Geschichte der Kirmes

Von Gerrit Stratmann · 16.11.2007
Für viele Menschen ist der Jahrmarkt mit Kindheitserinnerungen an gebrannten Mandeln, Geisterbahn und Kinderkarussell verbunden. Das Markt- und Schaustellermuseum Essen ruft diese Erinnerungen ins Bewusstsein zurück, denn es versammelt Schätze aus den vergangenen Tagen der Kirmes.
Erich Knocke, 80 Jahre alt und Leiter einer einzigartigen Sammlung von Markt- und Schaustellergerätschaften.

"Diese ganzen Karusselltiere, die wir hier haben, die sind alle restauriert, die waren alle kaputt, Beine, Ohren, Köppe, das ist alles restauriert worden, jedes einzelne Pferd."

Aufgereiht zwischen Kinderkarussell und Schaustellerwohnwagen stehen die weißen Pferde mit geblähten Nüstern da, als wären sie im Galopp eingefroren. Sie werfen ihre Vorderläufe mit den schwarzen Hufen in die Luft, jedes auf eine etwas andere Weise. Die Holztiere drängen sich in einer alten Maschinenhalle, in der es noch nach Maschinenöl riecht. Von innen verbreitet sie den Charme eines überdachten Trödelmarktes. Und zwischen Glücksrädern, Wanderkinoprojektor und dem kleinen Benzinauto einer Go-Kart Bahn von 1936 stehen immer wieder Orgeln. Drehorgeln, Jahrmarktorgeln, Tanzorgeln.

"Eine Orgel ist ein sehr empfindliches Instrument, ganz gleich, was es ist. Das ist alles Holz. Holz arbeitet im Gegensatz zum Menschen noch mit hundert Jahren."

1980 hat Erich Knocke das Museum eröffnet. Nur am Wochenende führt er Besuchergruppen durch die gut 1500 qm große Halle, da er bis heute noch selbst als Schausteller auf Jahrmärkten unterwegs ist. Vor allem die Pflege und Restauration der alten Orgeln sind das erklärte Hobby des Jahrmarktsammlers. Einige der mechanischen Apparate stammen zum Teil aus dem 19. Jahrhundert und sind liebevoll verziert und bemalt. Obwohl sie im Laufe der Zeit renoviert und elektrifiziert wurden, spielen sie ihre Melodien noch immer von langen Lochpapierstreifen ab.

"Die Notenorgeln werden gestanzt, das ist Handarbeit. Die sind heute schon sehr teuer und kostspielig geworden. Das war, früher gab's es da ganze Säle, wo die Frauen saßen. Wie an einer Nähmaschine saßen die, konnten die Löcher immer genau rein machen, wo der Ton hingehört. Das ist alles Handarbeit, heute noch."

Wenn Erich Knocke einen der Apparate anwirft, verwandelt sich die riesige Ausstellungshalle selbst in einen Jahrmarkt mit Gerätschaften aus über 100 Jahren Marktgeschichte. Mittendrin thront eine Tanzorgel aus den 30er Jahren. Der über drei mal drei Meter große Koloss mit seiner modernen, erleuchteten Fassade im Bauhausstil, ist nicht mit Orgelpfeifen sondern mit echten Instrumenten bestückt und kann mühelos ein kleines Orchester ersetzen.

"Da ist Jazzmusik drauf mit Saxophon, Akkordeon, Schlagzeug. Da kann man richtig tanzen. In Belgien in Antwerpen steht noch so eine im Kaffee. Da werfen Sie 50 Cent ein und dann geht’s rund."

Andrea Stadler ist dem Schaustellermuseum seit Jahren treu verbunden. Die studierte Kunsthistorikerin kennt die Ursprünge der Kirmes, die Kirchweih, die im Mittelalter zum Jahrestag einer Kircheneinweihung gefeiert wurde. In dieser Zeit entstanden auch die ersten Reiterkarusselle als Attraktion auf dem Fest.

"Das Karussell hat sich auch aus so einer Art Trainingsgerät für Adlige entwickelt, die bei Turnieren sich mit den Lanzen verletzt haben, da gab es mehrere Todesfälle im 16. Jahrhundert. Und da haben sich in den höfischen Gärten Trainingsgeräte entwickelt mit Holzpferden, wo man das üben konnte. Und fast zur gleichen Zeit tauchen dann die ersten Holzkarussells auf der Kirmes auch auf."

Viele Attraktionen, an die das Museum erinnert, sind seither von Jahrmärkten verschwunden. Quacksalber, Geldwechsler und Schreiber gibt es dort schon lange nicht mehr. Löwenmenschen, Gaukler oder Bauchredner finden sich höchstens noch im Varieté. Nur Wahrsager bringen auch heute noch hier und da ihre unverbindlichen Weisheiten an den Besucher, auch wenn sie – und das ist zugleich das modernste Stück des Museums – nur als sprechende Puppe in einem kleinen Glaswürfel sitzen.

Museumsleiter Erich Knocke stammt aus einer Schaustellerfamilie. Das Geschäft seines Vaters hat er jedoch nicht weiter betrieben, sondern war mit Schaukeln, Verkehrsgärten und Karussellen unterwegs.

"Früher, mein Vater, der hat mit Hypnose gearbeitet. Im Cabaret und auch auf Schaubude. Heilhypnose und alles Mögliche, was so ... Hat aber keinem was gebracht. Sind alle nicht reich gestorben."

Mit dem Fundus des Museums hinterlässt Erich Knocke ohne Zweifel ein reichhaltiges Erbe. Neben den großen Geräten zählen über 5000 Grafiken und Plakate, unzählige Zinn- und Porzellanminiaturen sowie eine umfassende Bibliothek mit Jahrmarktliteratur zu seinem Bestand. Die von der Stadt bereit gestellte Halle ist längst zu klein, um alle Schätze auch zu zeigen. Trotzdem hält Erich Knocke weiterhin die Augen offen, wenn irgendwo etwas vom Rummel früherer Jahre auf dem Müll zu landen droht.

"Wenn was kommt, muss man gucken, dass man es unterkriegt, ne? Wenn die Breite nicht mehr geht, müssen wir die Höhe nehmen. Irgendwie muss da noch was hin."