BFC Germania wird 135

Deutschlands ältester Fußballverein

23:59 Minuten
Die Reproduktion eines Fotos zeigt Spieler der Männermannschaft des Vereins BFC Germania 1888 (Aufnahme von 1891).
Die Reproduktion eines Fotos zeigt Spieler des Vereins BFC Germania 1888 (Aufnahme von 1891). © dpa / picture alliance / BFC Germania 1888
Von Thomas Jaedicke · 09.04.2023
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Vom rebellischen Kick zum Volkssport: Ende des 19. Jahrhunderts wurde Fußball auch hierzulande immer populärer. Viele der ersten deutschen Klubs kamen aus Berlin-Tempelhof – auch der BFC Germania. 
An einem Sonntagnachmittag auf einem landeseigenen Sportplatz in Berlin-Tempelhof: Abstiegskampf in der Kreisklasse B. BFC Germania 1888 gegen Schwarz-Weiß Spandau II. Etwa 20 Zuschauer stehen um das Spielfeld herum.
Heinz-Dietrich Kraschewski, Vorsitzender von Germania 88, sagt: "Ist die vorletzte Spielklasse insgesamt, auf Berliner Ebene."

Kraschewski ist seit 60 Jahren Vereinsmitglied

Und wenn man das in Zahlen ausdrückt?
„Neunte Liga? Zweite Liga, dritte Liga, Regionalliga, Oberliga, Berlinliga, Landesliga, Bezirksliga, Kreisliga A, Kreisliga B. Zehn.“
Heinz-Dietrich Kraschewski ist seit 18 Jahren Vorsitzender von Germania 88, Deutschlands ältestem Fußballverein. Vereinsmitglied ist der 71-jährige, waschechte Tempelhofer, den hier alle bloß „Kraschi“ nennen, allerdings seit 60 Jahren.

Bis vor zehn Jahren war Kraschewski im Tor

„Wir sind als Kinder immer zu Germania gegangen. Dann haben wir einen Verein gesucht und Germania hat uns versprochen: Ihr bekommt einen schönen gelben Lederball. Ihr bekommt die Hemden, mit denen auch die erste Mannschaft spielt. Genauso seht ihr dann aus. Und dit is die Maxime!“
Viele Jahre war Kraschewski Germanias Torsteher Nummer eins. Erst vor zehn Jahren hat der 1,90-Mann, der damals noch bei den Senioren das Tor hütete, aufgehört. Mit 60.

Deutschlands erster inoffizieller Fußballmeister

In der Vergangenheit seien alle paar Jahre immer mal wieder Sponsoren aufgetaucht, die mit Deutschlands erstem inoffiziellen Fußballmeister von 1890 ein bisschen höher hinaus wollten. Doch mehr als ein kurzes Intermezzo in Berlins zweithöchster Spielklasse sprang nicht heraus.
Und das ist mittlerweile auch schon 70 Jahre her. Immer wenn die Geldgeber keine Lust mehr hatten, ging es dann eben wieder runter.
Eigentlich kein Drama, sagt der ehemalige Sportartikelverkäufer, zieht die Schultern hoch, reckt das Kinn vor und vergräbt die Hände in den Hosentaschen. Bisschen mehr als zehnte Liga wäre allerdings schon schön.
Heinz-Dietrich Kraschewski ist Vorsitzender des Vereins BFC Germania 1888.
Heinz-Dietrich Kraschewski ist Vorsitzender des Vereins BFC Germania 1888.© dpa / picture alliance / Britta Pedersen
Doch obwohl immer mehr Menschen, auch Familien mit Kindern, denen das Leben in Kreuzberg oder Neukölln zu teuer wird, nach Tempelhof ziehen, stagnieren Germanias Mitgliederzahlen. Vor allem im Jugendbereich werde es für den Traditionsverein immer schwieriger, Mannschaften für den Spielbetrieb anzumelden, klagt Kraschewski.  
Kraschewski: „Wir haben keine A-Jugend zum Beispiel. Das sind schon Probleme, klar. Den Zuwachs für unsere Herrenmannschaft regeln wir eigentlich über: Der bringt den mit, der bringt den mit. Anders ist es nicht machbar.“

Mitgliedsbeiträge finanzieren Spielbetrieb

Natürlich kostet der Spielbetrieb auch in Liga zehn Geld. Trikots und Trainingsanzüge müssen gekauft werden, Bälle und ein bisschen Verpflegung. Da kommt schnell einiges zusammen.
Hauptsächlich würden die Rechnungen aus den Mitgliedsbeiträgen beglichen, sagt Kraschewski. Aktuell sind laut dem Vereinspräsidenten etwa 300 Vereinsmitglieder registriert.

Germania ohne Trikotsponsor

Seit Ewigkeiten wohnt „Kraschi“ in Sichtweite des kleinen Tempelhofer Kunstrasenplatzes. An diesem Spieltag ist dort nur eine Werbung sichtbar. Auf einem Banner, das an den hohen Maschendrahtzaun hinter dem Tor geknotet ist, macht ein kroatisches Restaurant aus der Nachbarschaft auf sich aufmerksam.

Wir suchen immer. Natürlich. Aber gucken sie sich mal unser Trikot an. Hier die Trainingsjacke. Hinten steht drauf: ‚Ältester deutscher Fußballverein‘. Und vorne sind wir frei. Überhaupt nichts. Wir haben nicht mal Werbung auf dem Trikot. Es interessiert keinen. Wir sind alle fünf Jahre mal im Gespräch. Und zwischendurch interessiert diese Spielklasse keinen Menschen.

Heinz-Dietrich Kraschewski, Vorsitzender des Vereins BFC Germania 1888

Germania war immer ein Amateurklub

Die Germanen, die am 15. April ihr 135. Vereinsjubiläum feiern, seien in ihrer langen Tradition immer reine Amateure gewesen und auch deswegen ein kleiner Klub geblieben, sagt Kraschewski. Außerdem hätten sie nie mit anderen Vereinen fusioniert, und die Konkurrenz im Bezirk war seiner Meinung nach einfach übermächtig.
Fakt ist: Viele der ersten deutschen Fußballklubs kamen aus Tempelhof. Nachdem der Sport aus England importiert wurde, gründeten sich um 1880 herum die ersten Berliner Vereine in der Nachbarschaft des riesigen Tempelhofer Feldes. Der BFC Preußen, Blau-Weiß 90 oder Viktoria, die 1908 und 1911 sogar Deutscher Meister waren.

Fußball-Sonderausstellung im Tempelhof Museum

Philipp Holt ist Historiker. Zusammen mit seiner Kollegin Lena Rudek hat er eine Sonderausstellung für das Tempelhof Museum kuratiert, die anhand von historischen Fotos und anderen liebevoll ausgestellten Archivalien, meist originalen Objekten, über 100 Jahre Fußball im Bezirk beleuchtet.
Die Ausstellung konzentriert sich auf vier Vereine, die bis heute existieren: Viktoria, Preußen, Blau-Weiß und eben Germania. Zum Fotomaterial gibt es viele erläuternde Texte und historisches Filmmaterial, das an Medienstationen gezeigt wird.

Erste Stadien in Berlin in den 20er-Jahren

Gab es in den ersten Fußballjahren fast nur improvisierte Spielfelder an wechselnden Orten, vor allem auf dem riesigen Tempelhofer Feld, änderte sich das im Laufe der Zeit. Mitte der 20er-Jahre war Fußball schon so populär, dass in Berlin die ersten Stadien gebaut wurden.
Eine der ersten großen Arenen ließ der 1894 gegründete BFC Preußen errichten. 1924 wurde auf dem Tempelhofer Feld das Preußen-Stadion eingeweiht. Die Anlage konnte 40.000 Zuschauer aufnehmen und verfügte außerdem über sechs Fußball-Nebenplätze sowie vier Tennis- und zwei Hockeyplätze.

Stadion auf dem Tempelhofer Feld bis 1936

Das Stadion war zwölf Jahre lang in Betrieb und Ort vieler Meisterschaftsspiele, bevor es 1936 im Zuge der Erweiterung des Zentralflughafens wieder abgerissen wurde.
Bevor Fußball in Deutschland Turnen als Volkssport Nummer eins ablöste, dauerte es eine ganze Weile. Hatte der 1900 gegründete Deutsche Fußball-Bund vor dem Ersten Weltkrieg rund 190.000 Mitglieder, waren es 1920 schon 400.000.

Fußball von Kriegsrückkehrern "importiert"

Der Sport wurde damals vor allem von Kriegsrückkehrern „importiert“. Dass Fußball in dieser Zeit nicht mehr ausschließlich von Studenten, Kaufleuten und Akademikern gespielt wurde, lag aber auch am Acht-Stunden-Arbeitstag, der 1918 eingeführt worden war.
Für Spieler und Zuschauer entwickelten sich Fußballspiele dadurch rasch immer mehr zum Zentrum ihrer Freizeit- und Amüsieraktivitäten. In dieser Phase, in der sich auch der Ligabetrieb ausweitete, wuchs auch die Infrastruktur. Zehn Jahre zuvor, als es noch keine großen Stadien gab, musste selbst bei großen Spielen noch improvisiert werden.

Viktoria Berlin war DFB-Gründungsmitglied

Zur Eröffnung der Sonderausstellung zur Tempelhofer Fußballgeschichte sind auch einige Vertreter der vorgestellten Vereine gekommen – zum Beispiel Ulrich Brüggemann. Er ist Präsident von Viktoria, einem Gründungsmitglied des DFB. Nach einer Saison in der Dritten Liga spielt der zweifache Deutsche Meister aktuell in der Regionalliga Nordost, der vierthöchsten Spielklasse im deutschen Ligabetrieb.
Eine Fusion mit LFC Berlin vor zehn Jahren hat die Vereinsstrukturen des mit Abstand erfolgreichsten Tempelhofer Vereins grundlegend verändert. Der eingetragene Verein bildet nun die organisatorische Einheit für den Breitensport. Die Leistungsmannschaften sind in Kapitalgesellschaften und GmbHs ausgegliedert.
Ulrich Brüggemann: "Von der Struktur her sind wir wahrscheinlich einer der größten aktiven Vereine in der Bundesrepublik.“

Viktoria Berlin als Talentschmiede

Die Größe des Vereins helfe Viktoria, sich einen noch besseren Namen zu machen, um sich so zur gefragten Talentschmiede weiterzuentwickeln, sagt Ulrich Brüggemann.
„Wir haben 1500 Mitglieder - davon spielen circa 1200 Jugendliche und Erwachsene Fußball. Also ich sehe den Fußball, ich sehe den Leistungsgedanken, ganz klar, das ist auch das Aushängeschild und das Flaggschiff. Aber wir sehen auch ganz klar die soziale Komponente, die wir in dieser riesengroßen Jugendabteilung jede Woche da auf den Platz bringen. Bei uns spielen knapp 1000 Kinder und Jugendliche jede Woche Fußball.“

Ehrenamtliche dokumentieren Vereinsgeschichte

Wie bei vielen Sportvereinen kümmern sich auch bei Viktoria ausschließlich Ehrenamtliche darum, die Vereinsgeschichte zu dokumentieren. Doch es gebe bei Viktoria einfach nicht genügend engagierte Helfer, um ein richtiges Archiv aufbauen zu können, klagt Brüggemann.
Doch Viktoria ist keine Ausnahme. Auch die Chroniken der drei anderen Tempelhofer Vereine, die in der Ausstellung vorgestellt werden, haben große Lücken.
Ganz wenig herausfinden ließ sich zum Beispiel über ihre Rollen während der Nazizeit. Immerhin ist die Historikerin Lena Rudek, die die Ausstellung mit Philipp Holt zusammengestellt hat, bei Preußen fündig geworden. Dabei stieß sie auf einen sehr prominenten Namen.

Linnemanns Rolle in der NS-Zeit

„Wir haben hier den Felix Linnemann ausgestellt - DFB-Präsident, kommt aus dem Verein Preußen, also auch ein Tempelhofer. Er war ja maßgeblich auch für die Gleichschaltung des gesamten deutschen Fußballs unter den Nationalsozialisten verantwortlich.“
Felix Linnemann war in der Zeit zwischen 1925 und 1940 Präsident des Deutschen Fußball-Bunds. In leitender Funktion bei der Kriminalpolizei war das NSDAP- und SS-Mitglied von 1939 an unter anderem für die Deportation von Sinti und Roma in Vernichtungslager verantwortlich.
Anlässlich der WM 2006 in Deutschland hatte der Historiker Nils Havemann in seiner vom DFB in Auftrag gegebenen Studie „Fußball unterm Hakenkreuz“ Felix Linnemanns Wirken ausführlich beleuchtet.

Germania ist vom Abstieg bedroht

Heinz-Dietrich Kraschewski wirkt noch immer relativ tiefenentspannt, obwohl das Kreisliga-B-Kellerderby gegen Schwarz-Weiß Spandau II kurz vor Schluss auf Messers Schneide steht.
Tief in der Nachspielzeit steht es 1:1. Germanias Präsident musste bis jetzt schon einige Nackenschläge verkraften. Kurz nach Germanias 1:0 verursachten seine Jungs einen Foulelfmeter und kassierten postwendend den Ausgleich. Dann musste er auch noch mit ansehen, wie sein Kapitän vom Platz gestellt wurde.
Doch die Pille, die Kraschewski jetzt schlucken muss, ist noch bitterer. In Unterzahl laufen seine Germanen, die mit dem Mut der Verzweiflung alles nach vorne werfen, um auf den letzten Drücker vielleicht doch noch das Siegtor zu machen, in einen satten Konter und fangen sich stattdessen noch einen Spandauer Treffer. Knockout. Endstand: Germania 1, Spandau 2.
Der Präsident muss jetzt in die Kabine, seinen geschlagenen Germanen Mut zusprechen, sie wieder aufrichten. Denn der Abstiegskampf ist noch lang und längst noch nicht entschieden. Langsam leert sich der Kunstrasenplatz in Berlin-Tempelhof.
Robert Petersen ist Jugendleiter bei Germania Berlin.
Robert Petersen ist Jugendleiter bei Germania Berlin.© Thomas Jaedicke

Germanias Zukunft

Robert Petersen wohnt auch im Tempelhofer Kiez. Weil sein kleiner Sohn sich ein bisschen bewegen sollte, hat er ihn bei Germania angemeldet. Inzwischen ist der 32-jährige Petersen, der in einem Pflegeheim arbeitet, Germanias Jugendleiter.
Petersen: „Man möchte auch ´nen gewissen Erfolg haben. Wir sind auf der Suche nach Trainern, jungen Männern, können auch Sportstudenten sein. Alle, die eine Affinität zum Fußball haben, die den Fußball mögen. So wie wir. Und das Wissen, das sie haben, gerne an die Kinder weitergeben, dass wir uns ein bisschen Struktur aufbauen auch. Wir haben eine Vergangenheit. Wir haben aber auch eine Zukunft und wollen auch die gestalten. Und das beginnt schon mit den Kindern.“

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