Geschlechtergerechte Sprache

Gibt es eine Genderpflicht an Bayerns Hochschulen? 

07:15 Minuten
Eine Illustration eines Männlichkeits-Symbols, dessen Pfeil wegradiert und durch ein Plus unten ersetzt wird, was dann ein Weiblichkeits-Symbol ergibt
Fast alle bayerischen Universitäten haben einen Leitfaden zu geschlechtergerechter Sprache. Aber ist das nur ein Vorschlag oder auch Vorschrift? © imago images / Science Photo Library / Gary Waters
Von Michael Watzke · 06.10.2021
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In Bayern tobt eine Diskussion darüber, wie mit dem Gendern umgegangen werden soll. Ministerpräsident Markus Söder sprach von einem "Gender-Strafzettel" an Universitäten. In manchen Seminaren gibt es tatsächlich Punktabzug, wenn nicht gegendert wird.
"Söders Gender-Strafzettel ist eine reine Erfindung!", wettert Markus Rinderspacher von der bayerischen SPD. Der Landtags-Vizepräsident wirft Söder vor, "einen Umstand vorzugeben, der so gar nicht existiert – das ist eine Politik der alternativen Fakten!" Söder habe die bayerischen Universitäten in einen Schmutz-Wahlkampf hineingezogen, um noch ein paar letzte Stimmen zu holen, beklagt Rinderspacher.
Fakt ist: Der bayerische Ministerpräsident hatte eine Woche vor der Bundestagswahl seinen Wissenschaftsminister Bernd Sibler angewiesen, den Universitäten auf die Finger zu klopfen wegen möglicher "Gender-Strafzettel". Sibler gehorchte und schickte sofort einen Brandbrief an die Unis.
Genutzt hat es scheinbar wenig. Denn nach Deutschlandfunk-Kultur-Recherchen gibt es zumindest an einer bayerischen Hochschule tatsächlich eine Art Gender-Strafzettel. Uns liegt ein Dokument vor, das die Pflicht zum Gendern belegt. Und die betroffene Uni schreitet nicht dagegen ein.
Die Münchner Jurastudentin, RCDS-Vorsitzende in Bayern und Mitglied im CSU-Vorstand Anna-Maria Auerhahn sagt, dass in Hausarbeiten explizit auf die Richtlinien verwiesen wurde, was unterschwellig das Gefühl vermittelt hätte, dass eine Umsetzung davon für eine gute Note Pflicht gewesen sei.

Vorschlag oder Vorschrift?

Diese Richtlinie ist ein Gender-Leitfaden, der den Gebrauch geschlechtergerechter Sprache vorschreibt. Etwa die Verwendung eines Gendersternchens, die Umwandlung von "Studentinnen und Studenten" in "Studierende". Oder die Aussprache "Student-innen" statt "Studentinnen". Fast alle bayerischen Universitäten haben einen solchen Leitfaden.
Darunter auch die Uni Würzburg: "Die Universität Würzburg legt großen Wert auf Toleranz in jedweder Hinsicht. Deshalb halten wir auch geschlechtersensible Sprache für wichtig. Wir haben einen Leitfaden, der besagt, dass in allen Richtlinien, Verordnungen und offiziellen Texten der Universität geschlechtergerechte Sprache zu verwenden ist. Aber es gibt keine Verpflichtung für Studierende zu gendern", so Esther Knemeyer, Pressesprecherin der Hochschule.
Sie weist darauf hin, dass es bisher keine Beschwerden gegeben habe. Anders an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Die regelt das Thema "Gendern" nicht so trennscharf. An der LMU gibt es keinen eigenen Gender-Leitfaden – man richte sich nach der Verordnung der bayerischen Staatsregierung für Ämter und Behörden, sagt die Uni. Diesen Leitfaden hatte Bayerns Ministerpräsident Söder höchstpersönlich vorgestellt – mit den Worten:
"Wir brauchen eine geschlechtersensible Sprache. Deswegen ist für uns wichtig, dass sich in der Weiterentwicklung aller staatlichen Vorhaben – ob das Geschäftsordnungen oder Leitfäden sind – Frauen und Männer gleichberechtigt wiederfinden." In derselben Pressekonferenz hatte Söder aber auch gesagt: "Wir sind gegen Übermaß, wir sind für die richtige Balance und nicht für die Überforderung."

Punktabzug wie bei Rechtschreibfehlern

An der Ludwig-Maximilians-Universität München fühlen sich manche Studentinnen und Studenten überfordert vom Gendern. In einem Politikwissenschaftsseminar zum Thema "Wissenschaftliches Arbeiten" verschickte die LMU-Dozentin Lisa K. einen "Bewertungsbogen" für die Benotung der Klausuren und Hausarbeiten der Seminarteilnehmer. Dieses interne PDF-Dokument liegt Deutschlandfunk Kultur vor. Laut diesem Bewertungsbogen wird jeder, der oder die keine genderneutrale Sprache benutzt, mit Punktabzug bestraft.
Die Note verschlechtert sich dadurch im selben Maße wie etwa bei Rechtschreibfehlern oder falscher Gliederung der wissenschaftlichen Arbeit. Auf die Frage, ob die Dozentin den Bewertungsbogen selbst entwickelt oder von ihrem Institut bekommen hat, verweigert sie die Aussage – sie sei derzeit nicht im Dienst.
Ihr vorgesetztes Institut verweist auf die Pressestelle der LMU. Und die weicht aus. Auf die Frage von Deutschlandfunk Kultur, ob die wissenschaftliche Mitarbeiterin schlechtere Noten vergeben durfte, weil Studenten nicht genderten, antwortet die Uni: "Es ist darauf hinzuweisen, dass Lehrende an Hochschulen im Rahmen der Wissenschaftsfreiheit grundsätzlich in der Gestaltung ihrer Lehre frei sind."
Aber widerspricht diese Vorgehensweise nicht eindeutig den Leitlinien des Freistaates Bayern? Muss die Uni dann nicht einschreiten? Antwort: "Sollten Beschwerden von Studierenden mit konkreten Anhaltspunkten für eine Benachteiligung an die Universität herangetragen werden, würde diesen – je nachdem, wie sich der jeweilige Fall darstellt – nachgegangen werden."

Söder bleibt überraschend still

Aber genau das ist nie passiert. Denn nach Deutschlandfunk-Kultur-Informationen hatten mehrere Studenten im Seminar offen Kritik am Gender-Zwang geübt. Und mindestens eine Studentin hatte einen Beschwerdebrief an die Uni geschickt. Allerdings anonym – aus Angst vor Repressionen der Dozentin. Die Uni reagierte nicht. Der Bewertungsbogen ist an der LMU weiterhin gültig.
Warum also schrieb Markus Rinderspacher von der Bayern-SPD, es gebe an Bayerns Universitäten keinen Gender-Strafzettel? Rinderspacher verweist auf die Antwort des bayerischen Wissenschaftsministeriums auf seine parlamentarische Anfrage. Dort steht wörtlich:
"Aus dem Kreis der Studierenden wurden an die Staatsregierung Hinweise herangetragen, dass Sprach-Leitfäden zu gendergerechter Sprache durch Korrekturhinweise Bewertungsmaßstäbe setzen und sich negativ auf die Prüfungsergebnisse auswirken könnten."
Wie Rinderspacher daraus die Schlussfolgerung ziehen konnte, es gebe an Bayerns Unis keinen Gender-Strafzettel, bleibt sein Geheimnis. Erstaunlich ist nur: Söder schießt nicht zurück. Keine Spur mehr von seiner rauen Rhetorik kurz vor der Wahl, als er unter großem Beifall rief: "Wir sind ein Freistaat und kein Umerziehungsstaat, liebe Freunde. Bei uns zählt der gesunde Menschenverstand und kein Dogma und keine Doktrin."
Jetzt, nach der Wahl, will Söder einen Streit ums Gendersternchen um jeden Preis verhindern. In der CSU-Landesleitung scheinen sie den Eindruck gewonnen zu haben, dass Söder beim Thema Gendern nur verlieren kann. Weil es zwar seine konservative Basis in Wallung bringt – aber die vielen Wechselwähler eher verschreckt. Und die sind Söder derzeit wichtiger als seine CSU-Stammklientel.
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