Geschichtsvermittlung in Griechenland

Immer nur Byzanz - und nichts von Europa

Die Juristin und Lyrikerin Maria Topali
Im Geschichtsunterricht werden vor allem die heroischen Epochen behandelt. © Deutschlandradio / Stephanie Cisowski
Maria Topali im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 23.09.2015
Griechische Geschichtsbücher handelten fast ausschließlich vom eigenen Land, kritisiert die Juristin und Lyrikerin Maria Topali. Das habe nichts mit der Realität zu tun und führe zu einem Mangel an europäischer Identität.
Im griechischen Bildungssystem hat es zahlreiche Reformen gegeben. Doch welches Geschichtsbild wird griechischen Schülerinnen und Schülern heute vermittelt? Wie geht man mit den Brüchen in der griechischen Geschichte um?
Der Geschichtsunterricht sei bei den Reformen der Schulcurricula in den neunziger Jahren ausgespart geblieben, sagte die Juristin und Schriftstellerin Maria Topali im Deutschlandradio Kultur:
"Ich glaube, das ist ein sehr schwieriges Thema für die griechische Identität. Das ist eben eine Identitätsfrage. Man fürchtet die politischen Auswirkungen, und man fürchtet die Reaktionen aus der Gesellschaft."
"Wir sind das Zentrum der Welt"
Die Geschichtsbücher handelten fast ausschließlich nur von Griechenland, stellte Topali fest – als ob es nichts anderes auf der Welt gebe. So werde beispielsweise in einem Geschichtsbuch für die fünfte Klasse der Grundschule nur von der byzantinischen Zeit gesprochen, das Mittelalter werde fast gar nicht erwähnt:
"Und das vermittelt natürlich den jungen Griechen und Griechinnen ein Bild der Besonderheit: 'Wir sind natürlich etwas Besonderes. Wir sind das Zentrum der Welt. Und wir sind seit der Vorgeschichte ununterbrochen ein Wir. Es hat uns seit 5000 Jahren gegeben."
Geschichte endet meist beim Ersten Weltkrieg
Die Folge eines solchen Geschichtsunterrichts sei ein Mangel an europäischer Identität, kritisierte Topali. Oft reichten die Bücher nur bis zum Ersten Weltkrieg, auch das Thema der jüngeren europäischen Geschichte fehle zumeist:
"Vor allen Dingen besteht natürlich auch ein Widerspruch. Denken Sie an die griechischen Jugendlichen, die heute alle englisch sprechen. Die sind gut vernetzt über das Internet. Und was sie in der Schule lernen, ist eine ganz andere Geschichte, die eigentlich nichts mit der Realität zu tun hat."
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