„Geschichten, ein Prosastück oder halt Lyrik“
In diesen Tagen treffen sich 20 junge Autoren im Alter von 17 bis 20 Jahren im Haus der Berliner Festspiele. Dort wollen sie gemeinsam schreiben. Außerdem gucken sie sich gegenseitig auf die Finger und arbeiten an ihren Texten. Zur Seite stehen den Jungautoren dabei Profis.
Mehrere tausend Texte der unterschiedlichsten Genres hatte die Jury aus Schriftstellern und Journalisten zu lesen, aus ganz Deutschlandland, Österreich und der Schweiz eingesandt von 736 Autorinnen und Autoren, 20 von ihnen wurden ausgewählt und nach Berlin eingeladen, Preisträger schon jetzt. Mit elf Jahren ist India-Wiborada Piwko aus Waltersdorf in Sachsen die Jüngste.
„Ich hab ja vorher schon geschrieben, und da hab ich im Internet nach Schreibwettbewerben gesucht, und da hab ich den eben gesehen und da hab ich gedacht, ja... dann könnt ich das mal einreichen und mitmachen... Ich hab allerdings nicht gedacht, dass ich da auserwählt worden war und da war ich schon überrascht und erstaunt... und erschrocken.. "
„Ein Morgen am Fluss“ heisst ihr Text:
„Kok-Kok! Kok-Kok!“ Müde lehnte ich mich an den Baumstamm zurück und
blinzelte den dunklen und breiten Strom hinauf. Die Nacht war vergangen -
hinfort geeilt den Fluss hinab und nach der letzten Biegung in den dortigen
Wiesen verschwunden. Der Tag hatte noch nicht begonnen, Stille durchzog die
Dämmerung. Nur ein vereinzelnder Frühaufsteher ließ sein „Kok-kok!“ über den
Fluss ertönen, um die Morgensonne zu wecken.“
Über diese stille Flusslandschaft hatte India-Wiborada sich sogleich Notizen gemacht, als sie mit ihren Eltern morgens im Paddelboot unterwegs war. Sirka Elspaß, 17 Jahre alt, aus Dinslaken, hat auch immer etwas zu schreiben dabei.
„Ich würde nicht sagen, dass ich immer geschrieben hab, aber irgendwie hält man ja schon immer gerne alles fest, ob jetzt in Tagebuchform oder in kleinen Notizen – und manchmal entwickelt sich das dann zu mehr. Also eine Geschichte, ein Prosastück oder halt Lyrik... „“
„kurze momentaufnahme, frühling
draußen knallt der frühling
durch.
heute morgen ist wieder ein
kanarienvogel gegen die
scheibe im siebten stock geflogen.
man geht von suizid aus,
am fenster klebt sogar
noch matsche.
die jungen finden das
eklig, aber keiner traut sich das
wegzumachen.
dann schüttet der mann mit dem
schnäuzer den vogelsand raus in den
öffentlichen sandkasten.
irgendwo schließt jemand die gardine.
alle gaffen fein herum.
ich träume von elektrischen heckenscheren.“
Wodurch erhält ein Gedicht Spannung? Was macht einen guten Text aus? Wie kann man kritisieren, ohne zu verletzen? Wie schreibt man einen Blog? Wie organisiert man eine Lesung? Welche Perspektiven hat man als Autor? Was soll man lesen?: das sind Themen der Workshops; die Schulen würden derlei so gut wie gar nicht vermitteln, klagt ein Mitglied der Jury, der Dramatiker Thomas Freyer:
„Die Erfahrungen, die ich in den Workshops mache, sind eigentlich eher, dass der Deutsch-Unterricht, so wie er hier stattfindet, hinderlich dafür ist, wie man über Texte redet. Weil es dann doch oft zugeht im Sinne von: ‚Wie hat Goethe das gemeint?‘ Und das ist sozusagen... die Tür kann man nicht doller schließen als damit! Das widerspricht allem Kunstverständnis von: ‚Was kann ein Text sein?‘“
Zum Thema taugt jungen Menschen alles, was sie umgibt. Die Natur, die Stadt, die Welt und wie man mit ihr klarkommt, die Liebe, die Sexualität, teilweise beschrieben in drastischen Bildern. „Mari 17, Berlin-Neukölln“ hat die neunzehnjährige Luna Ali aus Hannover ihren Text genannt, er beginnt so:
„Ich fühle nichts. Ich fühle Gleichgültigkeit. Mein Körper ist etwas für sich. Meine
Gedanken sind etwas für sich. Sie können sich nicht vereinen. Ich fühle das. Ich
fühle nicht. Licht, in meinem Zimmer. Wenn ich mit einem Typen geschlafen
habe, kann ich ihn die nächsten drei Tage nicht sehen. Ich kann nicht nett zu
ihm sein, sonst erhofft er sich was und ich muss ihn dann verletzen und das
verletzt mich. Ich brauch Abstand als Reflex. Licht, in meinem Zimmer. Ich
freue mich, wenn Menschen genauso empfinden wie ich. Ich finde es grausam,
wenn sie die Welt grausam finden und kein Mitgefühl empfinden. Licht, in
meinem Zimmer. Eine Bühne: Ich ficke dich Du küsst mich Du siehst zu
Und schreist uh Deine Fotze ist ausgeleiert Da hat jemand reingereiert
Ich lasse dich auf meinem Schwanz reiten Auf und ab gleiten Ich spritz‘ ab
auf deinen Brüsten Dann geh ich ohne dass wir uns zum Abschied (küssten)
Das war ein Song: ‚'Mari, 17, Berlin-Neukölln'‘. Ich lebe mit meinem Vater in
einer Zwei-Zimmer-Wohnung im 13. Stockwerk. Er hat sein Zimmer. Licht, in
meinem Zimmer. Ich mag seine Nähe nicht.“
Kein naives Fragen mehr nach einem Ideal von Leben, wenig Politisches, nichts Ideologisches finde sich in den Texten, erzählt Thomas Freyer, stattdessen: Skepsis, Abwarten, nüchternes Beschreiben, distanziert.
„"Das ist auf den ersten Blick ein bisschen abgeklärter und weniger darauf aus, etwas zu glauben, sondern eher, etwas nicht zu glauben. Weil sie Enttäuschungen ja schon über die Generation vor ihnen mitbekommen haben und, ich glaube, nicht mehr so schnell etwas hinterher rennen, einem Ideal oder so, sondern eher abgeklärter sind, ohne dadurch reifer an Erfahrung zu sein. "
Anna Kirstine Linke, 20 Jahre alt, aus Essen
.
„im telefon habe ich einen freund mein freund hat sehr viel zeit
er legt nie auf wenn sich die großen unterhalten in der küche
und in der nacht den hörer am ohr sprechen wir miteinander
ich erzähle ihm von meinem tag was sonst so war er erzählt
wichtiges sage ich den großen sie fragen selten danach“
Eine große Konzentration liegt über diesem „Treffen junger Autoren“. Fröhlichkeit, auch, doch immer gepaart mit einer gewissen Ernsthaftigkeit. Viel wird diskutiert, man hört sich zu – beeindruckend, das mitzuerleben
„Ja, es war auf jeden Fall ganz toll, sich auszutauschen, ein Feedback zu bekommen und ja, einfach Leute kennenzulernen, die so auf einer Wellenlänge mit einem selber sind. Also das hat mir unheimlich viel gebracht, auch Kontakte, ich hab unglaublich viel mitgenommen von hier. "
„Schon Mittagszeit, es ist heiß. Flimmernde Hitze, verzerrte Spiegelbilder über dem Weg, die Natur begibt sich zur Mittagsruhe. (...) Nur ein wolkenloser gelblicher Himmel ist über mir und ganz weit oben ein Greifvogel, der scharfsinnig immer im Kreis fliegt. Höher und höher. "
"Der Fluss nimmt mich mit. Und treibt mich weiter. Ich schließe die Augen, ein
einzelner mittäglicher Sänger lässt sein „Kok-Kok! Kok-kok!“ ertönen.“
Links auf dradio.de:
„lyrix“-Schreibwerkstatt in Hamburg
Tolle Worte – Besuch in einer Hamburger Schreibwerkstatt
„lyrix“-Schreibwerkstatt in der Hamburger Kunsthalle
„Ich hab ja vorher schon geschrieben, und da hab ich im Internet nach Schreibwettbewerben gesucht, und da hab ich den eben gesehen und da hab ich gedacht, ja... dann könnt ich das mal einreichen und mitmachen... Ich hab allerdings nicht gedacht, dass ich da auserwählt worden war und da war ich schon überrascht und erstaunt... und erschrocken.. "
„Ein Morgen am Fluss“ heisst ihr Text:
„Kok-Kok! Kok-Kok!“ Müde lehnte ich mich an den Baumstamm zurück und
blinzelte den dunklen und breiten Strom hinauf. Die Nacht war vergangen -
hinfort geeilt den Fluss hinab und nach der letzten Biegung in den dortigen
Wiesen verschwunden. Der Tag hatte noch nicht begonnen, Stille durchzog die
Dämmerung. Nur ein vereinzelnder Frühaufsteher ließ sein „Kok-kok!“ über den
Fluss ertönen, um die Morgensonne zu wecken.“
Über diese stille Flusslandschaft hatte India-Wiborada sich sogleich Notizen gemacht, als sie mit ihren Eltern morgens im Paddelboot unterwegs war. Sirka Elspaß, 17 Jahre alt, aus Dinslaken, hat auch immer etwas zu schreiben dabei.
„Ich würde nicht sagen, dass ich immer geschrieben hab, aber irgendwie hält man ja schon immer gerne alles fest, ob jetzt in Tagebuchform oder in kleinen Notizen – und manchmal entwickelt sich das dann zu mehr. Also eine Geschichte, ein Prosastück oder halt Lyrik... „“
„kurze momentaufnahme, frühling
draußen knallt der frühling
durch.
heute morgen ist wieder ein
kanarienvogel gegen die
scheibe im siebten stock geflogen.
man geht von suizid aus,
am fenster klebt sogar
noch matsche.
die jungen finden das
eklig, aber keiner traut sich das
wegzumachen.
dann schüttet der mann mit dem
schnäuzer den vogelsand raus in den
öffentlichen sandkasten.
irgendwo schließt jemand die gardine.
alle gaffen fein herum.
ich träume von elektrischen heckenscheren.“
Wodurch erhält ein Gedicht Spannung? Was macht einen guten Text aus? Wie kann man kritisieren, ohne zu verletzen? Wie schreibt man einen Blog? Wie organisiert man eine Lesung? Welche Perspektiven hat man als Autor? Was soll man lesen?: das sind Themen der Workshops; die Schulen würden derlei so gut wie gar nicht vermitteln, klagt ein Mitglied der Jury, der Dramatiker Thomas Freyer:
„Die Erfahrungen, die ich in den Workshops mache, sind eigentlich eher, dass der Deutsch-Unterricht, so wie er hier stattfindet, hinderlich dafür ist, wie man über Texte redet. Weil es dann doch oft zugeht im Sinne von: ‚Wie hat Goethe das gemeint?‘ Und das ist sozusagen... die Tür kann man nicht doller schließen als damit! Das widerspricht allem Kunstverständnis von: ‚Was kann ein Text sein?‘“
Zum Thema taugt jungen Menschen alles, was sie umgibt. Die Natur, die Stadt, die Welt und wie man mit ihr klarkommt, die Liebe, die Sexualität, teilweise beschrieben in drastischen Bildern. „Mari 17, Berlin-Neukölln“ hat die neunzehnjährige Luna Ali aus Hannover ihren Text genannt, er beginnt so:
„Ich fühle nichts. Ich fühle Gleichgültigkeit. Mein Körper ist etwas für sich. Meine
Gedanken sind etwas für sich. Sie können sich nicht vereinen. Ich fühle das. Ich
fühle nicht. Licht, in meinem Zimmer. Wenn ich mit einem Typen geschlafen
habe, kann ich ihn die nächsten drei Tage nicht sehen. Ich kann nicht nett zu
ihm sein, sonst erhofft er sich was und ich muss ihn dann verletzen und das
verletzt mich. Ich brauch Abstand als Reflex. Licht, in meinem Zimmer. Ich
freue mich, wenn Menschen genauso empfinden wie ich. Ich finde es grausam,
wenn sie die Welt grausam finden und kein Mitgefühl empfinden. Licht, in
meinem Zimmer. Eine Bühne: Ich ficke dich Du küsst mich Du siehst zu
Und schreist uh Deine Fotze ist ausgeleiert Da hat jemand reingereiert
Ich lasse dich auf meinem Schwanz reiten Auf und ab gleiten Ich spritz‘ ab
auf deinen Brüsten Dann geh ich ohne dass wir uns zum Abschied (küssten)
Das war ein Song: ‚'Mari, 17, Berlin-Neukölln'‘. Ich lebe mit meinem Vater in
einer Zwei-Zimmer-Wohnung im 13. Stockwerk. Er hat sein Zimmer. Licht, in
meinem Zimmer. Ich mag seine Nähe nicht.“
Kein naives Fragen mehr nach einem Ideal von Leben, wenig Politisches, nichts Ideologisches finde sich in den Texten, erzählt Thomas Freyer, stattdessen: Skepsis, Abwarten, nüchternes Beschreiben, distanziert.
„"Das ist auf den ersten Blick ein bisschen abgeklärter und weniger darauf aus, etwas zu glauben, sondern eher, etwas nicht zu glauben. Weil sie Enttäuschungen ja schon über die Generation vor ihnen mitbekommen haben und, ich glaube, nicht mehr so schnell etwas hinterher rennen, einem Ideal oder so, sondern eher abgeklärter sind, ohne dadurch reifer an Erfahrung zu sein. "
Anna Kirstine Linke, 20 Jahre alt, aus Essen
.
„im telefon habe ich einen freund mein freund hat sehr viel zeit
er legt nie auf wenn sich die großen unterhalten in der küche
und in der nacht den hörer am ohr sprechen wir miteinander
ich erzähle ihm von meinem tag was sonst so war er erzählt
wichtiges sage ich den großen sie fragen selten danach“
Eine große Konzentration liegt über diesem „Treffen junger Autoren“. Fröhlichkeit, auch, doch immer gepaart mit einer gewissen Ernsthaftigkeit. Viel wird diskutiert, man hört sich zu – beeindruckend, das mitzuerleben
„Ja, es war auf jeden Fall ganz toll, sich auszutauschen, ein Feedback zu bekommen und ja, einfach Leute kennenzulernen, die so auf einer Wellenlänge mit einem selber sind. Also das hat mir unheimlich viel gebracht, auch Kontakte, ich hab unglaublich viel mitgenommen von hier. "
„Schon Mittagszeit, es ist heiß. Flimmernde Hitze, verzerrte Spiegelbilder über dem Weg, die Natur begibt sich zur Mittagsruhe. (...) Nur ein wolkenloser gelblicher Himmel ist über mir und ganz weit oben ein Greifvogel, der scharfsinnig immer im Kreis fliegt. Höher und höher. "
"Der Fluss nimmt mich mit. Und treibt mich weiter. Ich schließe die Augen, ein
einzelner mittäglicher Sänger lässt sein „Kok-Kok! Kok-kok!“ ertönen.“
Links auf dradio.de:
„lyrix“-Schreibwerkstatt in Hamburg
Tolle Worte – Besuch in einer Hamburger Schreibwerkstatt
„lyrix“-Schreibwerkstatt in der Hamburger Kunsthalle