Gesetz zur Selbstbestimmung

"Die Bedeutung des Geschlechts ist kaum noch relevant"

07:22 Minuten
Ein Piktogramm für Unisex-Toiletten, das auf die Geschlechter Männer, Frauen und Allgender/Transgender hinweist
Weil in Deutschland vor dem Gesetz alle Menschen gleichgestellt seien, gebe es für den Staat keinen Grund mehr, deren Geschlecht zu kennen und festzulegen, sagt Antje Schrupp. © picture alliance/dpa
Antje Schrupp im Gespräch mit Marietta Schwarz · 03.07.2022
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Das neue Gesetz zur Selbstbestimmung schafft Geschlechter nicht ab, sondern differenziert soziale Rollen besser, meint die Feministin Antje Schrupp. Die Überwindung des binären Modells Mann/Frau verbessere etwa Diskussionen über Benachteiligung.
Mit dem Gesetz zur Selbstbestimmung sollen transsexuelle Menschen ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister künftig leichter ändern können, so sieht es der Gesetzesvorschlag der Koalition vor.
Im Kern gehe es bei der Diskussion um die Selbstbestimmung nicht um ein Ende des biologischen Geschlechts, wie es etwa das feministische Magazin „Emma“ titelte, sondern um die Frage, ob der Staat den einzelnen Menschen ein Geschlecht zuweisen müsse, sagt die Politikwissenschaftlerin und Feministin Antje Schrupp.
Die Bedeutung des Geschlechts sei in der Gesetzgebung ohnehin in Deutschland kaum noch relevant, seit 2017 gebe es auch den Geschlechtseintrag "divers".
„Frauen sind gleichgestellt, Ehe für alle gibt es – es ist also nicht mehr so, dass nur ein Mann und eine Frau heiraten dürfen. Von daher gibt es eigentlich für den Staat keinen Grund mehr, das Geschlecht der Leute zu kennen und festzulegen.“

Genderdiskussion wird weitergeführt

Das neue Selbstbestimmungsgesetz werde die Debatte um Sex und Gender nicht beenden, meint Schrupp. Etwa bei Fragen nach geschlechtlicher Identität, der Finanzierung geschlechtsangleichender Operationen und Hormonbehandlungen oder zum Zugang zu bestimmten Orten, die bestimmte Menschen exklusiv haben oder nicht haben.
Neue medizinische Technologien würden Wünsche zu einem veränderten Selbstausdruck ermöglichen. Auch in dieser Hinsicht erwartet Schrupp gesellschaftliche Debatten, die weitergeführt werden.

Besser fokussierte Debatten

Durch die Frauenbewegung und das Bewusstsein für eine größere sexuelle und geschlechtliche Vielfalt werde schon länger genauer differenziert als die grobe Einteilung in Frauen und Männer.
„Wann sprechen wir über Menschen, die schwanger werden können, wann über Menschen mit gegengeschlechtlichen Keimzellen, die vielleicht zusammen ein Kind zeugen möchten? Wann reden wir über Menschen mit weiblichen sozialen Genderrollen, die in bestimmten Kontexten diskriminiert werden?"
Das binäre Modell Mann/Frau sei zu diesen komplexen Fragen nicht ausreichend, so Schrupp. Sie begrüßt, dass neue Begriffe ermöglichen, in der Diskussion schärfer zu fokussieren und Sachverhalte zu erkennen:
„Worüber diskutieren wir denn jetzt? Diskutieren wir über Reproduktion, dann brauchen wir natürlich die Diskussion auch über Körpervarianten, die zur Reproduktion fähig sind. Oder reden wir über soziale Benachteiligung, über Diskriminierung aufgrund des Geschlechtsausdrucks? Dann reden wir genau darüber und nicht immer über alles gleichzeitig.“
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