Geschlechtsspezifisches Verhalten
In "Das männliche Gehirn" geht es der Neuropsychiaterin Louann Brizendine nicht wirklich ums Gehirn, sondern vor allem um Hormone, vor allem um Geschlechtshormone - zumindest um die Beschreibung und Erklärung geschlechtsspezifischen Verhaltens.
"Ist es eigentlich normal, dass man nach dem Sex sofort einschläft?" fragt Matt an einer Stelle in diesem Buch, aber glücklicherweise kann Louann Brizendine ihn beruhigen: Anders als viele Frauen annähmen, deute die sogenannte "postkoitale Narkolepsie" nicht auf einen Mangel an Zugewandtheit oder gar Liebe hin, sondern habe rein hormonelle Gründe. Das Hormon Oxytocin, das nach dem Orgasmus ausgeschüttet wird, sei allein für diesen kleinen Aufmerksamkeitsmangel verantwortlich, der von so vielen Frauen beklagt wird.
Oxytocin wiederum, von Brizendine auch blumig "der Löwenbändiger" genannt, so teilt sie schon in der Einleitung mit, ist neben Testosteron, Vasopressin, Anti-Müller-Hormon, Prolactin, Cortisol, Androstendion, Dopamin und Östrogen einer der Hauptakteure auf der "Bühne der Neurohormone". Und darum geht es. Denn in "Das männliche Gehirn" – anders, als es der Titel erwarten lässt, ebenso wie im Vorläuferbuch "Das weibliche Gehirn" – geht es der Neuropsychiaterin Louann Brizendine eben nicht wirklich ums Gehirn, sondern vor allem um Hormone, vor allem um Geschlechtshormone, zumindest um die Beschreibung und Erklärung geschlechtsspezifischen Verhaltens.
Dass sie nur altbekannte Geschlechterklischees in ein modernes wissenschaftliches Mäntelchen hülle, ist Louann Brizendine schon oft vehement vorgeworfen worden. Der Vorwurf trifft durchaus zu, jedenfalls was das Problem von Stereotypen betrifft. Denn was das Mäntelchen betrifft, so sind Brizendines Bücher tatsächlich in einem Maße populär, dass von "wissenschaftlich" nicht mehr die Rede sein kann. Wenn etwas an dem Buch wirklich frustrierend ist, dann die Tatsache, dass man darin so gar nichts Gehaltvolles über das menschliche Gehirn und seine Funktionsweise erfährt.
Nur am Rande werden die wirklich interessanten Fragen gestreift: etwa neuere Untersuchungen, die nicht nur zeigen, dass sich das Gehirn in der Evolution entwickelt hat, sondern auch nahelegen, dass es sich durch individuelle Plastizität und Lernfähigkeit auszeichnet – und die so die Alternative von "biologisch angeboren" versus "sozial geprägt" unterlaufen.
Die Psychiaterin Brizendine plaudert vorwiegend aus dem Nähkästchen ihrer therapeutischen Praxis, wo sie Frauen berät, die sich selbst oder ihr Umfeld nicht verstehen. In "Das weibliche Gehirn" waren es die Frauen selbst, die analysiert wurden. Nun sind es die Söhne, Freunde, Männer und Sexualpartner, deren Verhalten Dr. Brizendine durch den Hinweis auf die Andersartigkeit der männlichen Hormone und des männlichen Gehirns erklärt.
Leider oft in wenig aussagekräftigen Sätzen: "Ich erklärte Nicole, dass das Lustzentrum im männlichen Gehirn die Männer automatisch dazu veranlasst, attraktive Frauen in allen Einzelheiten wahrzunehmen und visuell festzuhalten". Das männliche Gehirn veranlasst also Männer, sich wie Männer zu verhalten. Aha. In der Debatte über Geschlechterdifferenz wie in der Debatte über Gehirnforschung könnte man gehaltvollere Beiträge gebrauchen.
Besprochen von Catherine Newmark
Louann Brizendine: Das männliche Gehirn. Warum Männer anders sind als Frauen
aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2010, 320 Seiten, 20 Euro
Oxytocin wiederum, von Brizendine auch blumig "der Löwenbändiger" genannt, so teilt sie schon in der Einleitung mit, ist neben Testosteron, Vasopressin, Anti-Müller-Hormon, Prolactin, Cortisol, Androstendion, Dopamin und Östrogen einer der Hauptakteure auf der "Bühne der Neurohormone". Und darum geht es. Denn in "Das männliche Gehirn" – anders, als es der Titel erwarten lässt, ebenso wie im Vorläuferbuch "Das weibliche Gehirn" – geht es der Neuropsychiaterin Louann Brizendine eben nicht wirklich ums Gehirn, sondern vor allem um Hormone, vor allem um Geschlechtshormone, zumindest um die Beschreibung und Erklärung geschlechtsspezifischen Verhaltens.
Dass sie nur altbekannte Geschlechterklischees in ein modernes wissenschaftliches Mäntelchen hülle, ist Louann Brizendine schon oft vehement vorgeworfen worden. Der Vorwurf trifft durchaus zu, jedenfalls was das Problem von Stereotypen betrifft. Denn was das Mäntelchen betrifft, so sind Brizendines Bücher tatsächlich in einem Maße populär, dass von "wissenschaftlich" nicht mehr die Rede sein kann. Wenn etwas an dem Buch wirklich frustrierend ist, dann die Tatsache, dass man darin so gar nichts Gehaltvolles über das menschliche Gehirn und seine Funktionsweise erfährt.
Nur am Rande werden die wirklich interessanten Fragen gestreift: etwa neuere Untersuchungen, die nicht nur zeigen, dass sich das Gehirn in der Evolution entwickelt hat, sondern auch nahelegen, dass es sich durch individuelle Plastizität und Lernfähigkeit auszeichnet – und die so die Alternative von "biologisch angeboren" versus "sozial geprägt" unterlaufen.
Die Psychiaterin Brizendine plaudert vorwiegend aus dem Nähkästchen ihrer therapeutischen Praxis, wo sie Frauen berät, die sich selbst oder ihr Umfeld nicht verstehen. In "Das weibliche Gehirn" waren es die Frauen selbst, die analysiert wurden. Nun sind es die Söhne, Freunde, Männer und Sexualpartner, deren Verhalten Dr. Brizendine durch den Hinweis auf die Andersartigkeit der männlichen Hormone und des männlichen Gehirns erklärt.
Leider oft in wenig aussagekräftigen Sätzen: "Ich erklärte Nicole, dass das Lustzentrum im männlichen Gehirn die Männer automatisch dazu veranlasst, attraktive Frauen in allen Einzelheiten wahrzunehmen und visuell festzuhalten". Das männliche Gehirn veranlasst also Männer, sich wie Männer zu verhalten. Aha. In der Debatte über Geschlechterdifferenz wie in der Debatte über Gehirnforschung könnte man gehaltvollere Beiträge gebrauchen.
Besprochen von Catherine Newmark
Louann Brizendine: Das männliche Gehirn. Warum Männer anders sind als Frauen
aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2010, 320 Seiten, 20 Euro