Geschichte lebendig erzählt
Johannes Willms ist Historiker und Kulturkorrespondent der Süddeutschen Zeitung. Seine Napoleon-Biographie erzählt spannend und prall das Leben Napoleons. Der Biograph zeigt Napoleon als raubgierigen Imperialisten und als skrupellosen Feldherrn.
Es war in den 70er oder 80er Jahren. In West-Berlin wurde der rekonstruierte Napoleon-Film von 1927 des französischen Kinopioniers Abel Gance aufgeführt. Aus drei Projektoren wurden drei separate Bilder geworfen, die sich auf der Leinwand zu einem Monumentalpanorama vereinigten. Mir steht noch die Szene einer Schneeballschlacht vor Augen, die schon im Kinde das Genie des späteren Artilleriegenerals vorzeigen sollte. Der Saal war halb gefüllt mit deutschen Zuschauern und halb mit französischen Soldaten in fein gebügelter Ausgehuniform. Als die Projektoren ausgingen, standen die Angehörigen der französischen Garnison wie ein Mann auf und schmetterten mit militärischem Zack die "Marseillaise".
Das überwiegend studentische deutsche Publikum teilte diese Begeisterung nicht, es buhte und pfiff. Einen Moment lang schwebten Prügel griffbereit in der Luft. Offenkundig wird die Figur Napoleon immer noch schmerzhaft kontrovers beurteilt. Da tut es gut, eine neue deutsche Biographie des französischen Kaisers auf dem Tisch zu haben, die nicht in der Zwangslage steht, dem Gründungsmythos der Grande Nation Reverenz erweisen zu müssen oder anderenfalls als Nestbeschmutzer da zu stehen.
Johannes Willms ist Historiker und Kulturkorrespondent der Süddeutschen Zeitung. Seine Napoleon-Biographie erzählt - und hier muss man mit tiefem Respekt vor den literarischen Qualitäten des Autors sagen - diese Biographie erzählt spannend und prall das Leben Napoleons. Seine Herkunft aus kleinem korsischen Adel, seine Versuche, in der Nationalbewegung Korsikas groß zu werden, dann vielleicht doch lieber in Frankreich Karriere zu machen, oder in Frankreich und Korsika gleichzeitig – das Leitmotiv des Aufstiegs eines Mannes, der mehr als 15 Jahre lang Europa in Bewegung gehalten hat, klingt gleich auf den ersten Seiten an. Schon das zweite Kapitel heißt: "Der Opportunist".
Napoleon war ein militärisches Genie - wie Willms meint - kein origineller Denker, aber einer, der mit dem militärischen Repertoire seiner Zeit virtuos umzugehen wusste. Willms stellt heraus, dass die militärischen Erfolge, die schon der Mittzwanziger errang, immer nur dem Fernziel einer politischen Karriere dienten, die Napoleon zunächst in der Republik, dann im Consulat und letztlich im Kaiserreich zu erreichen suchte.
Und er zeigt, wie dann im Gegenzug die politische Karriere immer mehr militärische Erfolge brauchte, denn Napoleons Machthunger litt unter mangelnder Legitimität. Er hatte sich zum Kaiser hochgeputscht, während sein Frankreich umgeben war von Monarchien, die auf jahrhundertealte Traditionen zurückblickten. Eine Dynastie bleibt immer eine Dynastie, ob sie nun oben ist oder unten.
Napoleon wusste, dass das auf ihn nicht zutraf. Wenn er nicht in einem fort seine Überlegenheit beweisen konnte, würden er und sein korsischer Clan am nächsten Tag verschwunden sein. Das bedeutete: Er musste die Nation in Atem halten. 1805 zum Beispiel, die Schlacht bei Austerlitz.
Willms schreibt: "...der Triumph von Austerlitz war der Anfang vom Ende."
Der Biograph zeigt Napoleon als raubgierigen Imperialisten und als skrupellosen Feldherrn. Allein der Russlandfeldzug, den er ausgelaugt vor Moskau abbrechen musste, kostete einer halben Million Franzosen das Leben.
Wer Erfolge verkaufen will, muss zunächst einmal selber an sie glauben. Willms zeichnet den Lauf der schleichenden Weltentfremdung nach, der Napoleon mit sich häufenden Erfolgen und immer größer werdenden Visionen zum Opfer fiel. Zu viele Erfolge machen überheblich und am Ende dumm.
Der Text ist zum genüsslicheren Lesen auf Deutsch gehalten, der Apparat der Anmerkungen zitiert die Quellen im französischen Original, so dass auch die Spezialisten auf ihre Kosten kommen.
Im Übrigen stellt Willms klar, dass die Schneeballschlacht des kindlichen Strategen aus Abel Gances Film historisch nicht nachweisbar, sondern Kinolegende ist.
Johannes Willms: Napoleon
C.H. Beck, München 2005,
840 Seiten mit 36 Abbildungen und 21 zweifarbigen Karten, 34,90 €
Das überwiegend studentische deutsche Publikum teilte diese Begeisterung nicht, es buhte und pfiff. Einen Moment lang schwebten Prügel griffbereit in der Luft. Offenkundig wird die Figur Napoleon immer noch schmerzhaft kontrovers beurteilt. Da tut es gut, eine neue deutsche Biographie des französischen Kaisers auf dem Tisch zu haben, die nicht in der Zwangslage steht, dem Gründungsmythos der Grande Nation Reverenz erweisen zu müssen oder anderenfalls als Nestbeschmutzer da zu stehen.
Johannes Willms ist Historiker und Kulturkorrespondent der Süddeutschen Zeitung. Seine Napoleon-Biographie erzählt - und hier muss man mit tiefem Respekt vor den literarischen Qualitäten des Autors sagen - diese Biographie erzählt spannend und prall das Leben Napoleons. Seine Herkunft aus kleinem korsischen Adel, seine Versuche, in der Nationalbewegung Korsikas groß zu werden, dann vielleicht doch lieber in Frankreich Karriere zu machen, oder in Frankreich und Korsika gleichzeitig – das Leitmotiv des Aufstiegs eines Mannes, der mehr als 15 Jahre lang Europa in Bewegung gehalten hat, klingt gleich auf den ersten Seiten an. Schon das zweite Kapitel heißt: "Der Opportunist".
Napoleon war ein militärisches Genie - wie Willms meint - kein origineller Denker, aber einer, der mit dem militärischen Repertoire seiner Zeit virtuos umzugehen wusste. Willms stellt heraus, dass die militärischen Erfolge, die schon der Mittzwanziger errang, immer nur dem Fernziel einer politischen Karriere dienten, die Napoleon zunächst in der Republik, dann im Consulat und letztlich im Kaiserreich zu erreichen suchte.
Und er zeigt, wie dann im Gegenzug die politische Karriere immer mehr militärische Erfolge brauchte, denn Napoleons Machthunger litt unter mangelnder Legitimität. Er hatte sich zum Kaiser hochgeputscht, während sein Frankreich umgeben war von Monarchien, die auf jahrhundertealte Traditionen zurückblickten. Eine Dynastie bleibt immer eine Dynastie, ob sie nun oben ist oder unten.
Napoleon wusste, dass das auf ihn nicht zutraf. Wenn er nicht in einem fort seine Überlegenheit beweisen konnte, würden er und sein korsischer Clan am nächsten Tag verschwunden sein. Das bedeutete: Er musste die Nation in Atem halten. 1805 zum Beispiel, die Schlacht bei Austerlitz.
Willms schreibt: "...der Triumph von Austerlitz war der Anfang vom Ende."
Der Biograph zeigt Napoleon als raubgierigen Imperialisten und als skrupellosen Feldherrn. Allein der Russlandfeldzug, den er ausgelaugt vor Moskau abbrechen musste, kostete einer halben Million Franzosen das Leben.
Wer Erfolge verkaufen will, muss zunächst einmal selber an sie glauben. Willms zeichnet den Lauf der schleichenden Weltentfremdung nach, der Napoleon mit sich häufenden Erfolgen und immer größer werdenden Visionen zum Opfer fiel. Zu viele Erfolge machen überheblich und am Ende dumm.
Der Text ist zum genüsslicheren Lesen auf Deutsch gehalten, der Apparat der Anmerkungen zitiert die Quellen im französischen Original, so dass auch die Spezialisten auf ihre Kosten kommen.
Im Übrigen stellt Willms klar, dass die Schneeballschlacht des kindlichen Strategen aus Abel Gances Film historisch nicht nachweisbar, sondern Kinolegende ist.
Johannes Willms: Napoleon
C.H. Beck, München 2005,
840 Seiten mit 36 Abbildungen und 21 zweifarbigen Karten, 34,90 €