Geschlechtsidentitäten

Wer "trans" sagt, muss auch "cis" sagen

Ein Bild, auf dem um den Schriftzug "We are one" verschiedene Geschlechteridentitäten wie lesbisch, schwul oder cisgender notiert sind.
Wie nennt man wen so, dass die Person sich auch gemeint fühlt? Eine Debatte, die anhält. © imago/ZUMA Press
Von Ingo Kottkamp · 15.05.2017
Wie redet man miteinander, wenn es um Fragen der Geschlechtsidentität geht? Das ist gar nicht so einfach. Der Begriff Transgender hat sich inzwischen etabliert. Cisgender ist allerdings weniger verbreitet. Dabei käme man damit weg von Bezeichnungen wie "normal".
Ingo: "Ich würde mich selbst als Mann verstehen und wenn man so möchte als Cis-Mann – habe aber auch ganz bestimmt viele weibliche Anteile auch in mir. Also insofern glaube ich, dass das Thema nicht nur Trans-Menschen angeht, sondern alle."
Lukas: "Also tatsächlich ist es ganz interessant, ganz viele sagen 'Ja, ich identifiziere mich auch nicht klar als Geschlecht X'. Das war das gleiche, als ich angefangen habe vegetarisch oder vegan zu leben – wenn ich gesagt habe 'Ich esse jetzt vegetarisch'. Dann haben die Leute auch immer gesagt 'Ich esse auch ganz wenig Fleisch' Also irgendwie gibt es da so eine Rechtfertigungshaltung die gar nicht nötig ist."
Und schon sind wir mittendrin. Nicht nur in "Other Nature", dem alternativen, queer-feministischen, veganen und ökologisch bewussten Sex-Laden in Kreuzberg. Sondern vor allem: mitten in der Debatte. Denn im Gespräch mit Lukas, dem Mitarbeiter bei Other Nature, geht es nur vordergründig um Butt-Pads, Chest-Binder und Dildos. Eigentlich reden wir die ganze Zeit über Sprache. Wie redet man miteinander, wie redet man übereinander, wenn es um Fragen der Geschlechtsidentität geht. Wie nennt man wen so, dass oder sie sich auch gemeint fühlt. Und immer wieder fällt da diese Vorsilbe: cis.
Lukas: "Cis bedeutet nichts Negatives. Es ist ganz einfach nur 'ne Bezeichnung für etwas, wofür es vorher keine Bezeichnung gab."
Henri: "Is' halt das Gegenteil von Trans."
Lukas: "In der Regel sind das Menschen, die sich mit dem Geschlecht, was ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, identifizieren, immer identifiziert haben oder wieder identifizieren."
Miss Tobi: "Cis-Frau is ja praktisch 'ne Frau, die biologisch als Frau geboren is und aufgewachsen ist, oder Cis-Mann genauso."

Sexualwissenschaftler erfand 1995 den Cisgender-Begriff

Es war der Sexualwissenschaftler Volkmar Siegusch, der 1995 die anderen Zusammenhängen erprobte Terminologie von cis für diesseits im Gegensatz zu trans für jenseits auf die Geschlechtsidentität bezog und damit das Wort Cisgender erfand. Wenn wir ernsthaft entpathologisieren wollen, so schrieb er damals, sollten wir Andersartigkeiten, die wir nie verstehen werden, als Lebensnotwendigkeiten respektieren.
Für Miss Tobi, Felicia und Lukas, die sich alle in unterschiedlicher Weise als trans verstehen, stellt sich dieser Diskurs naturgemäß anders dar als für die, für die immer alles eindeutig war oder schien.
Lukas: "Bei Trans-Personen ist es ganz normal, die sind, also was heißt, is' ganz normal… Trans-Personen sind es gewöhnt als Trans bezeichnet zu werden. Im Idealfall bezeichnen sie den Begriff selber. Im nicht so Idealfall ist es eine Fremdzuschreibung. Warum braucht man den Begriff? Da kann man lange drüber diskutieren. Oftmals sagen Cis-Menschen 'Warum soll man plötzlich Cis sagen? Wir sind doch einfach nur Menschen?' Dann kommen die Trans-Menschen 'Hey, aber wir werden als Trans-Menschen bezeichnet. Das bedeutet quasi, ihr seid die Norm und wir weichen davon ab. Was sind wir dann?' Also wenn es einen Begriff 'Trans' geben muss, dann muss es auch 'nen Begriff 'Cis' geben. Das ist meine persönliche Meinung."
Felicia: "Ich meine, wir benutzen im Prinzip ja heute auch heterosexuell, und ganz viel früher hat man gesagt, homosexuell und die Normalen, und das ist halt das gleiche Prinzip."
Es gibt auch eine ganz pragmatische Verwendung von cis, und zwar bei Szeneparties.
Miss Tobi: "Der Begriff hat sich in der queeren Szene eigentlich ganz gut etabliert, und ist mehr so 'n Begriff, um sich abzugrenzen. In dem Bereich lesbisch/trans wird er halt sehr verwendet, um auch Heteromänner dann von bestimmten Partys auch draußen zu halten, und durch die Abgrenzung schafft man auch wieder neue Räume. Aber man hält natürlich auch Leute dadurch aus den Räumen heraus. Is' immer die Frage dann."

Noch nicht im gelebten Wortschatz

Drei Arten von Kritik gibt es am Begriff Cis. Die häufigste besteht darin, dass Menschen ihn gar nicht kennen. Dann gibt es die Maskulinisten. Ihre meist dumpfen Einlassungen laufen letztlich darauf hinaus, dass alles, was mit Gender zu tun hat, die Diskriminierung "normaler" Männer sei. Aber auch in der queer-feministischen Szene selbst gibt es vereinzelt Stimmen, die das Konzept Cis-Trans in Frage stellen. Wird nicht eine Dualität aufgemacht, die man eigentlich überwinden will? Hat überhaupt jeder Mensch eine Geschlechtsidentität? Und ob der Begriff einmal so zum gelebten Wortschatz gehören wird wie heute homo- und heterosexuell, kann nur die Zukunft zeigen. Man muss aber auch sagen: Wenn viele Menschen sich selbst nicht als Cisgender bezeichnen möchten, dann oft nicht, weil sie nach langer Prüfung der Debatte zu diesem Standpunkt gekommen sind, sondern einfach aus dem Reflex heraus, überhaupt nichts anders machen zu wollen. Man gewöhnt sich eben ungern um – aber das kann selbst Transmenschen passieren.
Felicia: "Es passiert mir regelmäßig bei Workshops, dass ich aus Versehen Cis-Personen einfach normale Personen nenne. Auch bei dem Workshop am Freitag in der Schule. Über transgeschlechtlich, intergeschlechtlich … und dann haben wir halt über cis gesprochen, und ich halt, das sind halt die Normalen. Und dann so: Hab ich das grad wirklich gesagt? Hab ich das grad wirklich gesagt?"
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