Geschichten von einem egomanischen Stehaufmännchen

27.11.2012
Sein Stil ist hier höchst eigen und eher schlicht: In seiner Autobiografie erzählt der Musiker ein wenig zerstreut, aber durchaus lesenswert. Und er räsoniert auch: über das Leben an sich, über den Tod enger Weggefährten oder über das, was der Erfolg oder die Religion ihm bedeuten.
Gegen Ende seiner Autobiografie kommt Neil Young auf die mit ihm befreundete Musikerin Linda Ronstadt zu sprechen. 1977 besuchte er Ronstadt und ihre Freundin Nicolette Larson in Malibu, um sie zur Mitarbeit an einem neuen Album von ihm zu bewegen, das unter dem Titel "American Stars' n' Bars" erscheinen soll. Young ist begeistert von den beiden Frauen, auch heute noch, von ihrem Charakter, ihrem Gesang, "im Unterschied zu mir trafen sie immer den Ton", und er erzählt schließlich, bei wie vielen anderen seiner Alben Linda Ronstadt beteiligt war. Was er nicht vergisst zu erwähnen: Ronstadt war Mitte der siebziger Jahre süchtig nach Erdnussbutter. Und er fragt: "Sind das nicht genau die interessanten Informationen, die man von so einem Buch erwartet?"

Die Frage ist natürlich ironisch gemeint, aber sie hat auch ihre Berechtigung: Was erwartet man eigentlich, wenn ein so durch und durch kanonisierter, fast schon überlebensgroßer Rockmusiker wie Neil Young seine Autobiografie schreibt? Eine stringente, strikt chronologisch gehaltene Lebenserzählung? Einen eher an der musikalischen Laufbahn ausgerichteten Bericht? Eine Sammlung von Anekdoten, von Ronstadts Erdnussbuttersucht, Youngs Vorliebe für deutsche Pfannkuchen bis zu seinen Begegnungen mit Bob Dylan?

Bezüglich seiner Musik immer ist es immer am klügsten gewesen, keine Erwartungen zu haben. Denn der 1945 im kanadischen Toronto geborene Neil Young ist ein Meister darin, Erwartungen zu unterlaufen. Nicht anders hat er es bei seiner Autobiografie gehalten. Sie folgt keiner Chronologie, sondern macht eher den Eindruck, als habe Young sich Tag für Tag an den Schreibtisch gesetzt und sich von spontanen Eingebungen leiten lassen. Will heißen: Die Erinnerungen sind ungeordnet, die alten Geschichten erzählt er querbeet. Auch die Gegenwart, in der Young einige Projekte verfolgt, im ökologischen wie im musikalischen Bereich, spielt keine ganz kleine Rolle, und auch den einen oder anderen küchenpsychologischen und -philosophischen Ausflug unternimmt Young. Da räsoniert er über das Leben an sich, den Tod enger Weggefährten oder was der Erfolg oder die Religion ihm bedeuten.

Diese Autobiografie ist also eher eine zerstreute, passagenweise aber sehr lesenswerte. Youngs Autos in seinem "Feelgood´s" genannten Fahrzeugschuppen oder seine Lionel-Modelleisenbahn sind hier also genauso wichtig wie die Laufbahn von den Anfängen im kanadischen Winnipeg mit den Squires über die erste erfolgreiche Zeit in Kalifornien mit Buffalo Springfield und CSN&Y bis hin zur Karriere als Solokünstler.

Deutlich wird hier in seiner eigenen, im übrigen eher schlichten Schreibe: Neil Young ist ein höchst eigenwilliges, vermutlich egomanisches Stehaufmännchen, ein Musiker, der sich von einigen schweren privaten Schicksalsschlägen nie hat beirren lassen und für den die Musik mindestens soviel bedeutet wie das Familienleben - unter anderem mit einem schwerstbehinderten Sohn. Und so schreibt Young etwa über seine Zusammenarbeit mit seiner Begleitband Crazy Horse: "Sie sind mein Fenster zu jener kosmischen Welt, in der die Muse lebt und atmet. Mit ihnen finde ich zu mir und kann mich in jenen besonderen Bereich meiner Seele begeben, in dem die Songs grasen wie Büffel. Die Herde ist noch da, und die Prairie ist endlos".

Besprochen von Gerrit Bartels

Neil Young: Ein Hippie-Traum
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs, Michael Kellner und Hans-Ulrich Möhring. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012, 478 Seiten, 22,99 Euro

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