Geschichte spannend erzählt

25.03.2010
Richtig in Mode ist Preußen nicht gerade, sieht man einmal von der Feier einzelner Lichtgestalten ab wie der gegenwärtig mit zahlreichen Publikationen bedachten Königin Luise. Denn für viele repräsentiert Preußen auch heute noch alle Nachtseiten, geradezu alles Unappetitliche in der deutschen Geschichte: Militarismus, Eroberung, Arroganz und Intoleranz. Dass dies Horrorbild ein Klischee ist, beginnt sich seit einiger Zeit herumzusprechen.
Auch der Geschichtsjournalist Uwe A. Oster trägt in seinem spannend geschriebenen Buch zu einer weitaus differenzierteren Lesart bei. Am dynastischen roten Faden entlang verfolgt er die preußische Geschichte ab 1701, als Kurfürst Friedrich III. sich selbst im fernen Königsberg die Königskrone aufs Haupt setzte, bis zur Ernennung Wilhelms I. zum deutschen Kaiser, 170 Jahre später.

Oster bewertet die Herrscher des Hauses Hohenzollern mit kritischer Sympathie, den ersten preußischen König etwa, dessen berüchtigte Prunksucht er als den epochentypischen Repräsentationszwang des Barock relativiert, während er ihm mit der Gründung der bis heute existierenden Akademie der Wissenschaften als erster "Denkfabrik" im deutschen Sprachraum avantgardistisches Gespür attestiert. Genauso wie dem großen Friedrich, der als erster europäischer Regent die Folter abschafft, einen einzigartigen Rechtsstaat aus der Taufe hebt und Preußen zum Konkurrenten Österreichs um die Vormachtstellung in Deutschland macht.

Andererseits charakterisiert Oster den Überfall Friedrichs II. auf Schlesien als riskantes Vabanque-Spiel, das in der preußisch-deutschen Geschichte eine hochkatastrophenträchtige Tradition begründete.

Welche Rolle bei diesem Aufstieg zur europäischen Großmacht die Armee spielte, zeichnet er ebenso genau nach wie die soziale Wirklichkeit auf dem flachen Land, wo sich der Einfluss des Militärs in Grenzen hielt und demzufolge nicht alles im berüchtigten Begriff des Untertanengeistes aufging. Überhaupt vergisst er in seinem Bericht von Haupt- und Staatsaktionen nicht deren Folgen auf Menschen und ihren Alltag.

So entsteht ein eindrucksvolles Panorama aus verschiedenartigsten Porträts, der Dynastie ebenso wie von Künstlern, Beamten oder Wirtschaftsleuten, Halleschen Pietisten, geheimen Diplomaten, Wissenschaftsrebellen, Migranten wie französischen Hugenotten, Wiener Juden und schlesischen Katholiken.

Insgesamt werden Licht- und Schattenseiten gewissenhaft gegeneinander abgewogen. Preußen erscheint als der auf Expansion hin angelegte Staat, in dem die Militärs mit "Sekundärtugenden" wie Disziplin und Gehorsam ein besonderes Gewicht haben, zugleich aber auch als ein Hort konfessioneller Toleranz.

Indem Oster häufig Quellen der Zeit sprechen lässt, Briefe oder Memoirenliteratur, sorgt er für Unmittelbarkeit und Intensität der Darstellung. Unübersehbar profitiert Oster von Christopher Clarks dickleibiger, 2007 erschienener Studie, die in der Fachwelt als Wendepunkt in der Preußen-Historiografie gefeiert wurde.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Uwe A. Oster: Preußen - Geschichte eines Königreichs
Piper Verlag, München/Zürich 2010
384 Seiten, 22,95 Euro