Geschäftsmodell Abschiedstour

Ein Abschied ohne Ende

Black Sabbath-Sänger Ozzy Osbourne bei einem Konzert der Band in Budapest.
Black Sabbath-Sänger Ozzy Osbourne bei einem Konzert der Band in Budapest. © picture alliance / dpa / EPA / Balazs Mohai
Eine Glosse von Fabian Elsäßer · 20.11.2017
Ozzy Osbourne will 2018 ein letztes Mal auf Tour gehen - hat der Heavy-Metal-Musiker zumindest angekündigt. Musiker-Kollegen zeigen allerdings, dass das Wort Abschiedstour nicht immer hält, was es verspricht. Die der Scorpions etwa dauert seit 2010 an. Bei Dio geht es sogar posthum weiter.
Es ist an der Zeit aufzuhören. Jedenfalls für Ozzy Osbourne. Dem Vernehmen nach liest der Heavy Metal-Zausel schon seit Längerem seine Gesangstexte vom Teleprompter ab und pflegt das Ritual, sich mit Wassereimern zu übergießen - wohl auch, um von anderen altersbedingten Malheuren abzulenken. Was zu vernachlässigen ist, weil er seine Würde schon um die Jahrtausendwende mit der Reality-Soap "The Osbournes" endgültig abgestreift hatte.

Zu hoffen bleibt, dass er die Tragweite des Begriffs Abschiedstour vollends erfasst hat. Denn die jüngere Pop- und Rockgeschichte ist, was das angeht, voller falscher Versprechungen.
Ausschnitt aus einem Programm des Kabarettisten Max Uthoff:
"Es gab da mal eine Verabredung: Du, Rockstar, bekommst meine Kohle für Deine Platten, dafür lebst Du das wilde, drogen- und groupie-verseuchte Leben, das ich gerne führen würde – und trittst früh ab",
formulierte Kabarettist Max Uthoff mit Blick auf die Rolling Stones – und auf besagten Vertragsbruch. Doch sie leben nicht nur alle weiter, sie können auch nicht von der Bühne lassen. Und wir schauen auch noch gerne zu.

Die letzte große Welt-Tournee

Chers Abschiedstour 2002? Phänomenal gut besucht, weswegen die vehement Gesichtsgestraffte bis heute munter weiter auftritt. Nur sind es eben meist keine Tourneen im klassischen Sinne, sondern beispielsweise Konzertgastspiele in Las Vegas. Die dann aber schon mal 190 Einzelauftritte andauern und dreistellige Millionensummen einspielen können. Oder die Metal-Institution Judas Priest …
2011 gingen die lärmenden Briten mit ihrem Sänger Rob Halford auf angebliche Abschiedstournee, allerdings mit der sehr geschickten Ankündigung, dass es die letzte große Welt-Tournee sei, hier und da aber noch vereinzelte Konzerte möglich seien. Was dann 2015 in einer veritablen Tour rund um den Globus gipfelte.
Oder nehmen wir die Scorpions.

Die sturmfesten, erdverwachsenen und offenbar völlig schmerzfreien Niedersachsen setzen ihre 2010 begonnene Abschiedstournee einfach bis heute fort.
"It's harder to find some who don't. Those who don't, are either dead or not very well", sagte Ian Anderson von Jethro Tull im DLF-Interview vor drei Jahren. Künstler aus seiner Generation, die nicht mehr unterwegs sind, seien entweder nicht sehr gesund oder tot. Recht hat er. Denn noch schwerer als das Geldmach-Modell der Abschiedstour wiegt wohl die Tatsache, dass all diese Altrocker einfach nicht aufhören wollen.
Ein positives Gegenbeispiel geben ausgerechnet Vertreter eines Genres, das die Feuilletons gerne als verkopft, verkünstelt und unaufrichtig – weil verkopft und verkünstelt – abtun: des Progressive Rock.
Das kanadische Prog-Rocker-Trio Rush hat nach der Jubiläumstour 2014 einfach mitgeteilt, dass es das nun gewesen sei, aus gesundheitlichen Gründen. Nach der Tour wohlgemerkt. Feiner Zug.

Live-Konzert-Gesetz und Peinlichkeitssteuer

Deep Purple nennen ihre aktuelle Tournee immerhin "The Long Goodbye", was wie eine präzisere Umschreibung des Scorpions-Konzept klingt – es könnte die letzte Tour sein, muss es aber nicht.
Nicht alle Rock-Mumien, die immer noch auftreten, sind peinlich. Neil Young ist sogar verlässlich unberechenbarer als Heerscharen jüngerer Künstler.
Aber wollen wir wirklich Aerosmith, Judas Priest oder anderen Rockern dabei zuschauen, wie sie ihre durch und durch von juveniler Wut, Kraft und Aufmüpfigkeit geprägte Musik allmählich entsaften?
Hier wäre die Staatengemeinschaft gefragt, vielleicht mit einem Live-Konzert-Gesetz. Musiker, die nachweislich Millionäre sind, haben mit Erreichen des Rentenalters jegliche Live-Tätigkeit zu unterlassen, es sei denn, der Eintritt ist frei. Ansonsten greift eine internationale Peinlichkeitssteuer in Höhe von 95 Prozent der Konzertgagen! Ja, das könnte funktionieren… Bei U2 sollte das übrigens schon jetzt gelten, denn der ewige Weltverbesserer Bono hat laut Paradise Papers offenbar das ein oder andere Milliönchen steuerfrei auf die Seite gebracht.
Die Witwe des 2010 verstorbenen Ronnie James Dio denkt das Modell Abschiedstour übrigens noch weiter.

Ende 2017 schickte sie den Metal-Meistersänger allen Ernstes posthum auf "Dio Forever"-Tournee – als Hologramm, unterstützt von Drittliga-Frontmännern. Ein Beispiel, das bitte nicht Schule machen sollte. Nicht mal bei den Rolling Stones.
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