Geschichte des KZ Buchenwald

Neue Ausstellung - neue Einsichten?

Karteifotos der Gestapo mit ungarischen Juden, zu sehen in der neuen Dauerausstellung "Buchenwald. Ausgrenzung und Gewalt 1937 bis 1945" in Buchenwald bei Weimar.
Karteifotos der Gestapo mit ungarischen Juden, zu sehen in der neuen Dauerausstellung "Buchenwald. Ausgrenzung und Gewalt 1937 bis 1945" in Buchenwald bei Weimar. © picture alliance / dpa / Martin Schutt
Von Henry Bernhard · 15.04.2016
Eine neue Dauerausstellung erinnert ab 17. April an die Geschichte des Konzentrationslagers Buchenwald. Neue Objekte, Erkenntnisse und mediale Möglichkeiten machen sie anschaulicher. Sie zeigt aber noch mehr als das.
Die Gebote des Rechts sind folgende: ehrenhaft leben, niemanden verletzen, jedem das Seine gewähren.
"Jedem das Seine". 71 Jahre nach der Befreiung der Häftlinge des KZs Buchenwald lädt die KZ-Gedenkstätte auf dem Ettersberg bei Weimar mit den Worten zur Eröffnung der neuen Ausstellung ein, die die Häftlinge bei jedem Appell als Inschrift im Lagertor lesen konnten. Indem Stiftungsdirektor Volkhard Knigge das verkürzte Zitat wieder in den ursprünglichen Zusammenhang stellt, den gesamten römischen Rechtsgrundsatz zitiert, entreißt er es dem Mißbrauch durch die SS.
Volkhard Knigge: "Die Gebote des Rechts sind folgende: ehrenhaft leben, niemanden verletzen, jedem das Seine gewähren." Das ist ein großes Gerechtigkeitspostulat, eine Gerechtigkeit gleichsam auf Gegenseitigkeit. Das wird herausgebrochen und es wird zu einem Motto, das die Verletzung des anderen legitimieren soll, das seine rassistische Herabsetzung und Ungleichwertigkeit legitimieren soll. Aus Recht wird auf einmal in dieser Verkürzung und in der rassistischen Umdeutung Unrecht, Gewalt und am Ende Mord gerechtfertigt."
Mit dem "Jedem das Seine", das seit 1937 rostrot im ansonsten weißen Lagertor prangt, beginnt auch die Ausstellung in der ehemaligen dreistöckigen Effektenkammer, die seit 1985 die Ausstellungen zur Lagergeschichte beherbergt. Auf die Frage, warum Konzentrationslager aus Sicht der Nationalsozialisten nötig waren, soll die Ausstellung gründlicher als bisher Auskunft geben, sagt der Kurator und stellvertretende Stiftungsdirektor Rikola-Gunnar Lüttgenau.
Rikola-Gunnar Lüttgenau: "Das kommt natürlich nicht aus dem Nichts 1937, sondern es gibt Vorbereitungen. Das heißt, damit ein Lager die Funktionen übernimmt für die nationalsozialistische Gesellschaft, müssen ja erst mal gewisse Ansprüche formuliert werden in der nationalsozialistischen Gesellschaft. Eben: Welche Menschen sollen ausgegrenzt werden; warum werden sie ausgegrenzt? Das muss den Menschen auch beigebracht werden, dass diese Menschen, bestimmte Menschen, nicht zur 'Volksgemeinschaft" gehören.'"
Volkhard Knigge, Direktor der Stiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora, in der neuen Dauerausstellung "Buchenwald. Ausgrenzung und Gewalt 1937 bis 1945" in Buchenwald bei Weimar
Volkhard Knigge, Direktor der Stiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora© picture alliance / dpa / Martin Schutt
Volkhard Knigge: "In diesem Versprechen einer völkisch-ethno-rassistisch-strukturierten Harmonie, in dem Versprechen einer vergifteten Harmonie ist natürlich einer der zentralen Gründe gegeben für die permanente Gewaltproduktion im Nationalsozialismus."
Rikola-Gunnar Lüttgenau: "… und was für neue Gesetzeslagen geschaffen wurden z.B. für Sterilisationen, für Menschen, die sich nicht fortpflanzen sollen in der 'Volksgemeinschaft'"
Volkhard Knigge: "Und der Rassismus setzt noch – flapsig gesagt – oben einen drauf: eine Gesellschaft, die sich selbst durch aggressive, mörderische Exklusion definiert, die ist natürlich permanent gewalttätig; und diese Gewalt wird dann im 2. Weltkrieg noch eskaliert."

280.000 Häftlinge, 56.000 Tote, 139 Außenlager

Noch wird gebaut, die Ausstellung wird wohl erst in letzter Minute fertig sein. Fertig sind riesige Raumkörper, die sich schräg, schief scheinbar durch die drei Etagen bohren, bestehende Räume zerstören und neue entstehen lassen. Ein Konzept, wie es – dort allerdings unter Zerstörung ursprünglicher Bausubstanz – schon beim Reichsparteitagsgelände in Nürnberg und beim Militärhistorischen Museum in Dresden angewandt wurde. Ein Konzept, von dem die Ausstellungsmacher hoffen, dass es aufgeht und verstanden wird. Harry Stein, Historiker in Buchenwald seit 30 Jahren, führt durch die neue Ausstellung.
Harry Stein: "Wie kann man sozusagen dieses Gebäude an sich in Frage stellen? Und da kam nach langen Diskussionen die Idee: Wir nehmen einfach mal den Grundriß dieses Gebäudes und versuchen mal, die Mitte rauszunehmen und zu drehen."
Volkhard Knigge: "Wir nehmen den Grundriß des Gebäudes, verschieben damit das Gebäude symbolisch in sich selbst, verdrehen es und kippen es, stören das Ursprungsgebäude dadurch, und gewinnen aber die Weise einen Ausstellungsbereich im Gebäude, im 1. und im 2. Stockwerk dann, der eine ganz große Übersicht schafft."
Harry Stein: "Also, ein Gebäude ist da entstanden, ein Gegengebäude, wenn man so will, was diese lineare, ausgerichtete Struktur erst mal grundsätzlich in Frage stellt."
In der ersten Etage beginnt die eigentliche Ausstellung. Vorangestellt knappe karge Informationen über die Rahmendaten: 280.000 Häftlinge, 56.000 Tote, 139 Außenlager. Vor dem Betreten der neuen ein Rückblick auf die Vorgänger-Ausstellung.
Volkhard Knigge: "Die Ausstellung ´95 war überhaupt die erste große, flächenmäßig und inhaltlich umfassende – in dem Sinne große – Ausstellung in Deutschland zur Geschichte eines Konzentrationslagers. Es gab bis dahin in Westdeutschland nur kleine Dokumentenhäuser; es gab die Ausstellung in Dachau, eine reine Fotoausstellung."
Harry Stein: "In der DDR die Gedenkstätten wurden als Gedenkstätten der revolutionären Arbeiterbewegung eingeordnet und gesehen, das heißt, ein ganz schmaler, beinahe ein Tunnelblick auf die Geschichte dieses Konzentrationslagers. Deshalb bestand diese Gedenkstätte hier.
Und dann kommen eben die 1990er Jahre mit unglaublich vielen Fragestellungen, mit dem Zerfall dieses Heldenbildes der deutschen politischen Häftlinge und neuen Quellen, die scheinbar alles in Frage stellen, was vorher erzählt worden war."
Volkhard Knigge: "Wir wußten aber, dass diese Ausstellung aus guten Gründen überkomplex warUnd es sollte ganz klar werden: Hier wird argumentiert, hier wird belegt; wir belegen lieber eine Aussage dreimal. Wir behaupten nichts; wir machen alles transparent und nachvollziehbar. Hier findet keine westdeutsche Siegergeschichtsschreibung statt."

Was wußte man in Weimar über die Verbrechen?

Die 1995er-Ausstellung war vielen zu schwierig zu erschließen, zu trocken, zu dokumentenreich. Die neue Ausstellung will nun mit neuem Selbstbewußtsein, mit der Rückendeckung von 20 weiteren Jahren Forschung und enorm vielen neuen Dokumenten, Akzente setzen, eine Schneise schlagen durch das in den vergangenen Jahren enorm vermehrte Wissen über das Lager und seine differenzierten Häftlingsgruppen. Vizechef Lüttgenau ist optimistisch.
Rikola-Gunnar Lüttgenau: "… dass sehr viel mehr Fragen als Mitte der 90er-Jahre auf die NS-Gesellschaft, auf die normale NS-Gesellschaft gerichtet werden. Was wußte man in Weimar über die Buchenwalder Verbrechen? Was wußte man in Weimar über die Präsenz von Häftlingen in der Stadt selber, über die Außenlager? Welche Vernetzungen gibt es? Und das sind eben genau diese Formen von Vergesellschaftung eines Verbrechens, das ja eben nicht isoliert hier oben stattgefunden hat, sondern sich nur erklärt aus der Gesellschaft heraus. Und das sind Fragestellungen, Fragerichtungen, die für uns sehr positiv sind."
Der Besucher findet in der Ausstellung z.B. Stempel einer Weimarer Firma, die noch heute Stempel herstellt, den Briefwechsel mit einer anderen Weimarer Firma, "Gummi-Wille", die bis vor wenigen Jahren existiert hat und bei der der Autor 1986 sein erstes Kondom gekauft hat.
Aus dem Brief:
"Weimar, den 22. August 1938
An das K.L. Buchenwald, Herrn Dr. Maaßen
Weimar – Buchenwald
Die angefragten Bruchbänder für einige Häftlinge kann ich selbstverständlich liefern und würde sie auch nach vorher genommenen Maaß dort im Lager anlegen. Ich möchte sie nur bitten, mir vorher zu sagen, ob es sich um linke oder rechte bzw. doppelseitige Brüche handelt und welche Leibesumfänge ungefähr in Frage kommen.
Heil Hitler!
Hilmar Wege
Gummi-Wille"
Volkhard Knigge: "Alle Stempel der SS-Verwaltung sind in Weimar gefertigt worden. Vorne steht dann eben, wofür der Stempel notwendig ist, was er stempelt, und auf der Rückseite steht der Stempel-Hersteller. Und es hat aber auch Nachkommen gegeben, wie im Fall von Stempel-Rabe, die uns die Korrespondenz und auch die Stempel mit großer Bewegung und auch Bestürzung, was in ihrer Familie damals einfach so möglich war, die uns diese Objekte überhaupt zur Verfügung gestellt haben. Und das muss man sich ja mal vorstellen: Besucher werden jetzt einen Stempel von Stempel-Rabe sehen, und die Firma heißt heute auch noch so! Und ich bin sicher, sie werden, wenn sie auch von dieser Geschichte wissen, dass aus der Familie dieses Objekt gegeben worden ist, mit Hochachtung auf diese Gabe schauen und gleichzeitig mit Erschütterung auf das, was damals ebenso selbstverständlich war."
Die Ausstellungsmacher in Buchenwald versuchen, dem Zuschauer mit dem Konkreten nahezukommen, ihn nicht durch Schockmomente emotional zu überwältigen, sondern Objekte in ihrer historischen und sinnlichen Dimension einzubetten und einzuordnen.
Volkhard Knigge: "Das ist kein Streichelzoo für Opfer. Ich sag’s mal ganz bewußt so kraß. Und das meine ich nicht despektierlich gegenüber den Überlebenden, sondern gegenüber einer Form der Erinnerungskultur, die einfach nur sentimentalisch-pietätvoll relativ folgenlos augenblicksbetroffen ist."

Wissen über einzelne Häftlinge erheblich gewachsen

Neben Vitrinen mit Dokumenten, Fotos, kleinen Fundstücken aus den umfangreichen Grabungen im Umfeld des Lagers seit 1990 stehen drei sogenannte "Realienkabinette", in denen das Individuelle in der Lager-Massengesellschaft erfahrbar wird. Im ersten großen verglasten Kabinett, das neben dem Besichtigungspfad platziert ist und einen intimen Zugang gewährt, sind Dutzende unterschiedlichster Teile von Häftlingskleidung drapiert:
Rikola-Gunnar Lüttgenau: "Seien es Schuhe, seien es Mützen, seien es Wintermäntel, die es in einer kurzen Zeit nur gab. Das war ursprünglich die weiß-blau gestreifte Kleidung; später wurde auch Kleidung von in Auschwitz Ermordeten hier in Buchenwald ausgegeben. Deswegen kann man an der Kleidung auch verschieden Zustände des Lagers zeigen. Und man kann auch die Hierarche, die die SS in die Häftlingsgesellschaft einzog, eben auch zeigen, zwischen Funktionshäftlingen und der großen Masse der Häftlinge."
Ein paar Meter weiter, im nächsten Realienkabinett, drapieren gerade zwei Ausstellungsgestalter viele Dutzend Schüsseln auf einen schwarzen Untergrund.
Harry Stein: "Ja, und in dem Quellenkern zeigen wir die Unterernährung im Lager. Und Unterernährung kann man ja schlecht zeigen. Man kann die Fotos zeigen, die zweigen wir auch in der Ausstellung an anderer Stelle, von unterernährten Menschen – 80% der Insassen des Lagers waren chronisch unterernährt, aber man kann den Vorgang der Unterernährung nicht zeigen, es sei denn, man geht in den Bereich hinein, über den die Ernährung lief. Also …"
Rikola-Gunnar Lüttgenau: "… ohne die Schüssel bekam man keine Suppe. Und dass die Menschen hier trotzdem nach einer relativ kurzen Zeit häufig sterben, zeigt sich daran, wie viele Nummern auf einer derartigen Schüssel eingeritzt sind, weil, nachdem jemand gestorben ist, ein nächster kam, dessen Schüssel es war."
Harry Stein: "Wir zeigen z.B. zwei verschiedene Kellen, mit denen das Essen aus den Kübeln geschöpft wurde. Eine Kelle, die so etwa 1 Liter faßt, und eine, die einen halben Liter faßt. Also, in der Quarantäne bekamen die Häftlinge eben die Hälfte des Essens, und das war in der Kelle sozusagen vorgegeben."
Rikola-Gunnar Lüttgenau: "Oder sie finden bei einer derartigen Grabung einen Löffel, der ganz viele Löcher hat. Wofür soll das jetzt gut sein? Da hat sich jemand ein Sieb gemacht, um eben aus der Schüssel die kleinen Krumen, die es gibt, herauszufischen, die zu trocknen und bei sich zu halten, um dann, wenn es keine Suppe gibt, wenigstens diesen Krumen zu haben, an dem er kauen kann.
Die erste Etage der Ausstellung zeigt das Lager von 1937 bis zum Krieg, die zweite das Massenlager im totalen Krieg, das sowohl der Rüstungsproduktion als auch der Vernichtung durch Arbeit diente. Dank der Öffnung verschiedener Archive, hauptsächlich des Internationalen Suchdienstes in Bad Arolsen, ist das Wissen über einzelne Häftlinge in den letzten Jahren erheblich gewachsen. Parallel zum historischen Erzählstrang findet der Besucher Hörstationen, in denen er die Geschichte von 85 exemplarisch ausgewählten Buchenwald-Häftlingen hören kann, jeweils für sich selbst, aber auch repräsentativ für eine bestimmte Opfergruppe sprechend. Ergänzt durch Fotos tritt hier der Einzelne, das persönliche Schicksal aus der uniformierten Masse."

Geschichte des Lagers und seiner Opfer

Spr. Eva Fahidi: "Wenn ich als Kind gefragt wurde, was ich mir wünschte, antwortete ich immer, dass ich eine lebendige Pupope haben wollte, mit anderen Worten: eine Schwester oder einen Breuder. Acht Jahre mußte ich warten."
Spr. Lau: "Wir machten uns Sorgen, dass Lulek nicht ins Leger hereingelassen werden könnte; er hätte auf der Stelle umgebracht werden können wie Kinder in anderen Lagern. Ich leerte meinen Sack, und wir ließen ihn reinschlüpfen. Zum Glück wurden wir nicht kontrolliert oder gezählt, als wir das Lager betraten."
Spr. Felicja Schächte: "Die deutschen Herrscher hatten uns alles genommen: Die Freiheit, die Jugend, unsere Weiblichkeit, unsere Schönheit."
Spr. Lau: "Im Bruchteil einer Sekunde umarmte Mutter uns beide und drängte Lulek in meine Arme. Er hat bei den Männern bessere Aussichten.", sagte sie. Für Diskussion blieb keine Zeit."
Spr. Eva Fahidi: "Die Art, wie meine Mutter, mein Vater, meine kleine Schwester ums Leben gekommen sind, diese eiskalte Planmäßigkeit, die ich damals nicht einmal durchschaut habe, hat eine Wunde hinterlassen, die auch ein noch so langes Leben nicht heilen wird. Wir haben uns nicht einmal voneinander verabschiedet."
An manchen Objekten oder in deren Kombination wird die Geschichte des Lagers, seiner Opfer und seiner Umgebung besonders deutlich. Direkt nebeneinander stehen filigrane Möbel, ein blank polierter Schreibtisch, ein Spinett, ein verglaster Schrank, und ein massiver riesiger Kübel mit Rädern.
Rikola-Gunnar Lüttgenau: "Wir haben hier einen Leichenbehälter, der ist mit Zink ausgeschlagen, mit dem die SS die über 8.000 sowjetischen Kriegsgefangenen, für die sie eine extra Erschießungsanlage in Buchenwald aufgebaut haben, zum Krematorium brachte, um sie dort zu verbrennen, die Leichen. Zeitgleich, wo dieser Leichenwagen in den Deutschen Ausrüstungswerken von Häftlingen in der Tischlerei hergestellt wurde, wurden in dieser Tischlerei die Schillermöbel hergestellt, das heißt, die Duplikate für die Möbel im Schillerhaus, die wollte man eben permanent im Krieg präsentieren. Dafür hat man dann die Häftlinge und ihre Arbeitskraft genutzt, dass sie eben Schillers Schreibtisch nachbauen, die Schränke nachbauen … Zeitgleich – und dafür wurden diese Möbel ja hergestellt – gibt es die 175-Jahr-Feier für Schiller, die stattfindet in der Stadt. Und am selben Tag, als diese Schiller-Feier stattfindet in der Stadt, werden die Thüringer Juden deportiert, aus ganz Thüringen nach Weimar gebracht, in der Viehauktionshalle noch ausgebeutet, also müssen all ihren Schmuck, ihre Habe dort abgeben, und dann geht es auf Transport in die Ghettos in den Osten. Das passiert alles zeitgleich, 1941 in Weimar-Buchenwald. Das ist die Gleichzeitigkeit von verschiedenen Mechanismen in der nationalsozialistischen Gesellschaft, wo das Lager ganz unterschiedliche Funktionen übernimmt."

Objekte der Selbstbehauptung von Häftlingen

In dieser Kombination bringt die Ausstellung Buchenwald auf den Punkt: Die Parallelität von Grauen, Mord, Holocaust, Raub auf der einen Seite und einer mittätigen oder ignoranten "Volksgemeinschaft" auf der anderen Seite, die das KZ Buchenwald gleichzeitig ignoriert und von ihm profitiert.
Ein drittes Realienkabinett zeigt Objekte der Selbstbehauptung von Häftlingen: Musikinstrumente, ein Miniatur-Schachspiel, ein improvisiertes Bügeleisen, das die Läuse abtöten sollte, die Fleckfieber übertrugen, ein symbolischer Taschen-Grabstein für die ermordeten Brüder eines Häftlings. Und zwei Schuhkartons mit Holzspielzeug.
Rikola-Gunnar Lüttgenau: "Wenn wir hineingreifen, ist in diesem Schuhkarton …, da gibt es Zäune, da gibt es ein Schwein, das ist alles getischlert, und die Ohren sind drangenagelt in einer anderen Farbe. Da gibt es ein Pferd, ein Baum, ein Vogelhäuschen – es ist ein Bauernhof!"
Harry Stein: "Ein politischer Häftling, der lange schon in Haft saß – erst im Zuchthaus, dann im KZ –, dessen Frau auch in Haft saß – erst im Zuchthaus, dann im KZ –, die einen Sohn hatten, der bei den Großeltern aufwuchs, schickt seinem Sohn so Stück für Stück Holzspielzeug, über die Jahre hinweg, Holzspielzeug, über einen SS-Mann, den er aus der Stadt Frankfurt am Main kannte, nach Frankfurt am Main, bis der Bauernhof dann komplett bei dem Jungen eingetroffen ist. Der Junge war dann nur längst schon aus dem Alter raus, wo er mit einem Bauernhof spielte. Und hat das trotzdem, den ganzen Bauernhof, sein Leben lang aufbewahrt, zur Erinnerung an den Vater, in Schuhkartons, die wir hier mit zeigen. Weil, das ist sozusagen eine Geschichte der zerschlagenen Familie, weil durch die politische Verfolgung hier in dem Falle, wo die Kinder ohne Eltern aufwuchsen, die Eltern im KZ waren, und die Eltern mit der Sehnsucht, mit dem Wunsch, ihren Kindern was zu signalisieren. Und so könnte man hier wirklich Geschichte für Geschichte weitererzählen."
Am Ende der neuen Ausstellung in Buchenwald steht der Blick in die Freiheit. Entpersonalisierte Häftlinge, die wieder zu Personen, zu Individuen mit einem Namen werden. Häftlinge, die als Zeugen gegen die SS auftreten. Häftlinge, die noch nach der Befreiung am 11. April 1945 an ihren Krankheiten sterben. Häftlinge, die darüber sprechen, was Buchenwald für sie bedeutet hat und was es für uns heute bedeutet. Für den Stiftungsdirektor Volkhard Knigge ist dieser Blick in die Gegenwart und die Zukunft das Wichtigste, was seine Gedenkstäte und auch die neue Ausstellung anbieten können.
Volkhard Knigge: "Wir sagen ja nicht – das können Historiker auch nicht –, was man tun soll; die Auseinandersetzung mit dieser historischen Erfahrung trägt dazu bei zu begreifen, was man nicht tun soll! Das auf jeden Fall! Und dann wird man auf dieser Basis um richtige, politisch richtige, mitmenschlich richtige, bessere Lösungen immer wieder auseinandersetzen müssen. Aber im Wissen, was man in gar keinem Fall tun sollte, wenn Menschen und Gesellschaften ihren humanen Atem nicht verlieren sollen."
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