Geschichtsdokument

Anleitung zum Umgang mit Deutschen

Panzer der Alliierten fahren beim Vormarsch im März 1945 durch die Straßen der Stadt Kevelear.
Panzer der Alliierten fahren beim Vormarsch im März 1945 durch die Straßen der Stadt Kevelear. © picture alliance / dpa / Pix Features, V. and P. Wickman
Von Pieke Biermann · 20.08.2014
Instruktionen für den Einsatz in Nazi-Deutschland: Für den Umgang mit den Deutschen bekamen die britischen Soldaten einst eine Art Grundlagenhandbuch, das den Charakter der feindlichen Bevölkerung beschrieb. Auch nach 70 Jahren ist es noch immer lesenswert.
Spätestens seit die US-Regierung auf den 9/11-Terror mit Bombeneinfällen im Irak reagierte, kennt man auch im friedensverträumten Deutschland das Wort "Exit-Strategie". Man sollte, besagt es, nicht irgendwo einfallen, wenn man nicht weiß, wie man wieder rauskommt. Das leuchtet selbst Zivilisten ein, ist aber nur der zweite Schritt. Der erste – für den zweiten unabdingbare – scheint in neuen "asymmetrischen" Kriegen fatalerweise wegtechnologisiert zu sein: Man sollte das Land, in das man einfällt, sehr gut kennen. Nicht nur die Geo- und Topografie samt Klima, sondern die Menschen und deren Geschichte, Kultur, Lebensart, Mentalität.
Die klugen Strategen hinter der alliierten Befreiung Westeuropas vom Nazijoch hatten den "Faktor Mensch" noch so scharf im Visier, dass sie bereits zu Anfang der militärisch-operativen Planungen für den D-Day auch Instruktionen für die "Fußtruppen" der Invasion entwickelten, und zwar auch und gerade dann, wenn es ins "befreundete Ausland" ging.
"Do"- und "Don't"-Listen
Die US Army bekam solche instructions 1942 für Großbritannien, Australien, Frankreich, das britische Foreign Office brachte sie 1943 für Frankreich und Deutschland heraus; im November 1944, ein halbes Jahr nach dem D-Day, steckten die Broschüren im britischen Soldatengepäck. Vier Monate später wurden die deutschen instructions zum Besatzungsleitfaden, die Exit-Strategie hieß "endgültige Friedensvereinbarung", bis dahin waren Deutsche "gefährliche Feinde".
Das klingt stur, sollte den Soldaten aber nur einschärfen, warum sie hier waren und dass sie gefälligst vorsichtig sein sollten. Dafür gab es "Do"- und "Don't"-Listen - Vorsicht vor Schnaps, Geschlechtskrankheiten, rührseligen Geschichten von attraktiven Frauen, Achten auf Haltung und Benehmen -, schließlich repräsentierten sie das Commonwealth. Fraternisieren, gar Heiraten, war verboten. Aber vor den Verhaltensmaßregeln stand eine Menge über Deutschland und die Deutschen. Und diese Texte sind in der Tat instruktiv und zum Teil ziemlich genial. Sie kommen ohne jede platte Nazi-Hunnen-Rhetorik aus, stattdessen spiegeln sie zweierlei gleichzeitig: das unheimliche deutsche Schwanken zwischen Musikliebe und Kriegsverbrechen und eine gelassene britishness aus Fairplay und Selbstironie.
Fußball "lernten sie von uns"
Was Hitler und sein Krieg aus und mit Deutschland und den Deutschen gemacht haben, wird durchaus differenziert behandelt – auch anhand von Frauenrechten, kaum noch gutem Essen oder schlechten, weil Propaganda-Filmen. Fußball wird kurz und kiebig gestreift ("lernten sie von uns"), und deutsches Bier sei kriegsbedingt, heißt es, "noch stärker verdünnt als englisches", außerdem immer "gekühlt". Das kann nur einer geschrieben haben, der seine warme heimische Plörre nicht goutiert oder das bei seinen Lesern vermutet!
Die deutsche Fassung ist gelegentlich etwas frei – zum Beispiel gleich gänzlich befreit von der letzten Seite des Vorworts –, aber zum Glück zweisprachig. Man kann also das Original lesen. Kurz: Diese instructions von 1944 sind auch 2014 ausgesprochen erbaulich.

The Bodleian Library (Hg.): Leitfaden für britische Soldaten in Deutschland 1944
Zweisprachige Ausgabe (Englisch/Deutsch). Übersetzt von Klaus Modick
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014
160 Seiten, 8,00 Euro

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