Geschichte der Lufthansa

Kranich unterm Hakenkreuz

Lufthansa-Maschinen stehen am 09.09.2015 am Flughafen von Frankfurt am Main (Hessen) am Boden.
Ab 1929 habe die Lufthansa den Schulterschluss zur NSDAP gesucht, sagt der Historiker Lutz Budrass © dpa picture alliance
Lutz Budrass im Gespräch mit Katrin Heise · 12.03.2016
Gleich zwei Neuerscheinungen befassen sich mit der Geschichte der Lufthansa. Eine hat der Konzern selbst in Auftrag gegeben. Die andere ist eine unabhängige Untersuchung des Historikers Lutz Budrass, der der Lufthansa eine "sehr spezifische Art von Aufarbeitung" vorwirft.
Inzwischen gehört es fast schon zum guten Ton für deutsche Unternehmen, Historiker mit der Aufarbeitung ihrer Geschichte während des Nationalsozialismus zu beauftragen. Die Lufthansa allerdings tut sich damit einigermaßen schwer. Zwar hat sie vor 15 Jahren den Bochumer Historiker Lutz Budrass mit einem Gutachten zur Beschäftigung von Zwangsarbeitern im Konzern beauftragt, dieses dann aber jahrelang nicht veröffentlicht, sondern nur auf Nachfrage herausgegeben.
Mit der Geschichte der Lufthansa und dem Umgang des Konzerns mit seiner Vergangenheit befasst sich jetzt ein neues Buch von Lutz Budrass, "Adler und Kranich", das am 14. März erscheint.

Die "schöne" Geschichte ins Regal stellen

Fast zeitgleich ist auch Budrass' Gutachten zur Zwangsarbeit bei der Lufthansa doch noch veröffentlicht worden, als Beilage einer illustrierten Unternehmensgeschichte:
"Man kann das einfach rausnehmen, dieses Bändchen oder diese Studie, rausnehmen, und man hat dann einfach nur die schöne Geschichte und kann sich die ins Regal stellen. Und das ist eben genau das, was andere Unternehmen nicht getan haben, aber was eben auch der Geschichte des Nationalsozialismus nicht gerecht wird, weil es eben eine Verbindung zwischen dem Schönen und dem Bösen gibt."

Das Interview im Wortlaut:
Katrin Heise: Gleich zwei Bücher über die Lufthansa sind ab Montag auf dem Markt. Das ist ein komisches Zusammentreffen eines Bildbandes illustrierter Luftfahrtgeschichte und auf der anderen Seite Vergangenheitsbewältigung. Während die Lufthansa die Pionierleistung gern präsentiert, will sie mit der Geschichtsaufarbeitung nicht so richtig was zu tun haben. Es geht um die Zeit der Nationalsozialisten und wie das Unternehmen nach Kriegsende mit dem Erbe umgegangen ist. Ich begrüße jetzt den Historiker Lutz Budrass, dessen Schwerpunkte an der Ruhr-Uni Bochum Luftfahrt-, Rüstungs- und Wirtschaftsgeschichte sind und der das Buch "Adler und Kranich" geschrieben hat. Schönen guten Morgen!
Lutz Budrass: Guten Morgen, Frau Heise!

Ein Instrument der Wiederaufrüstung nach dem Ersten Weltkrieg

Heise: 700 Seiten umfasst Ihre Recherche, und es geht um die Zeit zwischen 1926 und 1955. Fangen wir mal so am Anfang an. Lufthansa war ein Privatunternehmen, aber stark, sehr stark staatlich gefördert. Warum?
Budrass: Die Lufthansa ist nominell ein privates Unternehmen. Das heißt, je nachdem, wie man staatliche Interessen definiert, nahm sie bis zu 80 Prozent der Anteile ein, wenn man die Kommunen und wenn man die Länder mitrechnet.
Es wurde schon zeitgenössisch gesagt worden, dass das Privatwirtschaftliche eigentlich nur ein Feigenblatt ist. Und das liegt natürlich daran, dass der deutsche Staat oder die deutsche Regierung ein großes Interesse daran hat, diese Lufthansa zu gründen, weil eben bestimmte politische Interessen da eine Rolle spielen, also die Aufrüstung.
Das heißt, nach dem Ersten Weltkrieg ist es in Deutschland verboten, eine Luftwaffe zu haben, und man braucht ein Instrument oder man braucht mehrere Instrumente, um eine spätere Wiederaufrüstung vorzubereiten. Die Lufthansa spielt da eine ganz entscheidende Rolle.

Ab 1929 Schulterschluss mit den Nationalsozialisten

Heise: Waren Lufthansa-Chefetage und NSDAP verbandelt?
Budrass: Nicht unmittelbar. Die Lufthansa wird 1926 gegründet, da ist die NSDAP natürlich noch eine kleine Splitterpartei, aber das Ganze ändert sich, als die Politik der Lufthansa im Reichstag 1929 sehr, sehr stark unter Beschuss gerät.
Das heißt, die Politik, die mit der Lufthansa verbunden ist, das heißt, die Subventionen, die die Lufthansa während ihrer ganzen Existenz empfängt, gerät durch die Weltwirtschaftskrise in die Kritik. Und da lassen sich die ersten Zeichen finden, dass die Führung der Lufthansa versucht, den Schulterschluss mit den Nationalsozialisten herzustellen.
Heise: Was ist denn aus der Chefetage während des Krieges und vor allem danach auch geworden, bei Wiedergründung?
Budrass: Na ja, die Chefetage der Lufthanse – wenn man jetzt den Vorstand nimmt – das Aushängeschild der Lufthansa oder der wichtigste Mann bei der Lufthansa ist Erhard Milch. Der wird im Jahr 1933 Staatssekretär im Reichsluftfahrtministerium, also der zweite Mann hinter Hermann Göring, und spielt dann für die Luftrüstung im Nationalsozialismus die entscheidende Rolle, also er ist einer der wichtigsten Männer in der Luftwaffe.

Profit durch Zwangsarbeiter

Heise: Und wie geht das später weiter, also gerade die Fortsetzung nach dem Krieg, wie hat man da – gibt es da personelle Weiterführungen sozusagen?
Budrass: Milch wird natürlich 1945 gefangen genommen, und er bekommt seinen eigenen Nürnberger Prozess und wird zu lebenslanger Haft verurteilt, die er dann aber 1954 schon wieder verlassen kann. Aber es gibt natürlich so etwas wie eine Luftfahrtelite, also so was wie Luftfahrtbeamte, die die Lufthansa im Grunde seit 1929 führen im Aufsichtsrat. Und viele von diesen Luftfahrtbeamten sind eben auch bei der Wiedergründung seit 1950 dabei, vor allen Dingen Kurt Knipfer, der dann dummerweise auch einer der besten Freunde von Erhard Milch ist.
Heise: Ein anderes, ein ganz anderes Stichwort lautet ja Zwangsarbeiter im Konzern. Die Lufthansa selbst hatte Sie vor mehr als 15 Jahren mit einer wissenschaftlichen Untersuchung zu diesem Thema beauftragt. Was haben Sie da herausgefunden über den Umgang mit Zwangsarbeitern bei der Lufthansa?
Budrass: Die Lufthansa unterscheidet sich natürlich zunächst einmal nicht sehr von anderen Unternehmen, die in Deutschland Zwangsarbeiter beschäftigen. Sie ist mir ihrem – das Interesse an den Zwangsarbeitern ist bei ihr ein anderes. Die Lufthansa muss sich während des Krieges industrialisieren, so habe ich das geschrieben, ganz einfach deswegen, weil es so gut wie keinen Luftverkehr gibt. Sie nutzt aber die Beschäftigung von Zwangsarbeitern dann dazu, um Geld anzusparen, also Profit zu machen, um dann nach dem Krieg, von dem natürlich davon ausgegangen wird, dass er gewonnen wird, um nach dem Krieg sich eine neue Flotte zu beschaffen. Sie ist eines von ganz wenigen Unternehmen, die tatsächlich Profit aus der Zwangsarbeit ziehen.

Ambivalentes Verhältnis zur eigenen Geschichte

Heise: Das Gutachten ist damals nicht wirklich veröffentlicht worden. Das heißt, es gab es, man konnte es auf Nachfrage zugeschickt bekommen, die Lufthansa wollte es aber einer breiten Öffentlichkeit nicht unbedingt vorstellen. Ich frage mich, warum eigentlich, denn man hatte ja von Lufthansa-Seite eigentlich Konsequenzen gezogen, sich beispielsweise am Zwangsarbeiter-Fonds beteiligt. Die Zurückhaltung ist nicht zu verstehen, oder?
Budrass: Na ja, das ist eigentlich das Thema meines Buches. Das Buch heißt ja nicht "Die Geschichte der Lufthansa", sondern "Die Lufthansa und ihre Geschichte". Ich versuche – also dieser Vorgang, dessen Teil ich ja seit mittlerweile jetzt dann auch 15 Jahren bin, dieser Vorgang ist so merkwürdig, dass ein Unternehmen, oder einer der größten deutschen Konzerne, sich so mit Macht dagegen sperrt, über seine Vergangenheit zu reden, ist eigentlich das spannendste Thema. Und dem versuche ich mich zu widmen.
Und meine These dazu ist eben, dass die Lufthansa versucht, sich mit bestimmten Teilen ihrer Geschichte zu schmücken, vor 1945, aber auch erst recht nach 1945. Und um sich zu schmücken, um diesen bunt schillernden Tarnmantel zu verwenden, muss sie eben bestimmte andere Teile ihrer Geschichte wegdrücken.

Verbindung zwischen dem Schönen und dem Bösen

Heise: Dieses von mir angesprochene Gutachten ist jetzt übrigens dem Bildband beigelegt worden. Also, es ist durchaus erhältlich, aber trotzdem so ein bisschen verschämt. Eigentlich wundert es einen doch stärker, weil es ja, sage ich jetzt mal, zum guten Ton großer deutscher Unternehmen gehört, die Geschichte aufzuarbeiten. Könnte man sich eigentlich nur mit schmücken.
Budrass: Na ja, es ist schon eine Art von Aufarbeitung von Geschichte, aber es ist eben eine sehr spezifische Art von Aufarbeitung. Dieser Band, der jetzt erschienen ist, hat ja so eine – da steckt ja ein bestimmtes historisches Konzept hinter. Die Lufthansa hat eine Geschichte, mit der sie sich weiterhin schmückt, und es gibt dann so was wie ein dunkles Kapitel, das ist meine Studie. Und das Ganze ist dann also auch in dem Band sehr schön in grau gehalten.
Man kann das einfach rausnehmen, dieses Bändchen oder diese Studie, rausnehmen, und man hat dann einfach nur die schöne Geschichte und kann sich die ins Regal stellen. Und das ist eben genau das, was andere Unternehmen nicht getan haben, aber was eben auch der Geschichte des Nationalsozialismus nicht gerecht wird, weil es eben eine Verbindung zwischen dem Schönen und dem Bösen gibt.
Heise: Und genau die ziehen Sie in Ihrem Buch "Adler und Kranich". Das erscheint am Montag, vom Historiker Lutz Budrass. Herr Budrass, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!
Budrass: Danke, Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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