Geschichten aus einem halbierten Land
Dass es sich bei den in diesem Sammelband vorgestellten koreanischen Erzählern ausnahmslos um Südkoreaner handelt, wird angesichts der politischen Lage niemanden wundern: die koreanische Teilung ist erbarmungsloser und konsequenter als es die deutsche war.
Südkorea zeigt sich in den acht Erzählungen als ein halbiertes Land, geprägt durch seine Unvollständigkeit und die jahrzehntelange Herrschaft von Autokraten, durch einen oft blutigen Kampf um Menschenrechte und eine dramatisch schnelle Industrialisierung.
Es sind Geschichten, denen mit den Kriterien der westlichen Moderne nur schwer beizukommen ist, obgleich die neueste aus dem vorigen Jahr stammt und die jüngste Autorin erst 1970 geboren wurde.
Stets wird darin aus der Sicht einer zentralen Figur eine bestimmte politische und/oder soziale Problematik aufgezeigt, und meist wird eine These dazu entwickelt. Dieses Verfahren wirkt auf uns, das europäische Publikum, einerseits ziemlich bekannt, weil es mächtig an die "engagierte Literatur" seligen Angedenkens erinnert, die weltanschaulich sattelfest den Weg zu einer besseren Welt zu weisen pflegte. Aber andererseits sind diese Figuren und ihre Geschichten uns sehr, sehr fremd.
Da ist zum Beispiel Hui-Su, verheiratet mit einem erfolgreichen Werbegrafiker, zwei Kinder, die in einem gehobenen Neubauquartier am Rande von Seoul wohnt und wie nicht anders zu erwarten unter dem üblichen Hausfrauensyndrom leidet: Vereinsamung in der Vorstadt, Abhängigkeit vom meist abwesenden Ehemann, Abwesenheit eines selbst bestimmten Lebens. Hui-Su kann – die Erzählung entstand 1984, als in Südkorea noch die Generäle herrschten – ihren Empfindungen nur Ausdruck verleihen, indem sie mit dem Finger Wasser von einem Teller verspritzt oder das staatlich verordnete Aufhängen von Grünpflanzen verweigert.
Ihr Denken und Fühlen findet in einem uns fremden Tabusystem statt: Über Sex spricht man mit kruder und fast kalter Direktheit, Hierarchien aber werden verbal nicht angetastet. Und wenn die Erzählung mit einem Blick in den Garten endet, braucht es schon eines informativen Nachworts, um die Anwesenheit von Kiefern und Pfingstrosen als hoffnungsvolles Zeichen zu dechiffrieren.
Ähnlich verschlüsselt erscheint auch in der Erzählung des Altmeisters Lee Hochol, der in Deutschland kein ganz Unbekannter mehr ist, der Dialog von zwei jungen Leuten. Eine Frau aus dem Norden und ein Mann aus dem Süden reden in einem Ort an der Grenze, am Rande einer offiziellen Verhandlung, sehnsüchtig aneinander vorbei. Ihr gegenseitiges Nicht-Verstehen folgt Regeln, die wir nicht kennen, die wir im Lesen bestenfalls ahnen können.
Lediglich erahnen kann man leider auch die literarische Qualität dieser Texte: die Übersetzungen vermitteln weder Ton noch Rhythmus. Dafür bietet sie jede Menge Stilblüten. Ein gründliches Lektorat wäre das mindeste gewesen, was diese so befremdlichen und interessanten Erzählungen verdient hätten.
Koreanische Erzählungen
Herausgegeben und literarisch überarbeitet von Sylvia Bräsel und Lie Kwong-Sok. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005.
250 S. 8,50 Euro
Es sind Geschichten, denen mit den Kriterien der westlichen Moderne nur schwer beizukommen ist, obgleich die neueste aus dem vorigen Jahr stammt und die jüngste Autorin erst 1970 geboren wurde.
Stets wird darin aus der Sicht einer zentralen Figur eine bestimmte politische und/oder soziale Problematik aufgezeigt, und meist wird eine These dazu entwickelt. Dieses Verfahren wirkt auf uns, das europäische Publikum, einerseits ziemlich bekannt, weil es mächtig an die "engagierte Literatur" seligen Angedenkens erinnert, die weltanschaulich sattelfest den Weg zu einer besseren Welt zu weisen pflegte. Aber andererseits sind diese Figuren und ihre Geschichten uns sehr, sehr fremd.
Da ist zum Beispiel Hui-Su, verheiratet mit einem erfolgreichen Werbegrafiker, zwei Kinder, die in einem gehobenen Neubauquartier am Rande von Seoul wohnt und wie nicht anders zu erwarten unter dem üblichen Hausfrauensyndrom leidet: Vereinsamung in der Vorstadt, Abhängigkeit vom meist abwesenden Ehemann, Abwesenheit eines selbst bestimmten Lebens. Hui-Su kann – die Erzählung entstand 1984, als in Südkorea noch die Generäle herrschten – ihren Empfindungen nur Ausdruck verleihen, indem sie mit dem Finger Wasser von einem Teller verspritzt oder das staatlich verordnete Aufhängen von Grünpflanzen verweigert.
Ihr Denken und Fühlen findet in einem uns fremden Tabusystem statt: Über Sex spricht man mit kruder und fast kalter Direktheit, Hierarchien aber werden verbal nicht angetastet. Und wenn die Erzählung mit einem Blick in den Garten endet, braucht es schon eines informativen Nachworts, um die Anwesenheit von Kiefern und Pfingstrosen als hoffnungsvolles Zeichen zu dechiffrieren.
Ähnlich verschlüsselt erscheint auch in der Erzählung des Altmeisters Lee Hochol, der in Deutschland kein ganz Unbekannter mehr ist, der Dialog von zwei jungen Leuten. Eine Frau aus dem Norden und ein Mann aus dem Süden reden in einem Ort an der Grenze, am Rande einer offiziellen Verhandlung, sehnsüchtig aneinander vorbei. Ihr gegenseitiges Nicht-Verstehen folgt Regeln, die wir nicht kennen, die wir im Lesen bestenfalls ahnen können.
Lediglich erahnen kann man leider auch die literarische Qualität dieser Texte: die Übersetzungen vermitteln weder Ton noch Rhythmus. Dafür bietet sie jede Menge Stilblüten. Ein gründliches Lektorat wäre das mindeste gewesen, was diese so befremdlichen und interessanten Erzählungen verdient hätten.
Koreanische Erzählungen
Herausgegeben und literarisch überarbeitet von Sylvia Bräsel und Lie Kwong-Sok. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005.
250 S. 8,50 Euro