Geschichten aus dem Wilden Osten
Wodka, Kalaschnikow, Wilder Osten - schlagkräftiger können die Schlagwörter kaum zuschlagen als im Titel dieser Anthologie. Aber wer sich von den Klischees nicht blenden lässt und dennoch einen Blick in diese Sammlung riskiert, wird überrascht sein von den subtilen Aufblendungen, die hier unternommen werden.
Denn die Erzählungen, die eine Art Resümee anbieten über die Zeit seit dem großen Umbruch von 1989/1991 und die beispielhaft in allen möglichen Regionen siedeln, die sich früher in bemerkenswerter Offenheit selbst als "sozialistisches Lager" bezeichneten, vermeiden die Klischees oder setzen sie derart verspielt ein, dass dieser Einsatz gewinnbringend erscheint.
Wenn also der Bürgermeister jener - in der russischen Literatur schon mythischen - Stadt N. zu einer Wodkaflasche mutiert, sich wie Kafkas Käfer überaus hilflos fühlt und als ein simples Objekt all die Schauerlichkeiten, die er selbst früher verwaltet hat, mit ansehen muss, sollte man Läuterung erwarten, wenn der Mann durch einen glücklos-glücklichen Attentatsschuss wieder seine alte Gestalt annehmen kann.
Aber das wäre ein Zuviel an Optimismus: Im Wilden Osten bleiben solche Läuterungen in den Vorsätzen stecken, und eine kleine Reise durch die Karibik - zur Förderung von Wirtschaftskontakten, versteht sich - wird den Untersuchungskommissionen vorgezogen.
Und wenn das Abziehbild eines jener "neuen Russen", mit Reichtum beschwert und ansonsten etwas tumb, sich zum Kunstmäzen aufschwingt, dann darf man keine bildungsbürgerliche Erfolgsgeschichte à la Morosow erwarten, sondern genau die Verzerrungen, die die Wirklichkeit bietet: merkwürdige Vorstellungen davon, was die Kunst sein sollte und recht eigentlich ein beständiges Ausweichen vor den Fallen, die die Konkurrenten stellen - bis zum letzten Moment, in dem das Klicken durchgeladener Pistolen dem Spuk ein vorläufiges Ende setzt.
Aber nicht das Skurrile, das Überzeichnete, steht im Vordergrund dieser Anthologie. Vielmehr ist es der erkundende Blick westlicher Augen, die sich der Wirklichkeit Osteuropas zuwenden und dabei erstaunliche Erfahrungen machen. Die können bis zur existentiellen Sinnkrise reichen wie bei jenem Diplomaten, der sich nach Paris zur UNESCO versetzen lässt, weil seine junge Frau dort an einer berühmten Clownsschule studieren will. Als er mit Aufgaben im belagerten Sarajevo betraut wird, prallen in ihm die Leichtigkeit des Clownesken und die härteste Wirklichkeit aufeinander.
Eine junge Frau kommt in Tiflis über einen auf der Straße lebenden Jungen in Berührung mit den Folgen des georgisch-abchasischen Konflikts, ein Reporter erzählt die vergessene Geschichte eines Massakers an Tschetschenen, das der sowjetische Geheimdienst 1944 verübte, ausgerechnet in Kiew wird sich ein amerikanischer Doktorand durch den Kontakt zu einem jungen exilierten Kroaten seiner homoerotischen Neigungen bewusst.
Sind die Themen und Stoffe der hier versammelten Erzählungen auch sehr unterschiedlich, so eint diese Texte doch das Motiv des Erkundens. Ein großes, zuvor abgeschottetes und kaum zugängliches Niemandsland wird in diesen Texten erfahren.
Boris Fishman (Hrg.): Wodka Kalaschnikow. Geschichten aus dem Wilden Osten
Übersetzt von Christiane Buchner, Frank Heibert, Klaus Detlef Olof, Bernhard Robben, Sigrid Ruschmeier und Dorothea Trottenberg.
Luchterhand Literaturverlag, München 2005.
400 Seiten, € 10, 00
Wenn also der Bürgermeister jener - in der russischen Literatur schon mythischen - Stadt N. zu einer Wodkaflasche mutiert, sich wie Kafkas Käfer überaus hilflos fühlt und als ein simples Objekt all die Schauerlichkeiten, die er selbst früher verwaltet hat, mit ansehen muss, sollte man Läuterung erwarten, wenn der Mann durch einen glücklos-glücklichen Attentatsschuss wieder seine alte Gestalt annehmen kann.
Aber das wäre ein Zuviel an Optimismus: Im Wilden Osten bleiben solche Läuterungen in den Vorsätzen stecken, und eine kleine Reise durch die Karibik - zur Förderung von Wirtschaftskontakten, versteht sich - wird den Untersuchungskommissionen vorgezogen.
Und wenn das Abziehbild eines jener "neuen Russen", mit Reichtum beschwert und ansonsten etwas tumb, sich zum Kunstmäzen aufschwingt, dann darf man keine bildungsbürgerliche Erfolgsgeschichte à la Morosow erwarten, sondern genau die Verzerrungen, die die Wirklichkeit bietet: merkwürdige Vorstellungen davon, was die Kunst sein sollte und recht eigentlich ein beständiges Ausweichen vor den Fallen, die die Konkurrenten stellen - bis zum letzten Moment, in dem das Klicken durchgeladener Pistolen dem Spuk ein vorläufiges Ende setzt.
Aber nicht das Skurrile, das Überzeichnete, steht im Vordergrund dieser Anthologie. Vielmehr ist es der erkundende Blick westlicher Augen, die sich der Wirklichkeit Osteuropas zuwenden und dabei erstaunliche Erfahrungen machen. Die können bis zur existentiellen Sinnkrise reichen wie bei jenem Diplomaten, der sich nach Paris zur UNESCO versetzen lässt, weil seine junge Frau dort an einer berühmten Clownsschule studieren will. Als er mit Aufgaben im belagerten Sarajevo betraut wird, prallen in ihm die Leichtigkeit des Clownesken und die härteste Wirklichkeit aufeinander.
Eine junge Frau kommt in Tiflis über einen auf der Straße lebenden Jungen in Berührung mit den Folgen des georgisch-abchasischen Konflikts, ein Reporter erzählt die vergessene Geschichte eines Massakers an Tschetschenen, das der sowjetische Geheimdienst 1944 verübte, ausgerechnet in Kiew wird sich ein amerikanischer Doktorand durch den Kontakt zu einem jungen exilierten Kroaten seiner homoerotischen Neigungen bewusst.
Sind die Themen und Stoffe der hier versammelten Erzählungen auch sehr unterschiedlich, so eint diese Texte doch das Motiv des Erkundens. Ein großes, zuvor abgeschottetes und kaum zugängliches Niemandsland wird in diesen Texten erfahren.
Boris Fishman (Hrg.): Wodka Kalaschnikow. Geschichten aus dem Wilden Osten
Übersetzt von Christiane Buchner, Frank Heibert, Klaus Detlef Olof, Bernhard Robben, Sigrid Ruschmeier und Dorothea Trottenberg.
Luchterhand Literaturverlag, München 2005.
400 Seiten, € 10, 00