Geschichte und Archivierung

Was darf verschwinden - und was nicht?

51:34 Minuten
Hinter einem Dachfenster der Anna Amalia Bibliothek in Weimar scheint am 03.09.2004 die Sonne durchs verkohlte Gebälk.
Nach dem Brand im Dachstuhl des historischen Gebäudes der Anna Amalia Bibliothek in Weimar am 02.09.2004 ist nach bisherigen Schätzungen ein Schaden in zweistelliger Millionenhöhe entstanden. © picture-alliance / ZB / Martin Schutt
Von Valentin Groebner |
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Historische Gebäude, Kunstwerke und Sammlungen sind heute nicht mehr nur Überreste von früher. Sie werden sorgfältig gehütet und aufwändig in Schuss gehalten. Was geschieht, wenn Zeugnisse einer verschwundenen Vergangenheit bestens erhalten werden?
Wenn nichts mehr kaputt und verloren gehen darf, was geschieht dann mit den Dingen von früher, die in der Gegenwart blitzblank, authentisch und historisch ausgestellt werden?

Die Geschichte ist futsch

Welche Art von Geschichte zeigen Museen, und womit kontaminieren sie ihre Schätze - und ihre Besucherinnen und Besucher? Denn eigentlich ist die Vergangenheit ja verschwunden, sie ist gleichsam futsch.

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Diese Schätze sind gleichzeitig unersetzliche Materialisierungen kollektiver Selbstbilder, nationales Erbe und kostbare Ressourcen touristischer Vermarktung. Deshalb müssen sie um jeden Preis erhalten werden und, falls durch einen Unglücksfall beschädigt, um jeden Preis wiederhergestellt.

Wir ertragen es nicht, wenn etwas verloren geht

Die Wellen medialer Erregung über den Brand von Notre Dame de Paris 2018, der Anna Amalia-Bibliothek in Weimar 2004 oder des Theaters La Fenice in Venedig 1996 haben diese Mechanismen exemplarisch vorgeführt.
Zur üblichen Selbstbeschreibung des 21. Jahrhunderts als hochinnovativ und zukunftsorientiert steht diese Verlustsensibilität in einem erklärungsbedürftigen Verhältnis.

Früher riss man einfach ab

Zur Geschichte ebenfalls - für die Bauherren der Renaissance und des Barock war der Abriss des Alten völlig selbstverständlich. Umgekehrt hat schon die industrielle Moderne des 19. Jahrhunderts zerstörte mittelalterliche Baudenkmäler rekonstruiert oder durch Neues im alten Stil ersetzt.
Musealisierung ist die Standardprozedur des öffentlichen Umgangs mit historischen Hinterlassenschaften und gleichzeitig eine Wundertüte. Der Vortrag des österreichischen Historikers Valentin Groebner ist am 15. November 2022 in Medienpartnerschaft der Universität Wien mit dem unabhängigen Verlagshaus De Gruyter und Deutschlandfunk Kultur entstanden.
(AB)
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