Gesellschaft

Weniger Preisschilder, mehr Wertschätzung

Ein Bäcker hält ein Brot.
Die Arbeit des Bäckers erhält durch Leidenschaft, Kreativität und Tradition einen besonderen Wert. Daher ist das handwerklich gebackene Brot mehr wert als eines aus der Fabrik. © picture alliance / dpa / Swen Pförtner
Fast alles hat einen Preis. Doch zugleich haben Dinge auch einen Wert für uns, der sich sehr viel schwerer messen lässt. Wie stehen Preis und Wert in Beziehung zueinander? Und was passiert mit einer Gesellschaft, die sich nur auf Preise fokussiert?
Ein Brötchen, ein Buch, ein Bahnticket. Jedes Produkt hat einen Preis. Einen Gegenwert, den wir meist mit Geld bezahlen. Unsere Gesellschaft versieht fast alles mit einem Preisschild – seien es Waren, Dienstleistungen oder sogar menschliche Fürsorge.
Verschwinden dadurch andere Werte aus unserer Gesellschaft? Menschen, die sich um andere kümmern - etwa durch unbezahlte Pflege und Sorge: Welches Preisschild soll man da dranhängen?

Wie wird der Wert von Waren und Dienstleistungen festgelegt?

Preise entstehen durch Angebot und Nachfrage, Material- und Personalkosten sowie Konkurrenz. Es gibt jedoch auch ethische Aspekte, die in die Preisbildung einfließen. Preise haben auch eine moralische Dimension.
Bleiben wir beim Beispiel Brötchen. Der Kunde bezahlt 40 oder 50 Cent. Der Bäcker muss vorher kalkulieren: Materialkosten, Lohnkosten, staatliche Abgaben - und ein Gewinn soll ja auch herausspringen. Aber wie sollen Faktoren berechnet werden wie die physische Anstrengung bei diesem Beruf - oder die wenig sozialkompatiblen Arbeitszeiten?
"Es ist eigentlich in der Ökonomie, aber auch in der Soziologie und Sozialwissenschaften ein großes Mysterium, wie sich Wert und Preise bilden", sagt der Volkswirtschaftler Peter Bofinger, der lange einer der fünf Wirtschaftsweisen war.

Worin besteht der Unterschied zwischen Wert und Preis?

Der Begriff Preis, in dem das Wort preisen steckt, stammt ursprünglich aus dem Mittelalter, erklärt der Historiker Rolf-Bernhard Essig - entlehnt aus dem französischen "prix". Das bedeutete ursprünglich vor allem Lob. Der lateinische Ursprung "pretium" wiederum bezeichnete eher den Kaufpreis. Dagegen steht der "Wert". Das germanische Wort beschrieb so viel wie Kostbarkeit, Besitz, aber auch den Gegenwert, "also das, was man für etwas bekommt", so Essig.
Laut dem Volkswirtschaftler Peter Bofinger stellt der Wert bei Ökonomen eine rein subjetive Größe dar. Es gehe um "eine subjektive Wertschätzung, die man als Konsument in einem bestimmten Augenblick für ein bestimmtes Gut hat". Der Preis dagegen sei eine objektive Größe, die angibt, was konkret für ein Gut oder eine Dienstleistung bezahlt wird.
Diese Differenz ist entscheidend, da Preise beobachtbar und greifbar sind, während der Wert eine individuelle und oft emotionale Dimension besitzt. Doch man kann über Preise nur schwer erklären, warum Menschen sich ehrenamtlich engagieren, Geschenke machen oder einen schlecht bezahlten Job anzunehmen.

Wie beeinflussen Preise unsere Wertschätzung im Alltag?

Preise erleichtern den Austausch und schaffen Transparenz, da Menschen wissen, was sie für ihr Geld bekommen. Doch diese Preisschild-Mentalität führt dazu, dass Dinge oft nur nach ihrem monetären Wert beurteilt werden. Experten wie der Wirtschaftssoziologe Klaus Dörre warnen, dass dies zu einem Verlust von Wertschätzung führt.
Dörre nennt als Beispiel die "unbezahlten Reproduktionstätigkeiten", die oft vor allem von Frauen übernommen werden, also unter anderem das Kinderkriegen, die Erziehung des Nachwuchses, die Versorgung und das Kümmern um Kranke, Alte und Pflegebedürftige. Nur ein Teil dieser gesellschaftlich immens wichtigen Arbeit wird als Erwerbsarbeit geleistet - und somit vergütet. Nach Dörre lassen sich die "Sorge-Tätigkeiten" nicht wirklich quantifizieren.
Preise geben den Anschein von Objektivität und helfen, gesellschaftliche Abläufe zu steuern, etwa durch Steuern oder staatliche Eingriffe. Allerdings vernachlässigt ein auf Preise fokussiertes Wirtschaftssystem oft nicht messbare, aber ungemein wertvolle Aspekte wie Gemeinsinn und das Wohlbefinden der Menschen.
Ein Beispiel ist die Diskussion um die Umweltzerstörung: Wenn diese durch finanzielle Ausgleiche legitimiert wird, entsteht ein moralisches Dilemma. Der wahre Wert der Natur, der oft über monetäre Maßstäbe hinausgeht, bleibt unberücksichtigt. Auch ehrenamtliches Engagement und zwischenmenschliche Zuwendung können nicht einfach mit Preisen versehen werden.

Wie können wir den Wert von Dingen neu definieren und erkennen?

Der Ökonom Peter Bofinger weist darauf hin, dass viele bedeutende Werte im Leben, wie zwischenmenschliche Beziehungen oder Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse, nicht käuflich sind.
Der Wirtschaftssoziologe Klaus Dörre kritisiert die gegenwärtige Kommodifizierung von Arbeit und Dienstleistungen, die alles in monetäre Werte umwandele und dabei wichtige Aspekte menschlicher Interaktion vernachlässige. Dies führt laut Dörre zu einem sozialen Auseinanderdriften, der soziale Zusammenhalt geht verloren. Als besonders problematisch empfindet er die Missachtung unbezahlter Reproduktionstätigkeiten, die häufig von Frauen geleistet werden.
Um dem entgegenzuwirken, plädiert Dörre für eine Stärkung des öffentlichen Sektors und eine Abkehr von der Marktlogik in wichtigen Bereichen wie Mobilität und Gesundheit. "Wir müssen von der Idee wegkommen, dass wertbildend eigentlich nur die produktive Erwerbsarbeit ist - und wir müssen die Leistungen neu bewerten, die über andere Tätigkeiten erbracht werden."
Dörre schlägt die "Rückverwandlung in öffentliche Güter" vor. Sein Beispiel: die Deutsche Bahn. Sie befindet sich zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes - werde "aber nach privatwirtschaftlichen Kriterien betrieben". Das führe dazu, "dass die Bilanzen geschönt werden, indem man nicht investiert". Der Wissenschaftler spricht sich hier klar für ein anderes Geschäftsmodell aus - orientiert an den "eigentlichen Mobilitätsbedürfnissen" der Gesellschaft.

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