Geschichten von einsamen Helden
Roberto Bolaños Erzählungen in "Der unerträgliche Gaucho" drehen sich um einen todtraurigen ehemaligen US-Marine, der den Zaubermächten Mexikos erliegt. Und um einen pensionierten Anwalt aus Buenos Aires, der die korrupte Stadt verlässt, um in der Pampa zu leben - näher beim alten Argentinien, wie er meint. Doch das alte Argentinien findet er dort nicht mehr.
Es sind Geschichten von einsamen Helden in verständnisloser, oft feindseliger Umgebung, und diese Helden haben eines gemeinsam: Sie sind dabei, alles hinter sich zu lassen, die Brücken abzubrechen, sie gehen, um nicht zurückzukehren.
Da ist ein pflichttreuer Polizist in einem feuchten Revier, eine Ratte in einem Rattenuniversum, und dieser Rattenpolizist wagt den Kampf gegen einen räuberischen Marder, obgleich er weiß, daß der Marder ihn zerfetzen wird. Da ist die Hauptfigur aus "Zwei katholische Erzählungen", ein Amokläufer, der nach der Tat eine Fahrkarte kauft, für den nächsten Zug, "egal, wohin". Da ist Jim, ein ehemaliger Marine, Jim, der traurigste Nordamerikaner, den der Ich-Erzähler je gesehen hat. "Er war den Zaubermächten Mexikos erlegen und blickte seinen Geistern geradewegs ins Gesicht."
Die Geister schleppt Jim seit Vietnam mit sich herum. Er ist ein Wrack, leichtes Opfer für alle Wegelagerer und die rüden Verbalattacken der Straßenkinder von Mexiko-Stadt. "Keine Kämpfe mehr, meinte Jim. Ich bin jetzt Dichter und suche das Außergewöhnliche, um es in gängige, geläufige Worte zu fassen." Der Ich-Erzähler, ein Jugendlicher in Mexiko, mag diesen traurigen Gringo, er nennt ihn seinen Freund, doch eines Tages ist der starke, schwache Mann verschwunden.
Und da ist dieser pensionierte Anwalt aus Buenos Aires, der die korrupte, dekadente Stadt verlässt, um in der Pampa zu leben, näher beim alten und wahren Argentinien, wie er meint. Doch das alte Argentinien findet er nicht mehr. Keine Kühe in der Pampe, nur noch Kaninchen. Die Hirten sitzen nicht im Sattel, sondern vor der Glotze. Manchmal am Abend will der Anwalt - wie lange vor ihm der edle Ritter aus der Mancha - einen Streit anzetteln, eine kleine Stecherei, doch wenn er das Messer zieht, weichen alle ängstlich zurück. Die ehemaligen Hirten sind Geiseln der neuen Zeit, und er, der Flüchtling aus der Zivilisation, ist "El gaucho unsufrible", jener schon "unerträgliche Gaucho", der dieser Prosasammlung des Exil-Chilenen Roberto Bolaño ihren Titel gab. Es ist ein schönes Buch, mit skurrilen, gut erzählten Geschichten, mit genauen Porträts, ein Buch voller Poesie und Wehmut. Es ist ein trauriges Buch, dieser Band aus dem Nachlaß des Erzählers, ein Buch über das Fortgehen, das Abschiednehmen.
Roberto Bolaño, 1953 in Santiago geboren, verlebte die Jugendjahre in Mexiko. Kurz vor dem Putsch vom 11. September 73 kehrte er zurück nach Chile. Acht Tage war er dort in Haft, dann emigrierte er wieder, diesmal für immer. In Spanien, dem Land der Großeltern ließ er sich nieder; er war Nachtwächter und Hafenarbeiter (ganz wie das Klischee es will), nachts hat er geschrieben. In den Achtzigern begann der Erfolg. Plötzlich galt Bolaño als große Hoffnung der spanischsprachigen Literatur, als bester lebender Autor aus diesem Sprachraum. Erinnert sei an seinen Roman "Die wilden Detektive" (1998) und an "Die Naziliteratur in Amerika" (1996), diese fiktive Enzyklopädie im Stile seines großen Vorbilds Jorge Luis Borges.
Der Erfolg verwundert ein wenig, wenn man bedenkt, daß dieser Chilene fürwahr kein "leichter" Autor und obendrein ein großer Spötter gewesen ist. Er verhöhnte seine machthörigen Landsleute und mehr noch seine Kollegen der schreibenden Zunft, die er in Mehrheit für bestenfalls mittelmäßig hielt. Im Sommer 2003 ist Bolaño erst fünfzigjährig an einem Leberleiden gestorben; der Tod machte ihn endgültig zum Mythos.
"Der unerträgliche Gaucho" zeigt nun noch einmal den ganzen Bolaño, in einer Reihe luzider Texte, der Krankheit abgerungen, in Erzählungen von kunstvoller Beiläufigkeit, halb realistisch, halb phantastisch. In mancher seiner tragikomischen Gestalten steckt ein gehöriges Stückchen "Ich". Gänzlich unmaskiert meldet sich der Autor in zwei Essays. In einem geißelt er die konsumorientierte Literaturindustrie. ("Gott segne die schwachsinnigen Nachkommen von García Márquez und die schwachsinnigen Nachkommen von Octavio Paz...")
In dem anderen Essay, unter dem vielsagenden Titel "Literatur + Krankheit = Krankheit", schreibt er über das eigene Sterben, über Galgenhumor im Krankenhaus, über Gespräche mit seiner Ärztin, die nie lächeln will. Das Dasein betrachtet er (gleich seinen Figuren) als Lebensfahrt, nüchtern notiert er: "Vom Reisen wird man krank." Er sei lange Zeit ein glücklicher Mensch gewesen, befindet Bolaño rückschauend, ohne Leiden, ohne große Ambitionen.
"Aber irgendwann ist es soweit. Kinder stellen sich ein. Bücher stellen sich ein. Die Krankheit stellt sich ein. Das Ende der Reise naht." Was bleibt? Die Hoffnung auf das nächste Werk des Chilenen (der über tausendseitige Roman "2666" blieb unvollendet, er harrt noch der Publikation). Und schaler Trost mit einem Kafka-Satz, den der Chilene als Motto über die Sammlung stellte: "Vielleicht werden wir also gar nicht sehr viel entbehren."
Roberto Bolaño:
Der uneerträgliche Gaucho.
Erzählungen und Essays aus dem Nachlass.
Aus dem Spanischen von Hanna Grzimek und Peter Kultzen.
Antje Kunstmann Verlag, München 2006. 189 S., 16,90 Euro.
Da ist ein pflichttreuer Polizist in einem feuchten Revier, eine Ratte in einem Rattenuniversum, und dieser Rattenpolizist wagt den Kampf gegen einen räuberischen Marder, obgleich er weiß, daß der Marder ihn zerfetzen wird. Da ist die Hauptfigur aus "Zwei katholische Erzählungen", ein Amokläufer, der nach der Tat eine Fahrkarte kauft, für den nächsten Zug, "egal, wohin". Da ist Jim, ein ehemaliger Marine, Jim, der traurigste Nordamerikaner, den der Ich-Erzähler je gesehen hat. "Er war den Zaubermächten Mexikos erlegen und blickte seinen Geistern geradewegs ins Gesicht."
Die Geister schleppt Jim seit Vietnam mit sich herum. Er ist ein Wrack, leichtes Opfer für alle Wegelagerer und die rüden Verbalattacken der Straßenkinder von Mexiko-Stadt. "Keine Kämpfe mehr, meinte Jim. Ich bin jetzt Dichter und suche das Außergewöhnliche, um es in gängige, geläufige Worte zu fassen." Der Ich-Erzähler, ein Jugendlicher in Mexiko, mag diesen traurigen Gringo, er nennt ihn seinen Freund, doch eines Tages ist der starke, schwache Mann verschwunden.
Und da ist dieser pensionierte Anwalt aus Buenos Aires, der die korrupte, dekadente Stadt verlässt, um in der Pampa zu leben, näher beim alten und wahren Argentinien, wie er meint. Doch das alte Argentinien findet er nicht mehr. Keine Kühe in der Pampe, nur noch Kaninchen. Die Hirten sitzen nicht im Sattel, sondern vor der Glotze. Manchmal am Abend will der Anwalt - wie lange vor ihm der edle Ritter aus der Mancha - einen Streit anzetteln, eine kleine Stecherei, doch wenn er das Messer zieht, weichen alle ängstlich zurück. Die ehemaligen Hirten sind Geiseln der neuen Zeit, und er, der Flüchtling aus der Zivilisation, ist "El gaucho unsufrible", jener schon "unerträgliche Gaucho", der dieser Prosasammlung des Exil-Chilenen Roberto Bolaño ihren Titel gab. Es ist ein schönes Buch, mit skurrilen, gut erzählten Geschichten, mit genauen Porträts, ein Buch voller Poesie und Wehmut. Es ist ein trauriges Buch, dieser Band aus dem Nachlaß des Erzählers, ein Buch über das Fortgehen, das Abschiednehmen.
Roberto Bolaño, 1953 in Santiago geboren, verlebte die Jugendjahre in Mexiko. Kurz vor dem Putsch vom 11. September 73 kehrte er zurück nach Chile. Acht Tage war er dort in Haft, dann emigrierte er wieder, diesmal für immer. In Spanien, dem Land der Großeltern ließ er sich nieder; er war Nachtwächter und Hafenarbeiter (ganz wie das Klischee es will), nachts hat er geschrieben. In den Achtzigern begann der Erfolg. Plötzlich galt Bolaño als große Hoffnung der spanischsprachigen Literatur, als bester lebender Autor aus diesem Sprachraum. Erinnert sei an seinen Roman "Die wilden Detektive" (1998) und an "Die Naziliteratur in Amerika" (1996), diese fiktive Enzyklopädie im Stile seines großen Vorbilds Jorge Luis Borges.
Der Erfolg verwundert ein wenig, wenn man bedenkt, daß dieser Chilene fürwahr kein "leichter" Autor und obendrein ein großer Spötter gewesen ist. Er verhöhnte seine machthörigen Landsleute und mehr noch seine Kollegen der schreibenden Zunft, die er in Mehrheit für bestenfalls mittelmäßig hielt. Im Sommer 2003 ist Bolaño erst fünfzigjährig an einem Leberleiden gestorben; der Tod machte ihn endgültig zum Mythos.
"Der unerträgliche Gaucho" zeigt nun noch einmal den ganzen Bolaño, in einer Reihe luzider Texte, der Krankheit abgerungen, in Erzählungen von kunstvoller Beiläufigkeit, halb realistisch, halb phantastisch. In mancher seiner tragikomischen Gestalten steckt ein gehöriges Stückchen "Ich". Gänzlich unmaskiert meldet sich der Autor in zwei Essays. In einem geißelt er die konsumorientierte Literaturindustrie. ("Gott segne die schwachsinnigen Nachkommen von García Márquez und die schwachsinnigen Nachkommen von Octavio Paz...")
In dem anderen Essay, unter dem vielsagenden Titel "Literatur + Krankheit = Krankheit", schreibt er über das eigene Sterben, über Galgenhumor im Krankenhaus, über Gespräche mit seiner Ärztin, die nie lächeln will. Das Dasein betrachtet er (gleich seinen Figuren) als Lebensfahrt, nüchtern notiert er: "Vom Reisen wird man krank." Er sei lange Zeit ein glücklicher Mensch gewesen, befindet Bolaño rückschauend, ohne Leiden, ohne große Ambitionen.
"Aber irgendwann ist es soweit. Kinder stellen sich ein. Bücher stellen sich ein. Die Krankheit stellt sich ein. Das Ende der Reise naht." Was bleibt? Die Hoffnung auf das nächste Werk des Chilenen (der über tausendseitige Roman "2666" blieb unvollendet, er harrt noch der Publikation). Und schaler Trost mit einem Kafka-Satz, den der Chilene als Motto über die Sammlung stellte: "Vielleicht werden wir also gar nicht sehr viel entbehren."
Roberto Bolaño:
Der uneerträgliche Gaucho.
Erzählungen und Essays aus dem Nachlass.
Aus dem Spanischen von Hanna Grzimek und Peter Kultzen.
Antje Kunstmann Verlag, München 2006. 189 S., 16,90 Euro.