Geschichte einer menschlichen Katastrophe

29.05.2013
Zwei Todgeweihte begegnen sich im Krankenhaus und wagen den gemeinsam Neustart ins Leben - doch am Ende steht die Katastrophe. Die Tiroler Autorin Barbara Aschenwald übt in diesem Roman Gesellschafts- und Kunstkritik - und erzählt von der zerstörerischen Kraft der Liebe.
"Es war einmal oder war auch nicht", mit dieser aus Märchen vertrauten Sprachformel beginnt Barbara Aschenwalds Debütroman, indem keine "wahre Geschichte" erzählt wird, sondern eine aus "Luft und Phantasie". Von beidem benötigt man reichlich, um bei der Lektüre nicht zu ersticken beziehungsweise zu verzweifeln. Eindringlich, sodass die Sätze physisch spürbar werden, erzählt die 1982 in Tirol geborene Autorin von einer menschlichen Katastrophe.

In einem Krankenhaus begegnen sich Josef, dem zwei Stimulatoren in den Brustkorb eingesetzt wurden, ohne die er nicht leben kann, und Omka, die bewusstlos an einem See gefunden wurde. Unklar bleibt, ob sie Selbstmord begehen wollte. Die beiden Todeskandidaten bilden ein perfektes Paar, um es mit dem Leben noch einmal zu versuchen. Als Omka einen Sohn zur Welt bringt, scheint das Glück vollkommen. Obwohl Josef als Architekt genug Geld verdient, wird für die Rechtsanwältin Omka, die keine Anstellung findet, der familiäre Alltag immer mehr zum Problem. Sie verlässt Josef und das Kind. Dann plötzlich bringt sie beide um. Im Krankenhaus, wo alles begann, richtet sie ein Blutbad an, bis die Polizei sie erschießt.

Man muss vom Amoklauf in Lörrach, auf den der Roman Bezug nimmt, nichts wissen. Dort hatte am 19.9.2010 eine 41-jährige Rechtsanwältin erst ihren Sohn und Lebensgefährten umgebracht, dann einen Krankenpfleger erschossen und 18 Menschen schwer verletzt. Denn Aschenwald konstruiert einen Punkt Null, von dem aus sie ihre Geschichte aus "Luft und Phantasie" erzählen kann. Die Protagonistin Omka ähnelt dabei jenem Wasserwesen, das Friedrich de la Motte-Fouqué 1811 mit seinem "Undine"-Märchen schuf und das bis heute viele Adaptionen erfahren hat. An einer Undine-Versionen bleibt Aschenwald hängen: an Ingeborg Bachmanns Erzählung "Undine geht" (1961). Bachmanns Undine-Ich klagt darin einen Zeitgeist an, der seelenlos dem Fortschritt das Wort redet und sich im Vergessen übt. Ihr Text ist Gesellschafts- und Kunstkritik.

Aschenwalds sanft anmutende Erzählstrategie, die ebenfalls an der Schnittstelle zwischen Kultur und Natur verläuft, balanciert auf einem dünnen Seil. Obwohl eine zerstörerische, animalische Kraft in Omka wütet, wagt sie es, dem Entstehen der Katastrophe - weit vor dem Ausbruch - mit poetischem Feingefühl auf den Grund zu gehen. Omka ist von Anbeginn eine Entgrenzte. Zur Täterin aber wird sie erst, als sie sich eingesteht, dass sie ohne Seele ist und in ihr eine Kälte herrscht, die kein normales Leben zulässt.

Während Motte-Fouqués "Undine" nach ihrem Todeskuss, der den Geliebten tötet, gesteht: "Ich habe ihn totgeweint", nimmt Aschenwald an dem in die Literaturgeschichte eingegangenen Satz eine Korrektur vor. "Ich habe sie totgeweint", sagt Omka, bevor sie stirbt. In beiden Sätzen spricht sich die Liebe in ihrer zerstörerischen Kraft aus.

Besprochen von Carola Wiemers

Barbara Aschenwald: Omka
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2013
221 Seiten, 19,99 Euro