Geschichte und Bedeutung von Vornamen

"Wir können uns in unseren Namen neu verlieben"

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Schüler auf dem Schulhof mit Namen ehemaliger Abiturienten.
Sie eilen uns voraus: Die Namen von Schülerinnen und Schülern auf dem Schulhof. © picture alliance / blickwinkel/ H. Blossey
Joachim Schaffer-Suchomel im Gespräch mit Christopher Ricke · 14.02.2021
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Vornamen können auf das Leben wirken. Manche wecken große Erwartungen, anderen wird in der Schule oder auf dem Arbeitsmarkt mit Vorurteilen begegnet. Doch in jedem Namen stecke eine ermutigende Botschaft, sagt der Coach Joachim Schaffer-Suchomel.
Christopher Ricke: Die meisten haben ihren Namen von den Eltern bekommen. Manchmal weisen diese Namen auch auf einen gewissen religiösen Hintergrund hin. Rainer Maria Rilke, Christoph Maria Herbst oder Christopher Peter Maria Ricke – da bimmelt es schon ganz schön katholisch.

Ein selbst gewählter Name als Neuanfang

Es kommt aber auch vor, dass sich mit einer Lebensentscheidung der Name ändert. Wenn also zum Beispiel aus Jorge Mario Bergoglio Papst Franziskus wird. Ich spreche jetzt mit Joachim Schaffer-Suchomel, der seit Jahrzehnten zu Namen forscht und sie deutet. Herr Schaffer-Suchomel, gerade haben wir über Schwester Philippa berichtet, die vor ihrem Ordenseintritt ganz anders hieß und den neuen Namen als Neuanfang erlebt. Was sagen Sie dazu?
Joachim Schaffer-Suchomel: Wenn man in einen Orden eintritt, natürlich aus religiösen Gründen, ist es ganz verständlich, dass man den weltlichen Namen abgibt und sich einen neuen Namen gibt. Man begibt sich ja auch in eine völlig neue geistliche Atmosphäre, die mit dem Ursprungsnamen nichts mehr zu tun hat.
Problematischer wird es, glaube ich, wenn wir uns so aus Lust und Laune mal neu einweihen lassen – mal zu den Sannyasins gehen, mal woanders hingehen – und den alten Namen ablehnen. Da habe ich sehr oft die Erfahrung gemacht, dass Menschen mit ihren alten Namen Probleme hatten, wie mit diesem altdeutschen Namen Gudrun. Obwohl der Name, wenn die Menschen das dann erfahren, Gudrun bedeutet ja: Das Gute - die Rune ist das Rinnen - ins Fließen zu bringen, das Gute ins Fließen zu bringen. Wenn wir das wissen, wo der Name tatsächlich herkommt, dann können wir uns auch neu in unseren Namen verlieben und auch die Erwartung, die unsere Eltern in den Namen gesetzt haben, verstehen.

Über den Klang zum Namen finden

Ricke: Wie ist das mit diesen Erwartungen? Vielleicht denken Eltern ja gar nicht so sehr nach, sondern gehen eher nach dem Klang?
Schaffer-Suchomel: Das ist eine ganz normale Sache, dass wir in einen Namen eine Erwartung mit hineingeben. Ich hatte mal ein Interview mit dem Pfarrer Jürgen Fliege, der hat gesagt, die kleinen Kinder flüstern ihrer Mutter den Namen ins Ohr. Das finde ich auch eine sehr schöne Vorstellung. Also, das heißt: Die Erwartungen unserer Eltern werden sich automatisch im Namen widerspiegeln.
Wenn ein Vater seinen Sohn Cäsar nannte, das ist jetzt etwas Reales, was passiert ist, dann hat er natürlich eine riesengroße Erwartung. Dann muss aus dem Kind schon ein Zar, ein Kaiser werden, Cäsar heißt: der Herausgeschnittene.
Es gibt auch Kollektiverwartungen, wenn wir uns die Hitliste in den 1940er- und 50er-Jahren anschauen, da war lange Zeit Hans die Nummer eins, dann kam Peter dazu, dann Hans-Peter. Hans steht für Glück - "Der Hans, der kann's" - also auch für das Können, es heißt eigentlich: Gnade. Peter, Petrus, der Fels, steht für Beständigkeit. Also, da war die kollektive Erwartung nach mehr Glück, nach Gnade, nach Beständigkeit sehr groß.

Auswirkungen bis ins Berufsleben

Ricke: Jetzt gab es dieser Tage eine Studie, die sich mit den Vornamen von Chefs in Wirtschaftsbetrieben beschäftigt hat. Da punkten Andreas, Michael und Katja ziemlich gut. Ist in diesen Namen schon angelegt, dass aus denen mal etwas wird?
Schaffer-Suchomel: Aus den anderen Namen wird auch etwas. Es wird bestimmte Namen geben, die mit dem Thema Macht, Umsetzung, Durchsetzung einfach viel mehr zu tun haben als ein Kanzler, der Emil heißt. Angela als Kanzlerin beispielsweise geht auf die Engel zurück, die Angelpunkte der Erde, die gehalten werden, also hat der Name viel mit Kontrolle und Struktur zu tun.
Oder Andreas, männlich, tapfer: Andreas sucht nach der anderen Realität, er will ein Ass sein. Da sind bestimmte Kräfte automatisch mitgegeben, die ihm diese Durchsetzung erleichtern werden. Da sind bestimmte Elemente mit hineingegeben, die es erleichtern. Das heißt aber nicht, dass andere Namensträgerinnen oder -träger nicht hohe Ämter bekleiden werden, sie müssen vielleicht noch ein bisschen mehr dafür kämpfen.

Wünsche und Erwartungen der Eltern

Ricke: Eltern geben ihren Kindern mit dem Namen etwas mit. Wir wissen, dass Kinder, die Chantal oder Kevin heißen, es in der Schule möglicherweise etwas schwerer haben. Es gibt Namen aus religiösen Zusammenhängen, die ebenfalls Potenzial für Diskriminierung haben zum Beispiel Mohammed. Macht man es seinem Kind, wenn man gläubiger Muslim ist und sein Kind Mohammed nennt, macht man es dem Kind damit besonders schwer?
Schaffer-Suchomel: Nein, das glaube ich nicht. In unserer Namensrechtsprechung - also, wie dürfen wir Namen überhaupt vergeben? - ist sehr viel Sicherheit. Das heißt, wir dürfen keine Fantasienamen geben, wir dürfen auch keine Werbenamen verteilen, also unser Kind Coca Cola nennen, oder wie es in Amerika der Fall ist, da hat eine Familie - das wurde in der Boulevardpresse mal erwähnt - ihren Erstgeborenen Winner genannt und den Zweitgeborenen Loser. Das sind dann so Launen, denen die Eltern einfach freien Lauf lassen, das ist nicht gut.
Unsere Namen sind niemals schlecht, auch wenn wir manchmal denken, da ist ja erst mal eine negative Bedeutung. Wenn wir Claudia hören, Claudia, die Lahme, Hinkende, wer würde sein Kind Claudia nennen, wenn er weiß, dass es lahm hinkend bedeutet? Wenn wir dann in der Sprache weitergehen, dann geht das "lahm" auf das russische "lohm" zurück, was "brechen" heißt. Das heißt, Claudia hat die Kraft, mit Altem zu brechen, Neues zu suchen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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