Geschichten mit einem feinen Witz

25.10.2012
Shahrush Parsipur ist die wohl am originellesten schreibende Iranerin der Gegenwart. "Frauen ohne Männer", das nun, 17 Jahre nach ihrem ersten auf deutsch vorliegenden Buch "Tuba" erscheint, erzählt in fünfzehn kurzen Kapiteln fünf Frauenschicksale aus der Zeit der fünfziger Jahre.
Leidgeschwängert ist sie, tiefschwarz und todesbesessen, die iranische Literatur der Gegenwart, Meisterwerke darunter wie "Die Blinde Eule" von Sadeq Hedayat oder die großen Romane über die iranischen Dörfer von Mahmud Doulatabadi. Auch viele iranische Frauen schreiben inzwischen, aber nur wenige sind so originell wie die 1946 geborene Shahrnush Parsipur. Während der Schahzeit und nach der islamischen Revolution war sie mehrfach im Gefängnis, bekam Publikationsverbot und wanderte schließlich in die USA aus. Ihr erster Roman auf deutsch, "Tuba", erschien bereits vor siebzehn Jahren. Jetzt gibt es ein zweites, freilich viel kürzeres Buch zu entdecken, "Frauen ohne Männer" - Shirin Neshat, die große iranische Videokünstlerin, hat es verfilmt, 2009 in Venedig wurde es ausgezeichnet.

In fünfzehn kurzen Kapiteln werden fünf Frauenschicksale aus der Zeit der fünfziger Jahre erzählt. Es gibt kein großes Zeitpanorama wie in "Tuba", ja eigentlich überhaupt keine Politik, keine Welthaltigkeit. "Frauen ohne Männer" ist vielmehr ein Märchen, eine Utopie, persische "Metamorphosen", tief und leichtfüßig zugleich, verspielt, poetisch und verrückt.

Da bekommt die Lehrerin Madokht von ihrem Kollegen, der offenbar eine Frau sucht, eine Einladung ins Kino. Als wäre es eine Beleidigung, lehnt sie empört ab und gibt ihre Stelle auf. Jungfräulichkeit als Obsession, von Frauen und Männern gleichermaßen geteilt, ist das große Leitmotiv, ja eigentliche Thema der Erzählungen: "Plötzlich schoss es ihr durch den Kopf: Meine Jungfräulichkeit ist wie ein Baum. Vielleicht bin ich ja deshalb so grün. ( ... ). Ich bin ein Samenkorn, ich bin ein Baum, ich muss mich selbst einpflanzen." Und ehe man sich als Leser versieht, geschieht genau dies. Madokht wird zum Baum.

Ähnliche, mehr oder weniger drastische Verwandlungen machen auch die anderen Frauen bei ihren manischen Versuchen durch, ihre Reinheit zu bewahren. Durchaus realistisch sind dagegen die sozialen Beziehungen der Protagonisten dargestellt. Ein gestandener Mann tötet seine erwachsene Schwester, weil sie ein paar Tage spurlos verschwindet. Und die Freundin der Schwester - sie hat ein Auge auf den Bruder geworfen - hilft ihm, sie zu verscharren. Wundert es angesichts eines solchen Verhaltens, dass die Tote sich zwei Tage später wieder ausgraben lässt und fortan Gedanken lesen kann? Was natürlich zu einigen komischen Verwicklungen führt.

Überhaupt werden die Geschichten mit einem so feinen und hintergründigen Witz erzählt, dass das Pathos nie überhand nimmt. Bemerkenswert ist auch, dass das Buch an keiner Stelle zu einem feministischen Manifest mutiert. Denn diese fast alle der Oberschicht angehörigen Damen vertreten die Werte, von denen sie sich unterdrücken lassen, allzu oft und allzu aggressiv selber.

"Frauen ohne Männer" ist ein Feuerwerk grotesker Poesie, das zugleich unterhält und zum Nachdenken einlädt. Bedauerlich ist nur, dass es so kurz ist!

Besprochen von Stefan Weidner

Shahrnush Parsipur: Frauen ohne Männer
Aus dem Farsi von Jutta Himmelreich, Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 137 Seiten, 19,95 EUR (Ebook 16,99 Euro)

Links auf dradio.de:

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- Eine Reise durch Iran - Andreas Stichmann: "Das große Leuchten"
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