Gesellschaftliche Widersprüche im Blick

Von Moritz Holfelder · 28.10.2012
Neben gutbürgerlichen Fernsehspielen waren bei den Hofer Filmtagen eine Menge Produktionen über Menschen am Rande der Wohlstandsgesellschaften zu sehen. Außerdem standen auf dem Programm: die Regiedebüts der Schauspielerinnen Nora Tschirner, Sylvie Testud und Karoline Herfurth.
Trotz einem heftigen Wintereinbruch war diesmal alles ROSA in Hof: Er war der Star dieser Filmtage, der schwule Filmemacher Rosa von Praunheim – und sein kommender 70. Geburtstag, genau heute in vier Wochen, wurde schon ein wenig vorgefeiert.

Das schönste Geschenk haben ihm die fünf Regisseure gemacht, die einmal seine Schüler waren oder auf andere Art und Weise von ihm geprägt wurden: Tom Tykwer, Chris Kraus, Julia von Heinz, Robert Thalheim und Axel Ranisch. Sie inszenierten gemeinsam einen Dokumentarfilm über Rosas Welt, Titel: "Rosakinder" – ein begeisterndes Porträt, in dem sie sich mehr selbst darstellen, über ihre Ängste und Hoffnungen reflektieren, als dass man nun über Tante Rosa viel Neues erfahren würde. Nach der Premiere stand von Praunheim auf der Bühne und vergoss ein paar Tränen – und fragte:

"Wie geht es denn jetzt weiter? Es muss doch irgendwie immer weitergehen. Also, ich fühle mich ja eher wie euer Kind. Ich bin ja viel jünger als ihr, so gefühlte sieben. Das ist das schöne Gefühl – ihr seid die Erwachsenen, und ich kann noch toben und spielen. Und ganz blöd sein. Toll. Ja!"

Neben gutbürgerlichen Fernsehspielen waren bei den Filmtagen in Hof eine Menge Kinoproduktionen über Menschen am Rande von Wohlstandsgesellschaften zu sehen. Außerdem standen die Regiedebüts der Schauspielerinnen Nora Tschirner, Sylvie Testud und Karoline Herfurth auf dem Programm.

Die Hofer Filmtage – das ist seit vielen Jahren Rosas Welt. Mit einem guten Dutzend Filmen war er hier schon vertreten, diesmal kam er mit 70 neuen. Ja, Sie haben richtig gehört: Siebzig! Auch wenn es alle nur Kurzfilme sind. Bei ihm geht es wohl nicht drunter – in seinem Eifer hat das auch eine bizarre Note. Dass er seine 70 neuen Werke, gut 20 Stunden Programm, meist Kurzporträts, die thematisch aufgeteilt sind in starke Frauen, starke Schwule, sensible Heteros, Transgender und Erotik, überhaupt zeigen konnte, das ist wohl nur in Hof möglich, auf diesem Festival, das von einem Oberverrückten geleitet wird, wie Rosa den Chef Heinz Badewitz gleich zur Eröffnung nannte. Daneben fand Rosa aber auch noch Zeit für einen kleinen Spaziergang durch die tief verschneite Hofer Fußgängerzone.

Rosa von Praunheim: "Ja, schwer zu sagen, also die ist hässlich. Hof hat ja etwas ähnlich Hässliches wie Berlin und New York. Deswegen hat das natürlich auch Charme."

Hof hielt bei den Filmtagen auch wieder der Wiener Trash- und Underground-Regisseur Peter Kern, der letztes Jahr mit dem Filmpreis der Stadt Hof ausgezeichnet wurde. Peter Kern steht vor der Leinwand und singt im Rahmen der Hofer Premiere seines neuen Films "Diamantenfieber" den Schlusssong mit. Bei Kern wird das Kino immer auch zum Happening. Sein Wiener Sozialmärchen erzählt von Waisenkindern, von Arm und Reich, vom Kampf gegen die Sozialbürokratie, was Hauptdarsteller und Kabarettist Josef Hader, der das erste Mal mit Kern arbeitete, spontan gefiel.

Josef Hader: "Er ist ein artist’s artist, also, er ist jemand, der von Künstlern sehr geschätzt wird. Und jetzt, wo der österreichische Film so großartig auf allen internationalen Festivals vertreten ist, kann man auch sagen, dass Peter Kern einer der Väter dieses österreichischen Films ist. Bei seinen Filmen hat mich immer diese Unmittelbarkeit so angesprochen, dass man das Gefühl gehabt habt, die machen das einfach, die scheißen sich nichts – und ich wollte schauen, wie diese Leichtigkeit entsteht. Sie entsteht eigentlich durch ihn und in ihm und mit ihm. Und er hat einen so liebenden Zugang."

Als Liebender ist man bei den Filmtagen in Hof immer richtig. Hier bekommen diejenigen ihren Platz, die sich ausgestoßen fühlen oder es vielleicht auch sind. So waren dieses Jahr neben gutbürgerlichen Fernsehspielen eine Menge Filme zu sehen über jene Menschen, die zu kurz kommen, die am Rande von Wohlstands-Gesellschaften mehr vegetieren als leben. Der aus Mostar stammende Künstler und Filmemacher Antej Farac stellte mit "Annelie" einen mutigen, aber auch umstrittenen Film über ein Obdachlosenhaus in München vor. Er drehte mit den echten Bewohnern, ergänzt um den österreichischen Schauspieler Georg Friedrich, einen Film, in dem sich die Hartz-IV-Empfänger selbst darstellen konnten.

Regisseur Antej Farac hat, wie Peter Kern, einen kleinen, unabhängig und billig produzierten Film über Menschen am Rande gemacht. Die Filmtage in Hof leben von solchen Werken, die gesellschaftliche Widersprüche aufspüren und darstellen, die das Herz auf dem rechten Fleck haben. Hier darf sich immer auch der Nachwuchs ausprobieren, dieses Jahr unter anderen drei Schauspielerinnen, die sich erstmals selbst hinter die Kamera stellten und ihre Regiedebüts präsentierten – Nora Tschirner, Sylvie Testud und Karoline Herfurth.

Die ganze Bandbreite des Mediums ist bei den Filmtagen so unmittelbar zu erleben wie auf kaum einem anderen Festival. Die Zukunft des Kinos hat auch dieses Jahr wieder in Hof begonnen. Das gilt auch für den unvermindert neugierigen Rosa von Praunheim, der als Jungfilmer im Geiste bald 70 wird.

Rosa von Praunheim: "Mich interessieren wilde, vitale, verrückte Sachen – sehr lebendige Sachen, so wie das Leben auch ist, mit allen Facetten. Und eben sehr schnell. Es vergeht unheimlich schnell. Diese Schnelligkeit interessiert mich. Und das Spontane. Und Improvisatorische."