Geschichten als Therapie
Demian - Arzt und Dozent aus Buenos Aires – ist ein offener Mensch. Manchmal allerdings hat er es schwer mit sich und der Umwelt. Vor Jahren suchte dieser Demian deshalb professionelle Hilfe, bei einem Therapeuten namens Jorge, genannt der Dicke.
Der Dicke nutzte eine ungewöhnliche Methode: Er erzählte Geschichten mit Aha-Effekt, Parabeln von Menschen und menschengleichen Tieren in bizarrer, manchmal auswegloser Situation. Die Therapie half; Demian verlor den Dicken später aus den Augen.
Nun, fast 40-jährig, steckt Demian wieder in der Sackgasse. Als Mediziner ist er zwar erfolgreich, bei Frauen kommt er gut an, doch das Leben entgleitet ihm. Midlife-Crisis. Er spürt eine "seltsame innere Leere", er ist unfähig, das Dasein zu genießen. Seine Ehe zerbricht. Eine Geliebte (Ludmila, eine Studentin) gibt dem Doktor den Laufpaß. Auf einer Busfahrt lernt er Paula kennen (Mandelaugen, maurische Züge), und diesmal will Demian alles richtig machen. Wer könnte helfen? Der dicke Jorge.
Doch der Gestalttherapeut ist fortgezogen, er praktiziert nicht mehr. Demian muss ihn suchen, finden, überreden. Dann aber wird alles so schön, wie es damals gewesen ist: Jorge vermittelt Geborgenheit, und er erzählt Storys, gut drei Dutzend Legenden und Parabeln; Gleichnisse, die gut tun wie eine Wellness-Kur. Ein paar dieser Gleichnisse hat der dicke Jorge erfunden, die meisten stammen aus dem Fundus der Weltliteratur. Etwa die Geschichte von Saint-Exupérys kleinem Prinzen und dem Säufer. Oder die von Nasruddin und dem Esel. Und wieder hilft die Therapie. Demian und Paula finden sich, es gibt ein Happyend mit Heiratsantrag.
"Zähl auf mich", das neunte Buch von Erfolgsautor Jorge Bucay, ist eine Fortschreibung seines Werks "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte" (deutsch 2005) – dieselben Protagonisten, identischer Aufbau, gleiche Erzählstrategie. Auch in Stärken und Schwächen ähnelt "Zähl auf mich" dem Vorgängerband: Der Ich-Erzähler wirkt sympathisch (so ein netter TV-Serien-Arzt), die Geschichte tröstlich (ein Mann wird geheilt). Die eingestreuten Storys – manche von ihnen etliche Buchseiten lang - sind leichtverdauliche Kost. Demians Stil irritiert allerdings, diese mit Klischees verkleisterte Soap-Sprache: Als der Held Paula das erste Mal sieht, rutscht ihm im Bus "das Herz in die Hose", derweil sie sich – ein Buch von Jorge in der Hand – gerade "brennend" für Gestalttherapie interessiert.
Gestalttherapie, ausgerechnet: In der Figur des Dicken feiert sich der Autor selbst - ein erfolgreicher Psychiater, beleibt und humorvoll; ein Weiser, zu dem selbst die Klugen als Bittsteller kommen. Vergleichbare Heilsgeschichten kennt man von Paulo Coelho. Als Unternehmer auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit agiert der Argentinier sogar noch geschickter als sein Kollege aus Brasilien: Bucay perfektioniert ein so eigentümliches wie einträgliches Crossover-Geschäft – zwischen Jorge, dem Therapeuten, und Jorge, dem Literaten.
Besprochen von Uwe Stolzmann
Jorge Bucay: Zähl auf mich
Aus dem Spanischen von Stephanie von Harrach
Ammann Verlag, Zürich 2009
352 Seiten, 19,95 Euro
Nun, fast 40-jährig, steckt Demian wieder in der Sackgasse. Als Mediziner ist er zwar erfolgreich, bei Frauen kommt er gut an, doch das Leben entgleitet ihm. Midlife-Crisis. Er spürt eine "seltsame innere Leere", er ist unfähig, das Dasein zu genießen. Seine Ehe zerbricht. Eine Geliebte (Ludmila, eine Studentin) gibt dem Doktor den Laufpaß. Auf einer Busfahrt lernt er Paula kennen (Mandelaugen, maurische Züge), und diesmal will Demian alles richtig machen. Wer könnte helfen? Der dicke Jorge.
Doch der Gestalttherapeut ist fortgezogen, er praktiziert nicht mehr. Demian muss ihn suchen, finden, überreden. Dann aber wird alles so schön, wie es damals gewesen ist: Jorge vermittelt Geborgenheit, und er erzählt Storys, gut drei Dutzend Legenden und Parabeln; Gleichnisse, die gut tun wie eine Wellness-Kur. Ein paar dieser Gleichnisse hat der dicke Jorge erfunden, die meisten stammen aus dem Fundus der Weltliteratur. Etwa die Geschichte von Saint-Exupérys kleinem Prinzen und dem Säufer. Oder die von Nasruddin und dem Esel. Und wieder hilft die Therapie. Demian und Paula finden sich, es gibt ein Happyend mit Heiratsantrag.
"Zähl auf mich", das neunte Buch von Erfolgsautor Jorge Bucay, ist eine Fortschreibung seines Werks "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte" (deutsch 2005) – dieselben Protagonisten, identischer Aufbau, gleiche Erzählstrategie. Auch in Stärken und Schwächen ähnelt "Zähl auf mich" dem Vorgängerband: Der Ich-Erzähler wirkt sympathisch (so ein netter TV-Serien-Arzt), die Geschichte tröstlich (ein Mann wird geheilt). Die eingestreuten Storys – manche von ihnen etliche Buchseiten lang - sind leichtverdauliche Kost. Demians Stil irritiert allerdings, diese mit Klischees verkleisterte Soap-Sprache: Als der Held Paula das erste Mal sieht, rutscht ihm im Bus "das Herz in die Hose", derweil sie sich – ein Buch von Jorge in der Hand – gerade "brennend" für Gestalttherapie interessiert.
Gestalttherapie, ausgerechnet: In der Figur des Dicken feiert sich der Autor selbst - ein erfolgreicher Psychiater, beleibt und humorvoll; ein Weiser, zu dem selbst die Klugen als Bittsteller kommen. Vergleichbare Heilsgeschichten kennt man von Paulo Coelho. Als Unternehmer auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit agiert der Argentinier sogar noch geschickter als sein Kollege aus Brasilien: Bucay perfektioniert ein so eigentümliches wie einträgliches Crossover-Geschäft – zwischen Jorge, dem Therapeuten, und Jorge, dem Literaten.
Besprochen von Uwe Stolzmann
Jorge Bucay: Zähl auf mich
Aus dem Spanischen von Stephanie von Harrach
Ammann Verlag, Zürich 2009
352 Seiten, 19,95 Euro