Gescheitertes Glück
Es ist wieder soweit: Nach Jahren hat Jan Peter Bremer wieder eines seiner literarischen Kleinode fertig gestellt. Das letzte Buch ("Feuersalamander") ist im Jahr 2000 erschienen, war gerade einmal 110 Seiten lang und bestand aus - imaginären - Postkartentexten.
Wenn man gedacht hat, damit wäre der Gipfel von Bremers erzählerischen Minimalismus erreicht, sieht sich nun getäuscht: Er ist diesmal noch weiter gegangen, noch radikaler und noch kürzer geworden. "Still Leben" ist ein Buch, das nur noch 88 Seiten braucht, um sprachliche Raffinesse zu entwickeln, die in der deutschen Gegenwartsliteratur nicht ihresgleichen hat und dabei vom Scheitern eines Lebensentwurfs zu erzählen.
Aber was heißt schon Lebensentwurf: das Ideal der glücklichen Familie, Aussteigersehnsüchte, Landleben, Innerlichkeit, Eskapismus, Genie, Wahnsinn und Sentimentalität nimmt Jan Bremer als Ingredienzen des Alptraums vom grenzenlosen Glück.
Ein Mann ist mit seiner Familie in eine abgelegene, winzige Berghütte gezogen. Von dort schreibt er kleine schwärmerische Nachrichten an einen namenlos bleibenden Freund. "Ach, mein Freund, wenn man sich so lieb hat wie wir, ist diese Enge der größte Reichtum."
Außer dem Adressaten dieser Nachrichten gibt es niemanden in diesem Kammerspiel von Lebensglück und Wahnsinn: nur Vater, Mutter, Tochter und Sohn; und der Adressat ist lediglich ein Empfänger all dessen, was der Familienvater und Verfasser die Außenwelt und letztlich auch sich selbst glauben machen will.
Doch die Sätze sind verräterisch, sie widersprechen dem, was sie sagen. Während die Botschaft, zumindest anfangs, stets lautet, man befinde sich im Gefilde der Seligen, sprechen die Worte von der Hölle, die im trauten Heim als alleinigem Glück so schön hell und leuchtend brennt.
Es ist furchtbar, dieses Glück "das mich ... so vollends in der Hand hat, dass ich ihm wohl keine Sekunde mehr entrinnen werde.... Glück ist hell, und in diesem Licht ist alles außer Einschlafen leicht."
Jan Bremer ist ein Meister darin, Worte auf doppelte Böden und in halbschattige Ecken zu stellen, so dass sie, mitten in Sätzen voll süß zwitschernder Naivität, zu drohenden Chimären werden. Und so schleicht sich, von Seite zu Seite mehr, der Wahnsinn in die Idylle. Der Blick, den der Schreiber auf seine Familie richtet wird zusehends kälter, die Zuwendung zu seinem vermutlich imaginären Briefchen-Gegenüber immer glühender.
Den Nachrichten lässt sich entnehmen, dass deren Verfasser seinen Stuhl, seinen Tisch nicht mehr verlässt; am Tun und Lassen seiner Familie hat er keinen Anteil und bald versteht er nicht einmal mehr, was um ihn herum vorgeht. Er kann es nur noch beschreiben: Und da wird das Familienleben zu einem absurden Theaterstück, voller unterdrückter Sexualität, manchmal ausbrechender Gewalt und einer grausamen Starre, aus der es kein Entkommen gibt.
Es ist erstaunlich, wie mühelos Bremer den völligen Realitätsverlust über die Sprache herstellt: es ist als öffne er die Worte und zeige die in ihnen verborgene Lüge, die den Abgrund öffnet zwischen Menschen und Worten und zwischen der Beschreibung eines Menschen und einem Menschen.
Berauscht von Vokabeln wie Liebe, Sonne und Herz treibt der Verfasser schließlich in seinem einsamen Kosmos der Worte.
Dieses Buch ist ein kleines Meisterwerk, so dunkel, schön und perfekt geschliffen wie ein schwarzer Diamant.
Jan Peter Bremer: Still Leben
Kurzroman. Berlin Verlag 2006
88 Seiten, EUR 14,-
Aber was heißt schon Lebensentwurf: das Ideal der glücklichen Familie, Aussteigersehnsüchte, Landleben, Innerlichkeit, Eskapismus, Genie, Wahnsinn und Sentimentalität nimmt Jan Bremer als Ingredienzen des Alptraums vom grenzenlosen Glück.
Ein Mann ist mit seiner Familie in eine abgelegene, winzige Berghütte gezogen. Von dort schreibt er kleine schwärmerische Nachrichten an einen namenlos bleibenden Freund. "Ach, mein Freund, wenn man sich so lieb hat wie wir, ist diese Enge der größte Reichtum."
Außer dem Adressaten dieser Nachrichten gibt es niemanden in diesem Kammerspiel von Lebensglück und Wahnsinn: nur Vater, Mutter, Tochter und Sohn; und der Adressat ist lediglich ein Empfänger all dessen, was der Familienvater und Verfasser die Außenwelt und letztlich auch sich selbst glauben machen will.
Doch die Sätze sind verräterisch, sie widersprechen dem, was sie sagen. Während die Botschaft, zumindest anfangs, stets lautet, man befinde sich im Gefilde der Seligen, sprechen die Worte von der Hölle, die im trauten Heim als alleinigem Glück so schön hell und leuchtend brennt.
Es ist furchtbar, dieses Glück "das mich ... so vollends in der Hand hat, dass ich ihm wohl keine Sekunde mehr entrinnen werde.... Glück ist hell, und in diesem Licht ist alles außer Einschlafen leicht."
Jan Bremer ist ein Meister darin, Worte auf doppelte Böden und in halbschattige Ecken zu stellen, so dass sie, mitten in Sätzen voll süß zwitschernder Naivität, zu drohenden Chimären werden. Und so schleicht sich, von Seite zu Seite mehr, der Wahnsinn in die Idylle. Der Blick, den der Schreiber auf seine Familie richtet wird zusehends kälter, die Zuwendung zu seinem vermutlich imaginären Briefchen-Gegenüber immer glühender.
Den Nachrichten lässt sich entnehmen, dass deren Verfasser seinen Stuhl, seinen Tisch nicht mehr verlässt; am Tun und Lassen seiner Familie hat er keinen Anteil und bald versteht er nicht einmal mehr, was um ihn herum vorgeht. Er kann es nur noch beschreiben: Und da wird das Familienleben zu einem absurden Theaterstück, voller unterdrückter Sexualität, manchmal ausbrechender Gewalt und einer grausamen Starre, aus der es kein Entkommen gibt.
Es ist erstaunlich, wie mühelos Bremer den völligen Realitätsverlust über die Sprache herstellt: es ist als öffne er die Worte und zeige die in ihnen verborgene Lüge, die den Abgrund öffnet zwischen Menschen und Worten und zwischen der Beschreibung eines Menschen und einem Menschen.
Berauscht von Vokabeln wie Liebe, Sonne und Herz treibt der Verfasser schließlich in seinem einsamen Kosmos der Worte.
Dieses Buch ist ein kleines Meisterwerk, so dunkel, schön und perfekt geschliffen wie ein schwarzer Diamant.
Jan Peter Bremer: Still Leben
Kurzroman. Berlin Verlag 2006
88 Seiten, EUR 14,-