Geschichtswissenschaft

Den Kontinuitäten rechter Gewalt auf der Spur

08:45 Minuten
Eine Person wird von Polizisten in den Bundesgerichtshof gebracht.
Mutmaßliche rechte Terrorzelle: Einer der Festgenommenen wird zum Bundesgerichtshof gebracht. © dpa / Silas Stein
Philipp Schnee im Gespräch mit Winfried Sträter |
Audio herunterladen
Rassistische Gewalt, Rechtsterroristen, geplante Anschläge: Ob dieses Thema in der Bundesrepublik wirklich so neu ist, haben Historikerinnen und Historiker in Potsdam diskutiert – und angekündigt, die Forschung über rechte Gewalt zu intensivieren.
Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn diese Leute nicht festgenommen worden wären: Rechtsterroristen, die monströse Anschläge geplant haben sollen und bürgerkriegsähnliche Zustände herbeiführen wollten. Und niemand weiß, wie viele potentielle Rechtsterroristen noch unterwegs sind.
Ist dieses Phänomen, das uns gegenwärtig zunehmend beunruhigt, wirklich so neu? Nur ein Problem des wiedervereinten Deutschland? Danach hat in der vergangenen Woche eine Tagung des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam gefragt. "Kontinuitäten rechter Gewalt" war das Thema von Historikern, die einen "Arbeitskreis Extreme Rechte" gebildet haben.

Forschungsprojekte werden ins Leben gerufen

Terrorismus ist in der Bundesrepublik immer noch mit drei Buchstaben verbunden: "RAF". Linksextremisten, die die alte Bundesrepublik erschüttert haben. Die geschichtswissenschaftliche Literatur darüber füllt Regale – aber Terrorismus von rechts ist nicht nur in der Politik, sondern auch in der Geschichtswissenschaft lange Zeit unterschätzt worden.
Historikerin Franka Maubach ist Mitherausgeberin des Buches "Zur rechten Zeit", das versucht, Licht in das geschichtswissenschaftliche Dunkel zu bringen. "Wenn man sich beispielsweise Gesamtdarstellungen der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte anschaut" erklärt die Historikerin, "dann spielt das Thema rechte Gewalt rechtes Denken, rechte Mobilisierungsformen, Bewegungen, Parteien eigentlich nur eine randständige Rolle. Das hat sich in den letzten Jahren verändert."
Unter den aktuellen Eindrücken und Herausforderungen sei inzwischen in der Zeitgeschichte und in der Geschichtswissenschaft insgesamt eine Sensibilität für das Thema entstanden, so Franka Maubach. Das führe dazu, dass viele Forschungsprojekte ins Leben gerufen werden. Auch würden viele Fragen gestellt nach dieser Vorgeschichte rechter Gewalt in der alten Bundesrepublik, aber natürlich auch in der DDR.

Lücke in der Geschichtswissenschaft

Rechte Gewalt ist ein Phänomen, von dem beide deutsche Staaten vor 1989 nicht verschont waren. Rechter Terrorismus erregte zwar erheblich weniger Aufsehen als linker Terrorismus, war jedoch mindestens ebenso blutig. Trotzdem gibt es bis heute eine Forschungslücke in der Geschichtswissenschaft. Er selbst habe dies mitbekommen, sagt Philipp Schnee, als er vor einigen Jahren zur Geschichte rechten Terrors recherchiert habe. Niemand in der Geschichtswissenschaft habe fundiert Auskunft geben können.
Erst seit kurzer Zeit ändere sich das – und das habe viel mit der Selbstwahrnehmung der alten Bundesrepublik zu tun, hat der Historiker Dominik Rigoll festgestellt: "Weil man vor allem die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik gesehen hat." Die westdeutsche Zeitgeschichte sei aus einer weißen, männlichen, privilegierten, liberalen Perspektive geschrieben worden.
Heute sehe man, dass auf einmal die AfD extrem stark ist, sagt Dominik Rigoll, dass seit dem Jahr 1990 ungefähr 200 Menschen aus rechtsextremen oder rassistischen Motiven getötet wurden. Deshalb müsse man überprüfen, ob da vielleicht nicht doch etwas übersehen wurde, und fragen: "Gibt es da Kontinuitäten der rechten Gewalt, aber auch des Nationalismus oder des Rassismus, die durch die Erfolgsgeschichte überdeckt wurden?"

Asymmetrische Forschungssituation schafft Probleme

Für die Historiker gibt es bei dieser Frage allerdings eine asymmetrische Forschungssituation. Vergleichsweise einfach ist es, rechte Gewalt in der DDR zu erforschen: Deren Akten sind zugänglich, vor allem durch die Öffnung der Stasi-Unterlagen. Diese Stasi-Akten, existieren, weil die DDR eben eine so eng überwachte Gesellschaft war.
In der BRD hingegen wurde rassistische Alltagsgewalt in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren noch nicht wirklich problematisiert und damit findet man sie auch kaum in Akten und Quellen. Die Betroffenen, meist eher Minderheiten, wurden eher nicht befragt. Bei der Erforschung der westdeutschen Geschichte halten staatliche Institutionen wie die Polizei oder Geheimdienste viele Unterlagen noch unter Verschluss.
Dadurch sind die Ausprägungen rechter Gewalt und viele Vorkommnisse der Jahrzehnte vor 1989 bisher nur sehr unzureichend erforscht. Nicht zuletzt dadurch ist der Eindruck entstanden, dass sich rechte und rassistische Gewalt erst nach der Wende und der Wiedervereinigung ausgebreitet hätten.
Dies genauer zu erforschen und die Spuren zu verfolgen, die von der aktuellen Gewalt in die Entwicklungen in beiden deutschen Staaten zurückreicht, ist das Anliegen, das den "Arbeitskreis Extreme Rechte" weiter beschäftigen wird.
Mehr zum Thema