Geselligkeit durch Lesen
In Halberstadt gleich neben dem Dom steht ein altes Fachwerkhaus, das den II. Weltkrieg glücklicherweise überstanden hat und in dem heute ein Museum untergebracht ist. Dort wirkte der Dichter und Domsecretarius Johann Wilhelm Ludwig Gleim mehr als ein halbes Jahrhundert.
Gleim lebte von 1719 bis 1803 und hat sich als unermüdlicher Förderer in die Literaturgeschichte eingeschrieben. Sein Haus mit der stattlichen Bibliothek und der Gemäldesammlung, dem so genannten Freundschaftstempel, stand ganz im Zeichen literaturverbundener Geselligkeit, der so genannten Anakreontik – einer dem Leben und dem Wein zugetanen Dichtung.
Diesem Aspekt ist auch eine Fachkonferenz nachgegangen, deren Beiträge jetzt als Buch vorliegen. Gleim als kommunizierende Röhre des angehenden Literaturbetriebs des 18. Jahrhunderts, Gleim als ein Vorläufer der modernen Medienkultur, der mit einem Netz von 400 "Korrespondenten" und cirka 10.000 Briefen über Halberstadts Grenzen weithin zu vernehmen war, das macht diesen nahezu vergessenen Dichter als Forschungsobjekt, wie es scheint, heute wieder interessant.
Dem Verfasser der "scherzhaften Lieder" und anderer patriotischer Gesänge ging es nicht allein um große Literatur, sondern auch darum, der Mitwelt zu zeigen, dass die lesenden und sich umtriebig weiterbildenden Bürgerkinder die wahren Kulturträger sind und nicht der Adel, der sich gönnerisch gerne als Kunstmäzen aufspielte. Mit überschwänglichen Briefen und in bewegenden Worten hielt "Vater Gleim" seine Getreuen zusammen:
" Ich dencke Tag und Nacht an Sie, mein liebster Ramler, ich dencke ganz allein an sie, und vergeße alle anderen Freunde ..Wenigstens werden Sie doch einen Abschiedskuß von ihm holen. Welche Thränen würden da fließen! Thränen der Freundschaft, der innersten Zärtlichkeit."
Küsse und Tränen als Vertrauensbeweise. Das liest sich schön. Aber muss man es auch praktizieren? Die Briefkultur florierte schon deswegen so sehr, weil auf dem Papier alles leichter geht. Direkten Kontakten ist man bisweilen mit dem Argument aus dem Weg gegangen, so Emilio Bonfatti zusammenfassend:
" dass Briefe zu schreiben vorteilhafter sei als der persönliche Umgang, und zwar weil eine glückliche Gesprächsstunde - also die Stunde des Schreibens und die des Antwort-Erhaltens – sich auf zwei Stunden verdoppeln lasse."
Das Briefeschreiben war für Gleims Generation, die in einem in Kleinstaaten zersplittertem Deutschland lebte, das modernste und schnellste Kommunikationsmittel, um sich über die Provinzgrenzen hinwegzusetzen. Ein anderes Mittel, um der Enge zu entweichen und mit den Ideen der Welt in Kontakt zu treten, bestand im Erwerb und in der Lektüre guter Bücher und in dem Besuch von Bibliotheken, sofern es möglich war.
Bis Mitte des 18. Jahrhunderts, man vergisst das heute allzu leicht, war ja der Besitz von Büchern das Privileg einer Minderheit. Der Adel, die wohlhabenden Bürger, der Klerus und die Gelehrten teilten sich dieses heute jedermann zugängliche Glück. Das Buchangebot wurde jedoch breiter und größer. Vor allem die Unterhaltungsliteratur wuchs überproportional, schreibt der Kulturwissenschaftler York-Gothart Mix. 1740 erschienen 1144 Neuerscheinungen.
" 1778 bieten 228 Verlage auf der Leipziger Messe ihre Produktion feil, 1785 sind es schon 325. ... Zwischen 1771 und 1800 verdoppelte sich die Zahl der neuen Titel von 2000 auf 4000. In einem bis dato nicht gekannten Maß wird das Buch zum gewinnbringenden Spekulationsobjekt."
Schiller schimpfte über die elenden "Skribenten und gewinnsüchtigen Verleger" . Ein guter Kollege klärte den wackeren Idealisten jedoch auf, der Buchmarkt werde nicht nur von
" "jungen Kandidaten, angehenden Pastoren oder Studenten getragen", "
sondern ebenso von
" "Friseuren, Kammerjungfern, Bedienten, Kaufmannsdienern und dergleichen"."
Das größere Buchangebot ermöglichte es immer mehr Literaturliebhabern, sich Privatbibliotheken aus alten und neuen Büchern anzulegen. Gleim, Schiller und Goethe oder Friedrich Schlegel haben das getan. Und natürlich teilten sie sich ihren Freunden über ihre Lektüreerlebnisse mit. Was gab es nicht alles zu entdecken, zu berichten, anzuschwärmen. Shakespeare, Ossian, Klopstock - die Dichtung der Völker und Laurence Sterne. Die Beschäftigung mit solchen Größen, meint Ernst Rohmer in seinem Beitrag, verstärkte noch die "Ausbildung einer Gruppenidentität".
Der Umgang mit Büchern kann jedoch auch Geselligkeit ersetzen, vor allem wenn es an Gleichgesinnten fehlt, mit denen man sich austauschen kann, wie die Literaturwissenschaftlerin Rosemarie Zeller am Beispiel des Schweizer Dichters Ulrich Bräker zeigt. Sie kommt zu einem Schluss, der noch heute gilt:
" Das Interessante am Beispiel Bräker ist, dass für ihn Lesen nicht eine einsame Tätigkeit ist, sondern gesellige Unterhaltung mit Autoren und Figuren der Texte. Die Lektüre ersetzt für Bräker nicht nur den geselligen Umgang, sie ist dieser gesellige Umgang selbst."
Geselligkeit und Bibliothek. Lesekultur im 18. Jahrhundert.
Herausgegeben von Wolfgang Adam und Markus Fauser in Zusammenarbeit mit Ute Pott.
Wallstein-Verlag 2005, 32 Euro
Diesem Aspekt ist auch eine Fachkonferenz nachgegangen, deren Beiträge jetzt als Buch vorliegen. Gleim als kommunizierende Röhre des angehenden Literaturbetriebs des 18. Jahrhunderts, Gleim als ein Vorläufer der modernen Medienkultur, der mit einem Netz von 400 "Korrespondenten" und cirka 10.000 Briefen über Halberstadts Grenzen weithin zu vernehmen war, das macht diesen nahezu vergessenen Dichter als Forschungsobjekt, wie es scheint, heute wieder interessant.
Dem Verfasser der "scherzhaften Lieder" und anderer patriotischer Gesänge ging es nicht allein um große Literatur, sondern auch darum, der Mitwelt zu zeigen, dass die lesenden und sich umtriebig weiterbildenden Bürgerkinder die wahren Kulturträger sind und nicht der Adel, der sich gönnerisch gerne als Kunstmäzen aufspielte. Mit überschwänglichen Briefen und in bewegenden Worten hielt "Vater Gleim" seine Getreuen zusammen:
" Ich dencke Tag und Nacht an Sie, mein liebster Ramler, ich dencke ganz allein an sie, und vergeße alle anderen Freunde ..Wenigstens werden Sie doch einen Abschiedskuß von ihm holen. Welche Thränen würden da fließen! Thränen der Freundschaft, der innersten Zärtlichkeit."
Küsse und Tränen als Vertrauensbeweise. Das liest sich schön. Aber muss man es auch praktizieren? Die Briefkultur florierte schon deswegen so sehr, weil auf dem Papier alles leichter geht. Direkten Kontakten ist man bisweilen mit dem Argument aus dem Weg gegangen, so Emilio Bonfatti zusammenfassend:
" dass Briefe zu schreiben vorteilhafter sei als der persönliche Umgang, und zwar weil eine glückliche Gesprächsstunde - also die Stunde des Schreibens und die des Antwort-Erhaltens – sich auf zwei Stunden verdoppeln lasse."
Das Briefeschreiben war für Gleims Generation, die in einem in Kleinstaaten zersplittertem Deutschland lebte, das modernste und schnellste Kommunikationsmittel, um sich über die Provinzgrenzen hinwegzusetzen. Ein anderes Mittel, um der Enge zu entweichen und mit den Ideen der Welt in Kontakt zu treten, bestand im Erwerb und in der Lektüre guter Bücher und in dem Besuch von Bibliotheken, sofern es möglich war.
Bis Mitte des 18. Jahrhunderts, man vergisst das heute allzu leicht, war ja der Besitz von Büchern das Privileg einer Minderheit. Der Adel, die wohlhabenden Bürger, der Klerus und die Gelehrten teilten sich dieses heute jedermann zugängliche Glück. Das Buchangebot wurde jedoch breiter und größer. Vor allem die Unterhaltungsliteratur wuchs überproportional, schreibt der Kulturwissenschaftler York-Gothart Mix. 1740 erschienen 1144 Neuerscheinungen.
" 1778 bieten 228 Verlage auf der Leipziger Messe ihre Produktion feil, 1785 sind es schon 325. ... Zwischen 1771 und 1800 verdoppelte sich die Zahl der neuen Titel von 2000 auf 4000. In einem bis dato nicht gekannten Maß wird das Buch zum gewinnbringenden Spekulationsobjekt."
Schiller schimpfte über die elenden "Skribenten und gewinnsüchtigen Verleger" . Ein guter Kollege klärte den wackeren Idealisten jedoch auf, der Buchmarkt werde nicht nur von
" "jungen Kandidaten, angehenden Pastoren oder Studenten getragen", "
sondern ebenso von
" "Friseuren, Kammerjungfern, Bedienten, Kaufmannsdienern und dergleichen"."
Das größere Buchangebot ermöglichte es immer mehr Literaturliebhabern, sich Privatbibliotheken aus alten und neuen Büchern anzulegen. Gleim, Schiller und Goethe oder Friedrich Schlegel haben das getan. Und natürlich teilten sie sich ihren Freunden über ihre Lektüreerlebnisse mit. Was gab es nicht alles zu entdecken, zu berichten, anzuschwärmen. Shakespeare, Ossian, Klopstock - die Dichtung der Völker und Laurence Sterne. Die Beschäftigung mit solchen Größen, meint Ernst Rohmer in seinem Beitrag, verstärkte noch die "Ausbildung einer Gruppenidentität".
Der Umgang mit Büchern kann jedoch auch Geselligkeit ersetzen, vor allem wenn es an Gleichgesinnten fehlt, mit denen man sich austauschen kann, wie die Literaturwissenschaftlerin Rosemarie Zeller am Beispiel des Schweizer Dichters Ulrich Bräker zeigt. Sie kommt zu einem Schluss, der noch heute gilt:
" Das Interessante am Beispiel Bräker ist, dass für ihn Lesen nicht eine einsame Tätigkeit ist, sondern gesellige Unterhaltung mit Autoren und Figuren der Texte. Die Lektüre ersetzt für Bräker nicht nur den geselligen Umgang, sie ist dieser gesellige Umgang selbst."
Geselligkeit und Bibliothek. Lesekultur im 18. Jahrhundert.
Herausgegeben von Wolfgang Adam und Markus Fauser in Zusammenarbeit mit Ute Pott.
Wallstein-Verlag 2005, 32 Euro