Geschändete Ruhestätten

12.06.2007
Die DDR verstand sich als antifaschistischer Staat und insofern hätte es das, worüber Monika Schmidt nun eine erste Bestandsaufnahme vorlegt, gar nicht geben dürfen: die Schändungen jüdischer Friedhöfe. Schmidt zeigt, dass es im "Arbeiter- und Bauernstaat" immer wieder antisemitische Aktionen gab und dass das Regime diese Vorfälle systematisch vertuschte.
Jüdische Friedhöfe sind Ort der Ruhe. Die Gräber sind buchstäblich für die Ewigkeit gedacht, genauer gesagt: bis zur messianischen Zeit mit ihrer erhofften Auferstehung der Toten. Ein jüdischer Friedhof gilt daher im übertragenen Sinn als "Haus des Lebens". Deutsche Juden nennen ihn den "Gut-Ort". Die meisten jüdischen Gemeinden wurden im Dritten Reich vernichtet, doch Friedhöfe und die Gräber der Vorfahren sind geblieben, manchmal einsam an Berghängen gelegen, manchmal versteckt in einem Wald oder von den Häuserfluchten der Großstädte umschlossen. Fast 2000 jüdische Friedhöfe existieren in Deutschland. Die Namen auf den Grabsteinen dokumentieren oft die Heimatverbundenheit der Familien, nicht selten über Jahrhunderte hinweg, mit Namen, die einer deutschen Landkarte entnommen zu sein scheinen: Bamberger, Berliner, Schlesinger, Hamburger, Rheinländer, Kissinger.

Seit Jahrhunderten tobt sich der Hass auf Juden auch auf den Friedhöfen aus. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Die Schändungen jüdischer Friedhöfe sind zudem ein trauriges Kapitel der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte. Die Verfassungsschutzberichte dokumentieren sie regelmäßig.

Doch Friedhofsschändungen in der DDR, im "Land der Antifaschisten"? Davon hat man bislang nur wenig in der Öffentlichkeit gehört. Erstmals wurde jetzt eine Dokumentation vorgelegt, die Friedhofsschändungen auch in der DDR belegt.

Dabei sind zwei "Formen" der Schändung zu unterscheiden: Zum einen die durch Vandalismus, der auch christliche Friedhöfe trifft, sich also nicht speziell gegen Juden richtet. Zum anderen die Schändung als eine bewusst antisemitisch motivierte Aktion. Die Täter stehen dann meist dem rechtsextremen Spektrum nah. Judenfeindschaft ist Teil ihrer Ideologie, ihres Feindbildes. Den Tätern "reicht" es nicht, die Grabsteine zu zerschlagen, wichtiger ist ihnen, ihren Taten den Charakter einer Botschaft zu verleihen, sei es durch antijüdische Sprüche, NS-Parolen, NS-Symbole. "Wir sind wieder da" lautete die Parole der Täter einer massiven Schändung des jüdischen Friedhofs in Potsdam im Jahr 1980.

Es ist das Verdienst der Historikerin Monika Schmidt jetzt erstmals eine knappe Recherche vorzulegen, die auf erschreckende Weise dokumentiert, dass dieser Potsdamer Fall bei weitem nicht die Ausnahme war. Auch im "Arbeiter- und Bauernstaat" waren die Schändungen zahlreich. Und wie im Westen wurden auch im Osten die Taten mit Vorliebe und verharmlosend als "Streiche " dummer Jungen dargestellt. Auffallend jedenfalls die in den Stasiakten und den Polizeischreiben immer wiederkehrende Altersangabe: 13 Jahre. Das hieß in der DDR: strafunmündig, Fall zu den Akten, vergessen.

Monika Schmidts Arbeit zeigt, wie groß das Desinteresse an einer Aufklärung durch die viel zitierten "Organe" war. Auffallend zudem, dass bei diesem ersten Durchgang durch die Archive, Schmidt erst ab den 60er Jahren nennenswerte Spuren von Schändungen entdecken konnte.

In ihrem Buch gliedert sie die Taten sowohl nach den jeweiligen Daten, beginnend mit der Oranienburger Straße im Jahr 1947 und endend in Potsdam und Berlin 1988 sowie nach den Orten der Schändungen. In allen Teilen der DDR stieß sie auf Dokumente einer tabuisierten Geschichte. So entstand ein deprimierendes, aber notwendiges Buch, das einen quer durch Ostdeutschland führt, in kleinere Orte wie Salzwedel, Perleberg, Aschenhausen; und in alle Großstädte der ehemaligen DDR. Und nebenbei registriert sie eine besondere Form der Schändung, eine vom Staat zu verantwortende Verwahrlosung. Nur wenige jüdische Friedhöfe wurden in der DDR gepflegt, viele schlicht dem Verfall überlassen.

Andererseits reagierte die DDR-Propaganda auf die Schändungen jüdischer Friedhöfe überaus sensibel, vorausgesetzt, sie geschahen in der BRD.

Leider geht die Autorin auf diesen Aspekt und die dahinter steckende Doppelmoral nicht näher ein, wie denn überhaupt der Band nur als eine Grundlegung eines noch weiterhin zu bearbeitenden Feldes betrachtet werden kann. Es ist eine erste - verdienstvolle - Zusammenstellung von Fällen.

Wie zu hören ist, sind viel zu früh die Forschungsgelder ausgegangen, was dann das Ende der Arbeit bedeutete. So erfahren wir kaum etwas über die Täter, die Reaktionen der jüdischen Gemeinden, auch deren Mitmachen beim Vertuschen und Verschweigen (?), nichts über die Arbeitsweise der Ermittler, die politischen Vorgaben, die Behandlung des Themas innerhalb des Parteiapparats und umgekehrt auch nichts von jenen kleinen und späten Gruppen, meist im Umfeld der evangelischen Kirche, die weder länger schweigen, noch tatenlos bleiben wollten.

Der Band weckt die Hoffnung, dass diesem Beginn recht bald eine systematische Untersuchung folgt, denn noch leben einige Zeitzeugen. In Systemen wie der DDR können zwischen den Auskünften, die man aus den Aktenbergen filtern kann und dem, was die Zeitzeugen gesehen oder gehört haben, oft recht dramatische Unterschiede liegen.

Rezensiert von Günther B. Ginzel

Monika Schmidt: Schändungen jüdischer Friedhöfe in der DDR. Eine Bestandsaufnahme
Herausgegeben vom Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin
Metropol-Verlag, Berlin 2007
144 Seiten, 16,00 Euro