Geschichte des Vernichtungslagers

Wie Auschwitz zu dem wurde, was es war

Blick auf den Eingang des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau
Ein Motiv, das wie kaum ein anderes für die Gräuel der Nazis steht: Der Eingang von Auschwitz © dpa / Fritz Schumann
Von Carsten Dippel · 22.01.2016
Viel ist über das Vernichtungslager Auschwitz geschrieben worden, recht wenig aber über seine eigene Geschichte. Diese Lücke schließt die Historikerin Susanne Willems. Sie wertet dabei auch noch nie besprochene Dokumente aus.
Auschwitz ist heute ein Synonym für die Menschheitsverbrechen der Nazis. Mindestens 1,3 Millionen Menschen fanden im größten der Konzentrations- und Vernichtungslager den Tod. Es gibt Zeitzeugenberichte, Dokumentationen, Spielfilme. Bislang wurde jedoch kaum die Geschichte dieses Lagers erzählt. Bis jetzt - wie aus dem Kasernengelände im oberschlesischen Oswiecim dieses gigantische Relais des Todes wurde, das zeigt die Historikerin Susanne Willems (jetzt) in einem bei der Edition Ost verlegten Text-Bildband.
Schon Ende 1939 gab es Pläne, das von der Wehrmacht requirierte Kasernengelände als "Quarantänelager" für 10.000 Gefangene zu nutzen. Als im April 1940 die Übergabe an die SS erfolgte, waren viele Gefängnisse in Polen bereits überfüllt. Dass Auschwitz einmal einer der Orte des Völkermords an den europäischen Juden werden würde, war zu diesem Zeitpunkt jedoch längst nicht abzusehen.
"Die massenhafte Vernichtung von Menschen an einem Ort zu kombinieren mit der Selektion von möglichst vielen Menschen zum Arbeitseinsatz, das ist das, was nur im Lager Auschwitz, in Birkenau in der Form zum Ende des Sommers 1942 realisiert wurde."
Willems zeigt, wie eng verzahnt die Pläne der SS mit den Interessen der deutschen Industrie waren. Denn Auschwitz spielte schon bald eine wichtige Rolle für deutsche Unternehmen, allen voran die IG Farben. Der weltgrößte Chemiefabrikant entschloss sich für einen Werksneubau in unmittelbarer Nähe, stets darum bemüht, an billigste Arbeitskräfte zu kommen. Der IG Farben wurden schließlich 10.000 Gefangene zugesagt. Die Firmen halfen bei Bezugsrechten wichtiger Baustoffe und Materialien, beim Ausbau des Lagerkomplexes und der Vertreibung der eingesessenen Bevölkerung.
Drehscheibe für einen europaweiten Arbeitssklavenmarkt
Im März 1941 inspizierte SS-Chef Heinrich Himmler gemeinsam mit Vertretern der IG Farben das Werk. Es wurden Pläne zum Bau eines zweiten Lagers für 100.000 Gefangene gemacht. Anhand neuer Dokumente kann Willems nachweisen, dass dann im Spätsommer 1941 eine entscheidende Umplanung dieses zweiten Lagers in Birkenau vorgenommen wurde. Ein Schlüsselmoment, der Auschwitz im weitgefächerten Lagersystem der SS eine herausgehobene Rolle zuwies.
"Das bezieht sich vor allem auf die Geschichte der Entscheidung, das Lager Birkenau zu dem Ort zu machen, an den seit Herbst 1942 die Massendeportation der europäischen Juden hingeführt wurden und gleichzeitig diesen Ort zu einer Art Drehscheibe zu machen für einen europaweiten Arbeitssklavenmarkt."
Nach der Wannseekonferenz Ende Januar 1942 teilt Himmler mit, Auschwitz solle sich auf 150.000 jüdische Gefangene einstellen. Der bisherige Erweiterungsplan vom Oktober 1941 wird korrigiert: Geplant sind nun 252 fensterlose Holzbaracken auf dem sumpfigen Gelände in Birkenau. Zuständig für die Zuteilung wichtiger Baustoffe und die Koordination zum Einsatz von Juden in der Rüstungsindustrie war Rüstungsminister Albert Speer. Er genehmigte im September 1942 den entscheidenden Ausbau von Auschwitz-Birkenau zum Vernichtungslager. Den entsprechenden Lageplan hat Willems erst vor wenigen Jahren in einem Archiv in Prag entdeckt und hier erstmals veröffentlicht.
"Die SS hätte ohne Übereinstimmung mit Speer in Auschwitz gar nicht weiterbauen können. Die haben jahrelang gar nicht das nötige Material gehabt. Und insofern ist natürlich die Verbindung von Speer mit der SS entscheidend, dass Auschwitz dieser Ort des Völkermords an den europäischen Juden geworden ist."
Fülle an Zahlen und Fakten zusammengetragen
Während all dieser Planungen und Ausbauten des Lagers inklusive einer Vielzahl von Außenlagern rollten Deportationszüge aus ganz Europa nach Auschwitz. Doch erst im Frühjahr 1944 – als die Front längst näherrückte – gingen die letzten Gaskammern in Betrieb. Als wenig später mehr als 400.000 ungarische Juden binnen acht Wochen nach Auschwitz deportiert wurden, lief die Vernichtungsmaschinerie auf Hochtouren.
"Ich würde nicht sagen, mit dem Ende im Blick steigert sich das Verbrechen, sondern die Nazis wollten das Verbrechen ohnehin steigern und ausweiten. So frappierend das auch bleibt. Am 24. Juli 1944 wird Lublin befreit, damit Majdanek, sozusagen das Zwillingslager von Birkenau, und die Massendeportationen nach Auschwitz ein paar Hundert Kilometer westlich gehen weiter."
Susanne Willems dokumentiert äußerst detailliert die Geschichte des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz. Im Kontrast zu dieser Fülle an Zahlen und Fakten stehen Bilder der gegenwärtigen Gedenkstätte, aufgenommen von den Fotografen Frank und Fritz Schumann. Das Buch schließt eine wichtige Lücke im Wissen über die Geschichte dieses Lagers. Dabei machen die vielen, auch technischen Einzelheiten, die Dimension des gigantischen Komplexes Auschwitz überhaupt erst fassbar.

Susanne Willems: Auschwitz. Die Geschichte des Vernichtungslagers
Edition Ost
256 Seiten, 29,99 Euro

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