Geschmacklos: die Deklarationstricks mit den Geschmacksverstärkern

Von Udo Pollmer |
Der Geschmacksverstärker Glutamat ist in die Kritik geraten – nicht nur, weil er Fleischgeschmack vortäuscht, wo gar kein Fleisch drin ist, sondern auch wegen seiner allseits bekannten Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen oder des China-Restaurant-Syndroms. Glücklicherweise ist davon nur eine Minderheit betroffen.
Wie kann der Verbraucher Produkte mit Glutamat meiden?
Der klassische Tipp lautet: lesen Sie das Etikett. Und wenn kein Glutamat draufsteht oder kein E 621, ist auch keins zugesetzt. Leider nützt das nichts. Denn Glutamat versteckt sich heute hinter Allerweltsbezeichnungen wie „Aroma“, „Würze“, „Trockenmilcherzeugnis“ oder „fermentierter Weizen“. Andere Hersteller, vor allem seitens der Bioszene, die ja kein Glutamat zusetzen darf, greifen zum „Hefeextrakt“ – wenn Sie so wollen zum Glutamat in Grün. Denn bei der Herstellung von Hefeextrakt werden jede Menge Geschmacksverstärker freigesetzt.

Aber Hefe ist doch eine klassische Zutat?
Solange Hefe oder Hefeextrakt zugesetzt wird, um für einen typischen Hefegeschmack zu sorgen, stimmt das natürlich. Aber hier werden Extrakte verwendet, die in keiner Weise an Hefe gemahnen. Der Geruch nach Hefe gehört zu den intensivsten Aromastoffen, die es gibt. Man kriegt sie praktisch nicht aus dem Extrakt raus. Aber in dieser Hinsicht ist diesen Extrakten nichts mehr anzuriechen. Insofern handelt es sich um neuzeitliche Spezialprodukte, um sogenannte funktionale Additive, die ausschließlich der Geschmacksverstärkung dienen. Kaum kein Hersteller kann auf die Kosteneinsparungen durch Geschmacksverstärker verzichten.

Nun gibt es Produkte mit dem Aufdruck „Ohne Zusatzstoff Glutamat“. Stimmt das denn?
Juristisch sollte es stimmen, rein sachlich bedeutet dieser Satz nur: Wir haben kein Glutamat untergerührt, wir haben stattdessen Hefeextrakt, Milcheiweißerzeugnisse oder sonst was rein getan, das Geschmacksverstärker liefert – aber juristisch nicht als Zusatzstoff klassifiziert ist. Und selbst wenn gar nichts draufsteht, will das nichts heißen. Ich habe wiederholt bei Warentests feststellen müssen, dass das Glutamat auf dem Etikett einfach „vergessen“ wird. Auf diese Weise bekommt der Kunde ein vollmundiges Produkt, das er nach aufmerksamer Lektüre der Zutatenliste mit gutem Gewissen speist. Und der Hersteller spart sich teure Marketingausgaben, das Produkt läuft von ganz alleine.

Warum verbietet man nicht alle Zusätze dieser Art?
Das würde nichts nützen, unsere Lebensmittelindustrie ist schon viel weiter. Man kann den Gehalt an Geschmacksverstärkern erhöhen, indem man gar nichts reintut, sondern nur elektrischen Strom durchs Produkt leitet. Dann bilden sich – wen man es richtig macht – ganz von selbst die gewünschten Stoffe. Verbietet man das, dann nehmen sie eben Enzyme. Diese Enzyme setzen aus den Eiweißen im Produkt gezielt Glutamat frei – und wenn ich will, mach ich’s so, dass es erst im Kochtopf des Verbrauchers passiert. Auch der nächste Schritt liegt schon auf der Hand: Man nehme probiotische Keime, denen man so ganz nebenbei beigebracht hat, Geschmacksverstärker zu erzeugen. Damit der Kunde nicht auf dumme Gedanken kommt, wird man genau das als gesundheitlichen Vorteil vermarkten – ohne das Wort Geschmacksverstärker zu verwenden. Wie wär’s mit „neuroaktiven Aminosäuren zur Steigerung der Denkleistung“?

Das klingt alles ziemlich verrückt – sagen Sie mal, woher kommt unser Hang zum Glutamat?
Das hat biologische Gründe: Die Glutaminsäure ist die häufigste Aminosäure im Eiweiß. Da Eiweiß für den Körper lebenswichtig ist, benötigt er ein Erkennungssystem dafür. Sobald die Zunge merkt, dass da wohl etwas Lebenswichtiges drin ist, steigt der Appetit. Die Präferenz für Glutamat ist angeboren. Allerdings schmeckt frisches, intaktes Eiweiß noch nicht nach Glutamat. Das Glutamat wird erst dann freigesetzt, wenn das Fleisch in Zersetzung übergeht, wenn das Fleisch reift. Unsere Vorfahren in der Savanne haben oft genug den Großkatzen die lange abgehangene Beute aus den Bäumen geklaut. Da ist das freie Glutamat ein vorzüglicher Hinweis auf den Nährwert der verwesenden Antilope. Dieser Nährwert steigt übrigens mit der Zersetzung, weil der Körper immer weniger Arbeit damit hat, das Produkt aufzuschließen. Das ist der Grund, warum wir so einen Jip auf Glutamat haben.

Literatur:
Pollmer U., Niehaus M.: Food Design: Panschen erlaubt. Wie unsere Nahrung ihre Unschuld verliert. Hirzel, Stuttgart 2007
Autorenkollektiv: Glutamat. EU.L.E.N-Spiegel 2004 Heft 4-5: S.1-19