin, aber auch nicht feminin. Das ist gemischt. Und aus diesem Bett schaut eine kleine zarte Hand und umfasst die Spitze von einem kleinen Schuh. Jetzt hat der Zuschauer eine starke Dialektik von Wahrnehmung, wie sich das Bild bewegt. Und ich finde, wenn ein Bild sich bewegt, bringt es immer wieder neue Bilder für den Zuschauer, ist ein Reichtum."

So zeigt sich schon in diesem frühen Werk des 1957 nach Berlin gezogenen Malers das, was die Kunst des emeritierten Professors der dortigen Universität der Künste ausmacht. Egal, ob sie dermaßen figürlich ist, oder eher abstrakt: Der Mensch steht in ihrem Mittelpunkt – ist aber nicht immer klar zu erkennen. Ein Bild bietet stets mehrere Lesarten. Ein Gesicht hat viele Gesichter.

Und oft sind diese als Teil kräftiger Farblandschaften nur zu erahnen. Zwischen lebendig flimmerndem Rot, Gold, Braun, Violett, Eisblau. Bisweilen sind die Portraitierten auch nur angedeutet mit wenigen, mal kraftvollen, mal zittrigen Konturen. Oder sie haben Kopfüber gespiegelte Pendants.

Manchmal blickt einen aus diesen Bildern heraus ein bernsteinfarbenes Auge unverwandt an, während sich ein anderes hinter einem schwarzen Balken der Betrachtung verschließt. Brauen, Wangen, Lippen, Nasen treten hervor und sind im nächsten Moment verschwunden.

Etwa in Marwans in den 80er-Jahren entstandenen Gemälden. Die kantigen Portrait-Köpfe sind eins mit dem braun in braunen Hintergrund, sind Teil einer herbstlichen Szenerie.

"Manchmal nehme ich mein Bild mit ins Bett – nicht wirklich natürlich. Sie haben eine bestimmte Vorstellung. Sie versuchen, mit Bleistift auf Papier erstmal die Spannung zu schaffen. Sie glauben am Abend, dass sie es geschafft haben. Und dann kommt der Morgen – ich habe es nicht geschafft. Und dann kommt eine neue Arbeit. Und das dauert, bis zwei, drei Monate arbeite ich an einem Bild. Viele Schichten sind nicht von vorn herein pastos gemalt, sondern existieren wie ein Baum. Wie eine Rinde."

In dieser akribischen Machart bedeckt der 1934 in Damaskus geborene Künstler zumeist große Leinwände. So groß, dass man manchmal das Gefühl hat, hineinzusehen in den Portrait-Kopf und seine Gefühlswelten. Einzutauchen in ein aufgewühltes Knäuel aus abstrakt-expressiven Pinselschwüngen.

"Diese Vieldeutigkeit ist keine Spielerei. Vielleicht spielt dabei mein Erbe aus dem Orient eine Rolle. Man sieht ein Bild. Und in dem Moment, wo man glaubt, es verstanden zu haben, verschwindet das Bild, um neue Bild zu erscheinen. Immer wieder und immer wieder. Der orientalische Mensch hat eine gewisse Stärke, zu betrachten. Und bei mir ist es im Blut. Dieser Reichtum von einem Bild. Dieses Geheimnis, wo man glaubt, das hat man verstanden, aber eine Stunde oder einen Tag später, sieht man, dass man es nicht verstanden hat. Ein Schleier geht weg, und ein neues Bild erscheint."

So verdeckt und enthüllt Marwan mit seiner Kunst gleichermaßen. Er malt Schleier und lüftet sie. Das tat und tut er über die Jahre hinweg auf unterschiedliche Art und Weise, ohne sich je einer "Mode", einem angesagten Stil zu unterwerfen. Dabei ist es sicher eine Frage des Geschmacks, ob man seine vielen Ausfertigungen zu einem Thema - das Gesicht - mag. Die Art, Stimmungen auf die Leinwand zu bringen. Eines aber ist dem 75-Jährigen sicher: Der Respekt vor einer tiefgehenden, wahrhaftigen Auseinandersetzung mit dem Menschen – mit den Mitteln der Malerei.

Service:

Die Ausstellung "Bis zum Ende offen - Marwan, eine Retrospektive in elf Akten" ist bis zum 6. September 2009 im Haus am Waldsee in Berlin-Zehlendorf zu sehen.