Geschichte einer Schriftsteller-Familie

Von Katinka Strassberger · 07.12.2005
Das Literaturhaus München hat am Mittwoch die Ausstellung "Die Kinder der Manns - Ansichten einer Familie" eröffnet. Mehr als 200 Exponate dokumentieren Privatleben und öffentliches Werk aller sechs Kinder des Schriftstellers Thomas Mann. Viele der Briefe, Filmaufnahmen, Fotos und Zeichnungen sind bisher unveröffentlicht.
Golo Mann: "Es war nicht ganz leicht, einen so bedeutenden Vater zu haben, er litt wohl auch selbst unter seiner Größe. Heute sehe ich ihn als einen der bedeutendsten Prosaisten deutscher Sprache."

Nicht nur für Golo Mann war es schwierig, sich im Schatten des berühmten Vaters zu behaupten, sondern auch für seine fünf Geschwister. Einerseits genossen die Kinder der Manns eine vergleichsweise liberale Erziehung mit allen Annehmlichkeiten eines großbürgerlichen Münchner Haushalts- mit Dienstboten und vielerlei künstlerischen Anregungen. Andererseits war die Meßlatte für den eigenen Erfolg sehr hoch gesteckt, die Anerkennung des Vaters nur schwer zu erringen.

Erika Mann erinnert sich: "Die gewisse Vorliebe, die er für mich hatte, lag daran, dass ich ein so großer Aff war. Ich habe alle Leute nachgemacht, und nichts hatte er lieber als Darbietungen. Und ich konnte nach Hause kommen mit welchen Noten auch immer, wenn ich die Lehrer nachgemacht habe, und offenbar gut nachgemacht habe, war er vollkommen versöhnt und die Sache war erledigt. Klaus war ein Dichter, dies entsprach gar nicht den Wünschen, die mein Vater für ihn hatte. Sein Lieblingswunsch war: Klaus sollte Tenor werden und ihm den "Lohengrin" vorsingen. Er hat schon früh erkennen müssen, dass da gar keine Aussicht war."

Thomas Manns Haltung zu Ehe und Familie war, nicht zuletzt auch bedingt durch seine unterdrückten homosexuellen Neigungen, eher zwiespältig. 1918 notierte er in seinem Tagebuch: "Jemand wie ich sollte selbstverständlich keine Kinder in die Welt setzen." Da waren es aber schon fünf und das sechste unterwegs. Künstlerische Begabungen hatten sie alle:
Erika als Schauspielerin, als Leiterin des Exil-Kabaretts "Die Pfeffermühle" und als Journalistin, ihr 1906 geborener Bruder Klaus als Schriftsteller, Kritiker und Theaterautor. Anders als
ihr disziplinierter Vater führten sie ein ausschweifendes Künstlerleben und bekannten sich offen zu ihren homo- bzw. bisexuellen Leidenschaften, kämpften im Exil couragiert gegen den Faschismus. Der Name Mann öffnete ihnen zwar viele Türen, hatte aber auch den Nachteil, dass sie vor allem als Kinder des berühmten Vaters wahrgenommen wurden.

Das machte nicht nur Erika und Klaus zu schaffen, sondern auch ihren mittleren Geschwistern Golo und Monika, geboren 1909 und 1910, und dem 1919 geborenen Michael. Golo gelang es erst nach dem Tod seines Vaters, als Historiker einen eigenen Weg zu finden. Da hatte sich Klaus bereits das Leben genommen und Erika als gestrenge Verwalterin des väterlichen Erbes ihre eigenen Ambitionen weitestgehend ad acta gelegt.

Das erklärte Lieblingskind von Thomas Mann aber war seine jüngste Tochter Elisabeth. Ihr ist es später als Meeresbiologin wohl am besten gelungen, sich von familiären Zwängen frei zu machen.

Elisabeth Tworek, Leiterin des Münchner Literaturarchivs Monacensia und Hüterin der Nachlässe mehrerer Mann-Kinder, hat Elisabeth Mann Borgese wenige Jahre vor deren Tod noch kennen gelernt:

"Für mich ist als Gewinnerin die Elisabeth hervorgegangen, weil die von vornherein auf eine eigene Karriere gesetzt hat (...) auch wie ich sie hier im Haus noch erlebt hab, war sie ausgesprochen eigen, hatte eigene Pläne, hat sich auf einem ganz anderen Gebiet profiliert als der Vater."

Anhand einer Fülle von Dokumenten, Photografien und Briefen, die zum Teil noch nie gezeigt wurden, bietet die Münchner Ausstellung nun erstmals Gelegenheit, die Lebenswege der Mann-Geschwister und ihre Beziehungen untereinander genauer zu studieren. Wie sie als Herzogpark-Bande die Nachbarschaft nervten, ihre wenig schmeichelhaften Schulzeugnisse sind zu sehen, ihre vielfältigen Aktivitäten im schweizerischen und US-amerikanischen Exil, der schwierige Neubeginn nach 1945.

Sogar nach jahrzehntelanger Beschäftigung mit den Manns ist Kurator Uwe Naumann, der auch das opulente Begleitbuch zur Ausstellung herausgegeben hat, noch auf viel Neues gestoßen:

"Erstaunlicherweise ist die Geschichte der Manns und ihrer Wirkung überhaupt nicht zu Ende, es gibt immer noch ganz vieles zu entdecken, zum Beispiel die Briefwechsel innerhalb der Familie, die sind so heraus ragend, so wunderbar im Stil, das ist wirklich höchste Briefkunst der deutschsprachigen Literatur, die da dokumentiert ist und ganz viele dieser Briefe sind noch längst nicht veröffentlicht, zum Beispiel der Briefwechsel zwischen Klaus und Erika, die ja sehr eng verbunden waren, aber auch viele andere, ich glaube, dass im Bereich Briefedition noch vieles folgen wird, und auch ansonsten, z. B. von Monika könnte man noch eine Menge von Texten veröffentlichen, die bisher nur in Archiven schlummern, also da ist noch eine Menge zu tun und ich glaube, die Manns sind eine never ending story, nicht nur für mich persönlich, sondern auch für die Öffentlichkeit."

Nicht nur die Geschichte einer schwierigen Künstlerfamilie wird hier auf überaus spannende Weise aufgeblättert, sondern gleichzeitig die wechselhaften Zeitläufe eines ganzen Jahrhunderts.

Es ist wohl vor allem diese Verschränkung von Zeitgeschichte und deren künstlerischer Durchdringung, die diese Familie so faszinierend macht. Ihr grenz überschreitendes Weltbürgertum könne für uns auch heute noch Vorbild sein, meint Uwe Naumann:

"Wie geht man um mit der erzwungenen Tatsache Emigration, Vertreibung aus der eigenen Heimat, wechseln in fremde Sprachheimaten, in denen man sich nicht so artikulieren kann wie zuhause, und die Manns stehen eben dafür, dass man aus diesem erzwungenen Exil auch eine freiwillige kosmopolitische Haltung machen kann."

Für alle, die sich besonders für das Werk von Klaus Mann interessieren, hat Uwe Naumann noch eine besondere Überraschung parat:

"Die Tagebücher Klaus Manns sind ja vor einigen Jahren publiziert worden, nachdem man sie entdeckt hat, sie waren von der Familie verborgen gehalten worden, Golo hat sie dann an die Öffentlichkeit gegeben, aber publiziert wurde nur etwa die Hälfte der Texte, also eine Auswahledition, der Rest wurde von Golo in Absprache mit Elisabeth gesperrt und war bisher auch der Forschung nicht zugänglich. Mit dem Datum der Ausstellungseröffnung werden die Tagebücher Klaus Manns im Original für alle Forscher zugänglich und ich bin sicher, München wird einen kleinen Ansturm von Forschern erleben, die sich die Originaltagebücher Klaus Manns anschauen und aus ihnen wichtige Quellenzitate gewinnen wollen."


Service:
Die Ausstellung "Die Kinder der Manns - Ansichten einer Familie" ist bis zum 26. Februar 2006 im Literaturhaus München zu sehen.

Begleitbuch zur Ausstellung:
Naumann, Uwe: Die Kinder der Manns - ein Familienalbum,
rowohlt 19,80 Euro.