Geschichte der Arbeitsgefühle

Von körperlicher Entlastung hin zur Selbstverwirklichung

Ein Mann auf dem Rücken liegend wurde so fotografiert, als hebe er einen Stapel Aktenordner
Je mehr Verantwortung einer für seine Arbeit bekommt, umso gewissenhafter erledigt er sie, das geht aus der Studie von Sabine Donauer hervor. © imago / Westend61
Von Florian Felix Weyh · 29.04.2015
Ursprünglich diente Arbeit rein dem Lebensunterhalt. Seelische Befindlichkeiten spielten – aus Sicht der Arbeitgeber – keine Rolle. Das änderte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Historikerin Sabine Donauer erforschte die Geschichte der Arbeitsgefühle.
Sabine Donauer: "Es ist so, dass die Arbeitsgefühle seit über 100 Jahren wahnsinnig aufgewertet wurden, von Arbeitgebern, von Unternehmen, weil die sehr schnell begriffen haben, dass man mit positiv gestimmten Mitarbeitern wesentlich produktiver sein kann als mit missmutigen, streikenden und unüberzeugten Arbeitnehmern."
Produktivität ist der Kern der modernen Industriegesellschaft. Um sie zu erhöhen, erfand man immer wieder neue Maschinen, der sie bedienende Mensch blieb zunächst außen vor. Er sollte genauso mechanistisch funktionieren wie die Technik um ihn herum. Das tat er allerdings nur bedingt. Als sich mit dem Produktivitätszuwachs nicht zugleich die Lebensbedingungen der Arbeiter verbesserten, wuchs deren Bereitschaft zu Aufständen und Streiks. Konfrontationen aber sind kontraproduktiv, sie kosten Geld.
"Die Mitarbeiter haben ja auch noch viel subtilere Methoden gewählt, wie Sabotageakte, wie das gemeinsam verabredete Bummeln, das heißt am Fließband arbeitet man langsamer, damit man nicht so ganz viel leisten muss. Unternehmen begreifen dann so ungefähr nach dem Ersten Weltkrieg, dass sie mit den Arbeitnehmern sich irgendwie auch emotional arrangieren müssen, weil dieses Gegeneinander einfach nicht produktiv war."
Und so begann sich die Wirtschaft für die Wissenschaft zu interessieren – die Wissenschaft vom richtigen Umgang mit den Gefühlen der Arbeitnehmer.
"Ich hab mir vor allem angesehen, was die Arbeitswissenschaften, also die Arbeitsphysiologie, die Arbeitspsychologie, die Betriebspädagogik, was die darüber sagen, wie der Arbeiter und seine Gefühle funktionieren. Und die sagen ungefähr in Abständen von 20, 30 Jahren jeweils wieder was anderes."
Genau diese Brüche interessierten die Historikerin Sabine Donauer. Vier große Einschnitte stellte sie fest.
"Um 1900 dachte man noch, der Arbeitnehmer ist glücklich, wenn man möglichst dafür sorgt, dass er physisch nicht so belastet ist. Also dass man diese extremen Anstrengungszustände rausnimmt aus der Fabrikarbeit",
… und das geschah dann auch, durch verbesserte Beleuchtung und Belüftung der Arbeitsräume und optimierte Abläufe in den Fabriken. Indes blieb es beim Betriebsunfrieden, bei regelmäßigen Streiks und Ausständen.
Zuhause fühlen auf der Arbeit
"Das geht dann in den 20er-Jahren in die Richtung über, dass man sagt: Es reicht offensichtlich nicht, dass wir uns um den körperlichen Wohlbefindenszustand beim Arbeitnehmer kümmern, wir müssen auch gucken, dass wir ihn seelisch zufriedenstellen. Also den Arbeitnehmer dadurch zu gewinnen, dass man sagt: 'Du hast hier auch ein Zuhause in der Arbeit, das soll nicht nur ein Zweckraum sein, in dem du da vertraglich vereinbarte Verpflichtungen erfüllst, du sollst dich auch hier wohlfühlen, zugehörig fühlen'",
… und so gab es nun Sportplätze, schönere Kantinen, Werkswohnungen und Betriebskindergärten. Den Arbeitern reichte das allerdings immer noch nicht. Irgendetwas ließ sie unzufrieden bleiben.
"Insbesondere in der Nachkriegszeit, in den 50er-Jahren, gibt’s massive Mitbestimmungsforderungen der Arbeitnehmer, die wollen mitreden. Die wollen nicht nur bei diesen weichen sozialen Faktoren, sondern auch bei den harten wirtschaftlichen mitbestimmen, und das wiederum gibt den Anlass, dass man sagt: 'Okay, das hat jetzt alles nicht funktioniert, jeder Arbeiter hat seine Werkswohnung, hat seine Betriebsrente und trotzdem gibt’s diese Unzufriedenheit, wir fangen jetzt an mit psychologischen Schulungen für Vorgesetzte.'"
Mehr Empathie sollten diese lernen, sich einfühlsamer verhalten, den Mitarbeiter als Mensch sehen. 'Human Relations' hieß das in den Sechzigern. Doch auch dieses Paradigma hielt nur 20 Jahre. Denn viel effizienter, als die Angestellten über den Vorgesetzten anzusprechen, ist es, direkt auf die Angestelltenpsyche einzuwirken:
"In dem letzten Schritt, also jetzt bin ich bei den 60er-, 70er-Jahren, sagt man: 'Wir haben trotzdem immer noch nicht die Produktivitätsfortschritte, die wir uns wünschen von den Arbeitnehmern, wir fangen jetzt an, sie anders zu motivieren! Wir geben jetzt dem einzelnen Arbeitnehmer komplexere Aufgaben, viel größere Freiräume, was zu entscheiden und zu kontrollieren bei seiner Arbeit.' Und das ist genau der Zeitpunkt, wo diese Idee der Selbstverwirklichung bei der Arbeit aufkommt."
Zwiespältiges Mantra der Selbstverwirklichung
Je mehr Verantwortung einer für seine Arbeit bekommt, umso gewissenhafter erledigt er sie. Begreift er sie überdies als Teil der eigenen Identität, fragt er nicht vorrangig nach dem Lohn. Ziemlich eindeutig geht aus der historischen Studie Sabine Donauers hervor, dass Arbeitgeber, die sich für die Gefühle ihrer Belegschaft interessieren, vor allem eine Lohndebatte vermeiden wollen:
"Unternehmen greifen eben meistens nicht Vorschläge aus den Arbeitswissenschaften auf, die sagen: 'Zahlt den Leuten mehr!' Oder: 'Reduziert die Stunden!' Sondern natürlich sind Unternehmen offener für Vorschläge, die sagen: 'Ihr könnt mehr verlangen, die Leute können mehr arbeiten, ihr müsst denen vielleicht nicht unbedingt so viel zahlen, ihr könnt die ganz anders motivieren.'"
Das scheint in den letzten hundert Jahren erstaunlich oft geklappt zu haben. Aber ob sich nach dem Mantra der Selbstverwirklichung, das immer mehr Menschen als zwiespältig empfinden, die Gefühlsspirale noch eine Windung weiterdrehen lässt, bleibt fraglich. Die Historikerin jedenfalls sieht hier Fakten, die sich nicht durch Befindlichkeitsänderungen therapieren lassen:
"Also die Produktivität der letzten 20 Jahre hat sich verdoppelt pro Arbeitnehmer, in dem Zeitraum, wo Reallöhne stagniert oder gesunken sind. Und das halte ich für eine bedenkliche Entwicklung."
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