Geschichte des literarischen Diebstahls

02.03.2010
Von der Antike bis in die Gegenwart listet der Geisteswissenschaftler Philipp Theisohn in "Plagiat. Eine Unoriginelle Literaturgeschichte" literarische Beispiele für Plagiate auf. Allerdings ist laut Theisohn die bloße Analogie zweier Texte noch lange kein Plagiat.
Ihm eigne eine "grundsätzliche Laxheit in Fragen des geistigen Eigentums": So erklärt Bertolt Brecht den Umstand, dass er in der Ausgabe mit Songs zur "Dreigroschenoper" weder den Namen von Francois Villon noch den des Übersetzers Klammer erwähnt, obwohl 25 der 625 Brecht-Verse identisch mit Klammers Übertragung sind.

Brecht hält die Vorstellung von einer "authentischen Kunst" in einer kapitalistischen Gesellschaft für überholt. Seiner Meinung nach lassen die Möglichkeiten der technischen Reproduktion eines Kunstwerks die Frage nach dessen "Echtheit" obsolet werden. Diese Einstellung kollidiert jedoch mit dem Urheberrecht, wonach geistiges Eigentum seit dem 18. Jahrhundert Rechtsschutz genießt.

Während sich Brecht das Recht herausnimmt, die Texte seiner Kollegen als Material zu betrachten, mit dem er nach eigenem Belieben verfährt, widerspricht diese Auffassung dem Recht der Juristen: Dieses kennt dafür das Wort 'Plagiat'.

Allerdings, so liest man in dem spannenden Buch "Plagiat" von Philipp Theisohn, ist "die bloße Analogie zweier Texte [ ... ] noch lange kein Plagiat". Vielmehr formuliert Theisohn für seine Literaturgeschichte der Plagiate drei Thesen. Danach gehören zu einem Plagiat drei Beteiligte: Neben dem Plagiierten auch der Plagiator und die Öffentlichkeit. Plagiate entstehen zweitens dadurch, dass man sich von ihnen erzählt. Und schließlich verhandeln Plagiate "ein 'inneres' Verhältnis von Text und Autor". Auf der Grundlage dieser Thesen wendet sich Theisohn seinen literarischen Beispielen zu. Er beginnt mit Aristophanes' "Wolken" und kommt im letzten Kapitel unter dem Titel "Copy/Paste: Das Plagiat im digitalen Schatten" in der Gegenwart an.

Es geht beim Plagiat um das Verhältnis zweier Texte vor dem Hintergrund einer Öffentlichkeit; einer Öffentlichkeit, deren Verhältnis zu dem, was sie unter einem "Original" versteht, historischen Wandlungen unterliegt. In Senecas "Bienengleichnis" wird ein Loblied auf die Nachahmung (imitatio) gesungen. Im Zeitalter der Aufklärung hingegen wird dem Autor der Besitz an geistigem Eigentum per Gesetz garantiert. Doch ist das Wissen erst einmal in der Welt, liegt es in Form eines Buches vor, dann "gehört es allen", die damit ganz unterschiedlich umgehen. Wer darüber streitet, dass sein Text das Original und der des anderen ein Plagiat ist, der meldet Alleinvertretungsansprüche an. Indem Texte dadurch ins Gespräch kommen, wird aber das Plagiat erst erzeugt – obwohl es doch aus der Welt geschaffen werden sollte.

Dieses erhellende Buch ändert den Blick auf das Thema. Nach der Lektüre muss man sich von einem bestimmten Plagiatsbegriff verabschieden: davon, dass es sich um ein Plagiat handelt, wenn man Fremdes als Eigenes ausgibt. Vielmehr handelt es sich um ein Plagiat, wenn sich ein Plagiator eine "literarisierte Person" zum Untertan macht und sie zum eigenen Nutzen in Dienst nimmt. Selten, dass es jemand versteht, eine dröge anmutende Materie so lebendig und unterhaltsam darzustellen wie Theisohn in dieser "Unoriginellen Literaturgeschichte".

Besprochen von Michael Opitz


Philipp Theisohn, Plagiat. Eine Unoriginelle Literaturgeschichte,
Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2009, 577 Seiten, 26,90 Euro.
Mehr zum Thema