Geschichten eines Kenners

02.09.2013
Paul Marcus war ein genauer Beobachter und talentierter Journalist, ein Mann, der die Berühmten gut kannte, aber sich selbst nicht so wichtig nahm. Mit viel Liebe fürs Detail beschreibt er das aufregende Berlin der 20er- und 30er-Jahre. Das Buch ist ein unschätzbares Dokument über das damalige künstlerische Leben in der Stadt.
Er war ein bekannter und viel gelesener Journalist, den die Nationalsozialisten in die Emigration getrieben hatten und der nach dem Krieg seine Erinnerungen ans Vorkriegsberlin wieder aufleben ließ.

Paul Marcus, 1901 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren, publizierte unter dem Kürzel PEM. Er schrieb Theater- und Filmkritiken, Feuilletons und Porträts. Er kannte sie alle, die Berühmten und die, die es werden sollten: Hans Albers, Erik Hanussen, Anita Berber, Emil Jannings, Egon Erwin Kisch und "den König der Schnorrer", den Autor Anton Kuh, der gerne im Hotel Adlon wohnte, und auf die Frage, wie er sich das denn leisten könne, antwortete "Ich habe im Adlon so viel Schulden, dass es mir eigentlich schon gehört."

Paul Marcus war ein Kenner des Berliner Nachtlebens, führte mit Freunden kurze Zeit ein eigenes Kabarett und saß Tag für Tag im Romanischen Café. "In diesem Treffpunkt der Bohème an der Gedächtniskirche kannte jeder jeden – erst recht unter den Cliquen und Gegencliquen, die sich heftig befehdeten. An diesen Stammtischen wurden kurzlebige Zeitschriften gegründet und langfristige "Kredite" aufgenommen." Hier trifft er zum ersten Mal Billy Wilder, der gerade aus Wien angekommen ist und eine Schlafstätte braucht, der aber bald zum Eintänzer und zum gut bezahlten Journalisten aufsteigt. "Es gab noch an die zwanzig Tageszeitungen in Berlin, Zeitschriften und eine endlose Reihe von Fachblättern. Wenn man das Adressbuch aufschlug, fand man nahezu in jedem Haus jemand, der etwas mit der Presse zu tun hatte."

Marcus ist ein genauer Beobachter, ein talentierter Journalist, der sich auch Jahrzehnte später mit großer Emphase und Detailliebe an die wilden und aufregenden Zeiten erinnert, als Nackttänzerinnen Furore machen und der Hellseher Erik Jan Hanussen jeden Abend den Saal füllt. Der Text über diesen großartigen Aufschneider, den Zauberkünstler, der die Nationalsozialisten unterschätzt und sich wegen seines großen Erfolges sicher wähnt, gehört zum Großartigsten dieses neu aufgelegten Bandes.

Unter dem Titel "Heimweh nach dem Kurfürstendamm" erschien dieses Erinnerungsbuch zum ersten Mal 1952 und wurde zum Bestseller. Es war der erste Rückblick auf die zwanziger und dreißiger Jahre, geschrieben von diesem klugen, aufmerksamen Autor, der nach dem Krieg, nach 15 Jahren Emigration in seine Heimatstadt zurückkehrt, seine Muttersprache wieder hört ("echtes Berlinerisch" ) und angesichts der Trümmern schreibt, er fühle sich wie in Pompeji ,– und der mit seinem Handwerkszeug, die untergegangene Stadt und die verlorenen Menschen grandios wieder zum Leben erweckt.

Für heutige Leser ist das Buch ein unschätzbares Dokument über das künstlerische Berlin jener Jahre mit all seinen Bühnen und Stars. Vor allem aber rückt es den großartigen Journalisten Paul Marcus wieder ins Zentrum – ein Mann, der sich selber nicht allzu wichtig nahm und stets im Hintergrund blieb.

Besprochen von Manuela Reichart

Paul Marcus: Zwischen zwei Kriegen - Aus Berlin glanzvollsten Tagen und Nächten
Mit einem Nachwort von Inka Bach
Transit Verlag, Berlin 2013
200 Seiten, 19,80 Euro